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Nachruf: Sucht ohne Stoff

Zum Tod der Psychologin Sabine Grüsser-Sinopoli.

Erst Anfang Oktober hatte Sabine Grüsser-Sinopoli, zusammen mit einigen Mitarbeitern aus ihrer Forschungsgruppe, die Charité verlassen und war einem Ruf an die Universität Mainz gefolgt. Es lockte eine große Aufgabe: Ein Forschungszentrum zum Thema Verhaltenssucht aufzubauen.

In Sachen Glücksspiele, Computer- und Internetsucht war die Medizinpsychologin Grüsser-Sinopoli eine führende Expertin. Am 3. Januar ist sie gestorben. Völlig überraschend und wahrscheinlich infolge der Komplikationen eines grippalen Infekts, kurz nach ihrem 43. Geburtstag und nach dem Umzug der Familie an ihre neue Wirkungsstätte an der Mainzer Uniklinik.

Grüsser-Sinopoli hatte neben Psychologie auch Humanmedizin, Ethnologie und Vor- und Frühgeschichte studiert und ihre Doktorarbeit bei Herta Flor an der Humboldt-Universität zum Phänomen des Schmerzes nach Amputationen geschrieben. Am Institut für Medizinische Psychologie der Charité leitete sie bis zu ihrem Ruf nach Mainz eine fächerübergreifende Forschungsgruppe.

Das wissenschaftliche Interesse der Forscherin galt besonders der Frage, wie sich die Entstehung abhängigen Verhaltens biologisch und psychologisch erklären lässt. Neben Alkohol, Cannabis und anderen Drogen interessierten sie dabei zunehmend die Suchterkrankungen, die an keinen „Stoff“ gebunden sind. Mit pathologischem Glücksspiel, Kaufsucht und der unmäßigen Nutzung von Medien wie Computer, Fernsehen und Mobiltelefonen hatte sie moderne Süchte im Blick, denen vor allem jüngere Menschen zu verfallen drohen.

Dass es Abhängigkeit auch ohne Vorhandensein einer klassischen Droge geben kann, beweisen dabei Entzugserscheinungen wie extreme motorische Unruhe. Zudem kann man mit moderner Bildgebung zeigen, dass etwa Computersüchtige auf entsprechende Reize deutlich anders reagieren als Kontrollpersonen.

Sabine Grüsser-Sinopoli, selbst Mutter eines kleinen Sohnes, suchte intensiv nach wissenschaftlich fundierten Konzepten zur Vorbeugung und zur Behandlung dieser krankhaften Verhaltensveränderungen. Im Unterschied zu den klassischen Drogen kann es beim Computer schließlich keine vollkommene Abstinenz geben. Ziel der Behandlung muss es sein, moderne Medien nutzen zu können, ohne zu ihnen automatisch Zuflucht zu nehmen, wenn Stress und negative Emotionen bekämpft werden sollen.

In Mainz versichert man, die Erforschung der modernen stoffungebundenen Süchte werde auch nach dem Tod der engagierten Psychologin fortgesetzt. Auch eine praxisorientierte Tagung zur Mediensucht für Ärzte, Psychologen und Lehrer, die auf Initiative von Sabine Grüsser-Sinopoli zurückgeht, soll wie geplant Ende des Monats in Berlin stattfinden. Sie wird nicht nur dort fehlen.

Adelheid Müller-Lissner

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