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Kernforschung: Strahlende Zukunft

Endlager für Atommüll sollen eine Million Jahre lang halten. Ist das überhaupt möglich – und wo?

In einer Million Jahre kann allerhand passieren. Manche Kontinente bewegen sich in diesem Zeitraum 50 Kilometer weit und demolieren dabei ganze Landstriche. Mitteleuropa erlebte in dieser Zeitspanne drei Eiszeiten, in denen riesige Gletscher das Festland durchkneteten. Auch Homo sapiens brauchte immerhin rund eine Million Jahre, um die Erde zu erobern. Genau so lange sollen Endlager für hochradioaktiven Müll halten, fordert Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD). Auf einer internationalen Fachtagung, die am Donnerstag in Berlin beginnt, wollen Experten darüber beraten, wo Atommüll in Deutschland am sichersten entsorgt werden kann.

Lange Zeit wurde der Salzstock Gorleben favorisiert. Doch dessen Erkundung wurde im Jahr 2000 infolge des rot-grünen Atomkonsens gestoppt. Während die Unionsparteien an Gorleben festhalten, will Gabriel „ergebnisoffen“ nach weiteren Standorten suchen lassen. Welche Möglichkeiten gibt es eigentlich?

STEINSALZ

Die weißen Kristalle haben eine wichtige Eigenschaft: Sie halten dicht. Denn Steinsalz ist plastisch verformbar. Sobald ein Hohlraum entsteht – sei es eine natürliche Kluft oder ein Endlager für Atommüll – wird dieser im Laufe der Zeit geschlossen. „Kriechen“ nennen das die Bergleute. Dank dieser Selbstheilung wäre eine atomare Mülldeponie nach außen stets gut abgedichtet, sagen Geowissenschaftler. „Denn wir müssen sicher sein, dass zu keiner Zeit Wasser mit radioaktiven Bestandteilen aus dem Endlager in die Biosphäre gelangt“, sagt Volkmar Bräuer von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Hannover. Allerdings sind die Salzkristalle besser löslich als viele andere Gesteine – strömt zu viel Wasser heran, könnte trotzdem ein Loch in das Atommüll-Grab gespült werden. Je dicker die Salzhülle um das Endlager ist, umso geringer ist die Gefahr, dass es zu einem Durchbruch kommt. Dass das Risiko besteht, hat sich im Versuchsbergwerk Asse gezeigt, wo wider Erwarten Wasser in die Halden für schwach- und mittelradioaktiven Müll eindringt.

Steinsalz ist auch aus einem anderen Grund interessant. Hochradioaktiver Atommüll entwickelt enorme Hitze, vor allem zu Beginn, wenn noch viele Atome vorhanden sind, die zerfallen. Das Salz behält seine Eigenschaften auch bei hohen Temperaturen, mindestens bis 200 Grad Celsius. „Alle übrigen Gesteine, die für Endlager erforscht werden, verändern sich ab etwa 100 Grad, so dass man diese sicherheitshalber nicht höheren Temperaturen aussetzen will“, sagt Bräuer. Wollte man hochradioaktiven Müll in Steinsalz lagern, könnte man diesen einige Jahre früher unter die Erde bringen und müsste ihn nicht so lange in Zwischenlagern aufbewahren.

TONSTEIN

Tonschichten haben als Endlager einen großen Vorteil. Sollten aus den Müllbehältern Flüssigkeiten oder Gase austreten, können die Sedimente große Mengen radioaktiver Verbindungen fixieren: Diese gehen eine stabile chemische Bindung mit den Tonmineralen ein. „Sorptionsfähigkeit“ sagen die Forscher dazu. Ebenso wie Salz können bestimmte Arten von Ton vorhandene Hohlräume verschließen. Sobald sie mit Flüssigkeit in Kontakt kommen, quellen sie auf. Sie werden vom Wasser aber kaum gelöst oder fortgeschwemmt. Aufgrund dieser Eigenschaften werden Tonsteine in Frankreich oder der Schweiz als mögliche Endlager gehandelt und intensiv erforscht. Auch BGR-Wissenschaftler sind an Experimenten in den Versuchsschächten beteiligt. Zwar gibt es hierzulande ebenfalls Tonschichten, die für Endlager infrage kommen. Eine detaillierte Untersuchung der hiesigen Gesteine ist aber aufgrund des Endlagerstreits in der Regierungskoalition blockiert.

KRISTALLINE GESTEINE

Die Idee, radioaktiven Müll in Kristallingestein und nicht in Sedimentschichten zu bringen, ist am weitesten zur Realität geworden. Auf der finnischen Ostseeinsel Olkiluoto wird das weltweit erste Endlager errichtet, in Granit. Kristallingesteine haben den Vorteil, dass sie sehr stabil sind. Sie können allerdings Spalten nicht selbst verschließen und auch keine radioaktiven Atome binden. Deshalb bedient man sich eines Tricks. Der Hohlraum zwischen Müllbehältern und Fels soll mit Bentonit verfüllt werden. Das ist ein industriell aufbereiteter Ton, der unter anderem zur Abdichtung von normalen Mülldeponien verwendet wird. Bentonit ist quellfähig und hat ein hohes Sorptionsvermögen. Statt einer natürlichen Barriere setzen die Techniker also auf eine künstliche.

In Deutschland wird es wohl kein Endlager im Kristallingestein geben. „Dazu benötigt man Granitvorkommen, die sich über mindestens zehn Quadratkilometer erstrecken und nur wenige Spalten haben“, sagt Bräuer. Diese Kombination sei hierzulande aber nicht zu finden.

Das heißt: Jedes Land muss das Beste aus seinen geologischen Voraussetzungen machen. Ist das nicht ungerecht, ja sogar gefährlich? Wenn etwa ein Endlagertyp sicherer wäre als ein anderer – aber nur in bestimmten Gebieten errichtet werden kann und sich deshalb manche Staaten mit zweitklassigen Deponien begnügen müssen? „Man kann zwei Endlager nicht vergleichen, wie zum Beispiel zwei Zahlen“, sagt Klaus-Jürgen Röhlig, Mathematiker und Experte für Endlagersysteme an der Universität Clausthal-Zellerfeld. Denn bei der Sicherheitsbewertung spielten viele Faktoren eine Rolle. Die geologischen Bedingungen seien an jedem Standort anders und man müsse entsprechende Technik einsetzen, um die Hohlräume sicher zu verschließen.

Außerdem sollte man die Infrastruktur im Blick haben, schließlich darf es nicht zu aufwendig sein, den Atommüll anzuliefern und in den Untergrund zu bringen. „Es geht nicht darum, den perfekten Standort zu finden, sondern herauszufinden, ob ein potenzielles Endlager ausreichend Sicherheit bietet – und das kann durchaus an mehreren Stellen der Fall sein“, sagt Röhlig.

Auch der BGR-Forscher Bräuer glaubt, dass sichere Endlager möglich sind: „In Norddeutschland etwa sind die Risiken für Erdbeben oder Vulkanausbrüche so gering, dass man selbst für eine Million Jahre eine gute Prognose geben kann.“ Anders verhalte es sich mit dem Klima. „Wir gehen davon aus, dass in den nächsten 100 000 Jahren noch eine Eiszeit kommt“, sagt der Geowissenschaftler. Schon deshalb sollten Endlager in mehreren 100 Metern Tiefe errichtet werden, um Deformationen durch Gletscher zu vermeiden.

Es gibt noch ein weiteres Kriterium bei der Suche nach einer Atommüll-Halde, das weder Ingenieure noch Geowissenschaftler fassen können: der Mensch. Kann er Kommunikationsformen finden, um den Generationen in 10 000 Jahren – gerade ein Prozent der avisierten Lagerzeit – verständlich zu machen, dass unter ihren Füßen Gefahr droht?

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