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Lil Nas X in Berlin.

© Aaron Idelson

Bunte Pop-Show: Lil Nas X feiert eine queere Party in Berlin

Der US-amerikanische Popstar Lil Nas X trat beim ersten Deutschland-Stop seiner „Long Live Montero“-Tour in der Max-Schmeling-Halle auf – und überzeugte nur teilweise.

Die Cowboy-Sache war nur eine Phase. Das ist ja schon seit Längerem deutlich – doch wie Lil Nas X mit dem Country-Trap-Superhit „Old Town Road“ auf seiner ersten Welttour umgeht, überrascht dann doch. Er bringt das Stück, das 19 Rekord-Wochen lang die US-Billboard-Charts anführte und eigentlich ein klassischer Zugaben-Kandidat wäre, schon nach einer knappen Viertelstunde. Und das sogar, ohne zunächst selbst auf der Bühne zu stehen.

Stattdessen zeigen die Leinwände in der nicht ganz ausverkaufen Berliner Max-Schmeling-Halle die auf Twitter beginnende Geschichte des Songs, der sich in der Remix-Version mit Billy Ray Cyrus vor drei Jahren zu einem omnipräsenten Ohrwurm entwickelte. Nach dem Videoschnelldurchlauf kommt ein von zwei Tänzern gespieltes Pferd herein und steht verloren in Bühnenprärie herum.

Es ist ein Panne, dass Lil Nas X jetzt nicht auftaucht. Offenbar steckt er noch in der Garderobe bei einem seiner sechs Kostümwechsel. Derweil trappelt der Klepper endlich nach rechts ab, und die Tänzer wirbeln in schicken weißen Cowboy-Kostümen herein. Wie diese acht athletischen Männer ihre sexy Linedance-Choreografie vortragen, ist ein echtes Highlight.

Und genau wie der Song „Old Town Road“ selbst ein spannendes Beispiel einer spielerischen popkulturellen Aneignung, die mal nicht in der üblichen Richtung abläuft – weißer Mensch schnappt sich ein schwarzes Genre –, sondern eben genau andersrum. Wobei Afroamerikaner*innen natürlich schon immer im Country mitgemischt haben. Die ästhetischen Klischees, die Lil Nas X zitiert, haben jedoch eher Weiße geprägt.

Der Sänger schafft es schließlich doch noch, sich zur „Old Town Road“-Party hinzuzugesellen. Ohne Cowboy-Hut, aber dafür mit goldenem Mikrofon. Er singt und rappt passabel, viele Gesangsspuren kommen an diesem Abend aber auch aus dem Rechner. Genau wie die gesamte Musik. Der 23-Jährige hat keine Band und keine Backgroundsänger*innen dabei, nur die Tänzer, die allerdings eine großartige Performance bieten.

Zum Start von „Don’t Want It“ führen sie in stilisierten Rokoko-Kostümen klassische Ballett-Sprünge und -Pirouetten auf. Sie umschwirren ihren mit blankem Sixpack-Oberkörper unter der Glitzeruniform auftretenden Sonnenkönig und verwandeln die in rosafarbenes Licht getauchte Bühne in einen super-queeren Camp-Palast.

Hier ist Lil Nas X sichtlich in seinem Element. Und die Chuzpe, mal kurz Beyoncés „Pure/Honey“ einzuspielen und dazu mit seinen Tänzern eine im Sitzen beginnende Choreografie einzubauen, ist keineswegs anmaßend. Eher wie eine schillernde Veranschaulichung der vielen Verweise auf die schwule Clubkultur, die Queen Bey auf ihrem „Renaissance“-Album macht.

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Als Lil Nas X dann gleich seinen eigenen Hit „That’s What I Want“ nachschiebt, kommt zum ersten Mal Stimmung in der Halle auf. Die an OutKasts „Hey Ya!“ erinnernde Uptempo-Nummer bringt die Fans zum Mitsingen, auch auf den Rängen wird getanzt. Und die kleine Liebesgeschichte, die der Sänger mit einem der Tänzer inszeniert, wirkt auf beiläufige Weise elegant und stimmig.

Solche Momente gibt es immer wieder, allerdings kommt die nur rund 70-minütige Show nie in einen Flow, weil sie ständig von Videoeinspielern unterbrochen wird und die meisten Songs in einem gehetzten Tempo absolviert werden. Ein bisschen mehr Zeit nimmt Lil Nas X sich immerhin für den Hit „Montero (Call Me By Your Name“), der nach seinem bürgerlichen Vornamen benannt ist und ihn endgültig als Superstar etablierte. Das extravagante Video, in dem er für den Teufel einen Lapdance aufführt, hat allein auf Youtube in eineinhalb Jahren mehr als 500 Millionen Klicks gesammelt und gibt auch die Ästhetik der Bühnenversion vor.

Ein Schmetterling flattert durch die Hölle

Lil Nas X entschlüpft hier einen spitz zulaufenden Ei, gebiert sich in der Hölle quasi selbst, wobei er in den aufgemotzten Flamenco-Sound des Songs sogar noch einen Schnipsel von Missy Elliots „Get Your Ur Freak On“ einbaut. Die erwartbaren Feuerfontänen spart sich der Star an dieser Stelle – wie in der gesamten Show. Er ist ja auch selber heiß genug.

Allerdings kommen sein Bühnen-Set-Up, das nur aus einer kleinen Tribüne besteht, sowie die bestenfalls solide Lichtregie insgesamt doch etwas mager daher. Zumal wenn man seine opulenten Video- und TV-Auftritte kennt. Vielleicht liegt es aber auch am Vergleich mit Stars wie Harry Styles, Kendrick Lamar und Billie Eilish, die in den letzten Monaten überwältigende Shows in Berlin gezeigt haben, dass ein gewisses Unterwältigungsgefühl aufkommt.

Eines hat Lil Nas X seinen Kolleg*innen allerdings voraus: Schmetterlingsflügel! Als seine Tänzer sie ihm anlegen und sanft bewegen, sieht er aus wie ein kleiner Junge, der sich seinen schwulen Kindheitstraum erfüllt hat. Das ist schon sehr anrührend und spätestens mit dem finalen Schmetterlingskonfetti-Regen hat Lil Nas X die ganze Halle verzaubert.

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