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Für das 1,5-Grad-Ziel wird es knapp. Doch jede eingesparte Tonne Kohlendioxid ist wichtig.

© IMAGO/Norbert Wienold

Wie viel CO₂ dürfen wir noch ausstoßen?: „Wir sollten nicht aufgeben, ganz im Gegenteil“

Um die Klimaerwärmung auf 1,5 Grad zu beschränken, dürfe weltweit nur noch halb so viel Kohlendioxid in die Atmosphäre gelangen, als Forscher bisher berechneten. Die kommenden sechs Jahre sind entscheidend.

Die Einhaltung des 1,5-Grad-Zieles aus dem Klimaabkommen von Paris könnte noch schwieriger werden als bisher angenommen. Berechnungen mit neuen Daten und verbesserten Modellen kommen zu einem ungünstigen Ergebnis: Um dieses Ziel nicht zu verfehlen, darf die Menschheit demnach deutlich weniger Kohlendioxid (CO₂) ausstoßen als noch im Sechsten Weltklimabericht der Vereinten Nationen (IPCC) geschätzt: nur 250 Milliarden Tonnen statt 500 Milliarden Tonnen.

Bei weltweiten CO₂-Emissionen auf dem Niveau von 2022 wäre diese Menge in etwa sechs Jahren aufgebraucht, schreibt eine Forschungsgruppe um Robin Lamboll vom Imperial College London im Fachmagazin „Nature Climate Change“. Unabhängige Experten warnen jedoch vor einer Überinterpretation des neuen CO₂-Budgets.

Es ist fast irrelevant, ob das Budget bei gleichbleibenden Emissionen in sechs Jahren – wie in dieser Studie – oder in zehn Jahren – wie vorher gedacht – aufgebraucht ist. Es ist in jedem Fall extrem eng.

Niklas Höhne, Leiter des New Climate Institutes in Köln

Das Pariser Klimaabkommen von 2015 zielt darauf ab, die Erderwärmung einzudämmen: Eine Begrenzung der Treibhausgas-Emissionen soll dafür sorgen, den Temperaturanstieg bis 2100 möglichst auf 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. In den vergangenen Jahren haben Klimaforscher:innen immer wieder anhand von Computermodellen und Berechnungen geschätzt, welche Menge an CO₂ zu einer Erwärmung von maximal 1,5 Grad führt.

Während im Sechsten Weltklimabericht von 2021 das verbleibende Budget noch mit rund 500 Milliarden Tonnen CO₂-Emissionen benannt wird, berechnen Lamboll und seine Kollegen in der aktuellen Studie lediglich 247 Milliarden Tonnen weiterer Emissionen – also der Hälfte der früheren Schätzung, so die Autoren. Bei gleichbleibendem aktuellem Niveau der globalen Treibhausgasemissionen würde das Budget in sechs Jahren aufgebraucht.

Allerdings bezog sich im Weltklimabericht die Restmenge auf die Zeit ab Anfang 2020, während die aktuelle Studie Bezug auf die Zeit ab Anfang 2023 nimmt.

Großen Anteil an dem Unterschied zur früheren Schätzung hat die Verwendung eines neuen Computermodells, das den durch Treibhausgase verursachten Klimawandel simuliert. Zudem verwendete das Forschungsteam aktuellere Daten über tatsächliche CO₂-Emissionen und über tauende Permafrostböden. Denn nach dem Rückgang des Ausstoßes im ersten Jahr der Corona-Pandemie 2020 lag die Menge der weltweiten CO₂-Emissionen 2022 wieder auf Vor-Corona-Niveau bei rund 40 Milliarden Tonnen pro Jahr.

Falls die Menschheit in den nächsten Jahren nicht mehr als 247 Milliarden Tonnen CO₂ ausstößt, dann besteht eine Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent, dass die Erderwärmung nicht über 1,5 Grad steigt. Für die Einhaltung des Zwei-Grad-Ziels wären es der Schätzung von Lamboll und Kollegen zufolge noch 1220 Milliarden Tonnen bei einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent.

Bei kontinuierlichen Emissionsminderungen bedeute dies, so das Forschungsteam, dass Netto-Null-Emissionen für das 1,5-Grad Ziel im Jahr 2035 erreicht sein müssten. Um das Zwei-Grad-Ziel mit einer 67-prozentigen Chance zu erreichen, wäre dies bis 2070 notwendig, für eine Chance von 90 Prozent bereits 2050.

Neujustierung überrascht nicht

Die Neujustierung der CO₂-Budgets nach unten kommt für Expert:innen nicht überraschend. Es sei die Folge neuer Daten und methodischer Aktualisierungen, sagt Gabriel Abrahão, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Department Transformationspfade am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) gegenüber dem Science Media Center (SMC). Ein großer Teil der Senkung der Kohlenstoffbudgets ergebe sich aus der einfachen Tatsache, dass die Menschheit seit der Veröffentlichung des bislang letzten Budgets weiterhin jedes Jahr rund 40 Milliarden Tonnen CO₂ ausstößt.

Studien sind wichtig, doch sie sollten angesichts der überwältigenden Evidenz und der Dringlichkeit politisch keinen Unterschied mehr machen.

Klaus Hubacek, Professor für Wissenschaft, Technologie und Gesellschaft an der niederländischen Universität Groningen

Da die Budgetschätzungen für das 1,5-Grad-Ziel sehr knapp bemessen sei, mache jedes Jahr, in dem die Emissionen nicht zurückgehen, einen großen Unterschied. Oliver Geden, Leiter des Forschungsclusters Klimapolitik am Deutschen Institut für Internationale Politik und Sicherheit (SWP) in Berlin, betont: Dass sich mit dieser neuen Methode das verbleibende CO₂-Budget halbiere, sei „grob irreführend“.

Das Budget im IPCC-Bericht von 500 Milliarden Tonnen CO₂ beginne am 1. Januar 2020, das in dieser aktuellen Studie neu berechnete Budget am 1. Januar 2023. Dazwischen lägen drei Jahre – grob geschätzt 120 bis 125 Milliarden Tonnen CO₂-Emissionen. Die Differenz zwischen den beiden Arbeiten betrage damit 125 bis 130 Milliarden Tonnen, rechnet Geden vor.

Laut Niklas Höhne, Leiter des New Climate Institutes in Köln, zeige die aktuelle Studie vor allem eins: Für das 1,5-Grad-Ziel werde es sehr, sehr knapp. „Es ist fast irrelevant, ob das Budget bei gleichbleibenden Emissionen in sechs Jahren – wie in dieser Studie – oder in zehn Jahren – wie vorher gedacht – aufgebraucht ist. Es ist in jedem Fall extrem eng. Und das ist keine neue Erkenntnis.”

Jede eingesparte Tonne Kohlendioxid ist wichtig

Aufgeben kommt für den Forscher dennoch nicht infrage. „Ganz im Gegenteil. Es zeigt, dass jede eingesparte Tonne Kohlendioxid umso wichtiger ist, weil das Budget so extrem knapp ist“, sagt Höhne. Und selbst wenn 1,5 Grad im mehrjährigen Mittel überschritten werden, sei es gut, vorher so viele Emissionen wie möglich eingespart zu haben, da jede eingesparte Tonne zu geringerer globaler Temperaturerhöhung führe und damit zu geringeren Schäden.

Und selbst wenn die 1,5 Grad für eine gewisse Zeit überschritten werden, könnte die globale mittlere Temperatur wieder sinken, wenn Emissionen auf null gesenkt sind und mehr CO₂ aus der Atmosphäre entfernt wird. „Auch dafür ist es von Vorteil, wenn vorher weniger emittiert wurde“, so Höhne.

Menschen können sich nicht anpassen

Vor allem die extremen Temperaturen und die damit einhergehenden Dürren, Stürme und Extremwetterereignisse des vergangenen Sommers hätten gezeigt, dass Menschen sich an einen ungebremsten Klimawandel nicht anpassen können. „Diese Studie ist ein weiterer Aufruf, in den Notfallmodus zu schalten und alles daranzusetzen, Treibhausgasemissionen so schnell wie irgend möglich zu reduzieren”, appelliert Höhne.

Es könnte schwerer sein, das 1,5-Grad-Ziel aus dem Klimaabkommen von Paris einzuhalten als bisher angenommen.

© dpa/Boris Roessler

Auch Klaus Hubacek, Professor für Wissenschaft, Technologie und Gesellschaft an der niederländischen Universität Groningen, äußert sich ähnlich: „Während Studien wie die vorliegende wichtig und akademisch interessant sind, sollten sie angesichts der überwältigenden Evidenz und der Dringlichkeit politisch keinen Unterschied mehr machen.“ Die Trägheit liege in der Reaktion und Widerständen im politischen System. Nicht nur die Wissenschaft, auch Politik und Ölkonzerne seien sich des Problems schon seit vielen Jahrzehnten bewusst, doch es wurden noch keine ausreichenden Maßnahmen ergriffen.

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Die Forschung müsse sich auf Mechanismen konzentrieren, die die Menschheit daran hindern, dringende Maßnahmen zu ergreifen. „Leider brauchen wir jetzt auch immer mehr Forschung zur richtigen Anpassung, da wir es vermasselt haben, dem Klimawandel Einhalt zu gebieten und potenziell bereits irreversible Veränderungen ausgelöst haben.” Ein verstärkter Schwerpunkt müsse darauf gelegt werden, wie man Wirtschaft und Gesellschaft schnellstmöglich dekarbonisieren kann, so Hubacek.

Überschreitung wieder umkehren

Abrahão ergänzt, dass in der öffentlichen Debatte und den internationalen Klimaverhandlungen auch darüber diskutiert werden müsste, wie man nach einer Überschreitung wieder auf 1,5 Grad Erwärmung zurückkehren kann, damit die vorläufige Überschreitung nicht dauerhaft wird. „Die Tatsache, dass wir das Budget so schnell ausschöpfen, zeigt, wie langsam Veränderungen in den menschlichen Systemen zur Reduzierung der Emissionen sein können.“

Selbst wenn sich das Klima nicht von einem Jahr zum anderen oder beim Überschreiten eines bestimmten Ziels sichtbar und spürbar verändere, müssten Maßnahmen zur Emissionsreduzierung schnell und entschlossen ergriffen werden, um die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels in einigen Jahren zu vermeiden.“

Die Botschaft, egal welche Methode in der Klimaforschung genutzt werde, bleibe laut Carl-Friedrich Schleussner immer die Gleiche: „Die aktuelle Dekade ist die kritische Dekade“, so der Leiter der Forschungsgruppe „Zeitliche Entwicklung von Anpassungshindernissen und ihre Bedeutung für klimabedingte Verluste und Schäden“ an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Um das Ziel in Reichweite halten zu können, müssten die globalen Treibhausgasemissionen noch vor 2025 endlich sinken – auf dem Weg zu einer ungefähren Halbierung im Jahr 2030 und Netto-Null-Emissionen bis 2050. „Gleichzeitig – und auch das ist wichtig zu erwähnen – liefern die Autoren der aktuellen Studie auch eine Abschätzung für das Budget, um ‚deutlich unter zwei Grad zu bleiben‘ – mit 90 Prozent Wahrscheinlichkeit: Das Restbudget dafür ist 500 Gigatonnen CO₂.“ (mit dpa)

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