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An Bord des Forschungsschiffs „JOIDES Resolution“ unternahmen die Forscher Bohrungen in den Meeresgrund und sammelten seismische Daten.

© Erick Bravo and Thomas Ronge (JRSO-IODP) 

Frühwarnung fürs Ferienziel: Mittelalterlicher Ausbruch von Santorin-Vulkan ließ das Meer kochen

Mehrfach gab es explosive Ausbrüche des Santorin-Vulkans, mit katastrophalen Folgen. Eine Eruption im Jahr 726 war weit stärker als vermutet. Könnte sich das wiederholen?

Von Walter Willems, dpa

Der griechische Santorin-Archipel zählt zu den bestuntersuchten Vulkansystemen weltweit. Doch die Analyse eines internationalen Forschungsteams zeigt nun, dass das Ausmaß einer Eruption im Mittelalter stark unterschätzt wurde. Angesichts der Möglichkeit eines neuen Ausbruchs brauche man „Frühwarnstrategien für Santorin mit seinen mehr als 15.000 Einwohnern und jährlich mehr als zwei Millionen Touristen“, schreibt die Gruppe um Jonas Preine von der Universität Hamburg im Fachblatt „Nature Geoscience“.

Blauer Himmel, weiße Dächer, steil aus dem Meer aufragende Felswände: Der Archipel Santorin (Santorini) ist eines der beliebtesten Reiseziele der Ägäis. Gleichzeitig zählt die Inselgruppe zum Kykladenbogen, einer Inselkette in der südlichen Ägäis mit mehr als 20 Vulkanen, die überwiegend unter dem Meeresspiegel liegen.

Lange Geschichte von Eruptionen

Am aktivsten ist das Vulkansystem von Santorin. Die Aktivität begann vor etwa 650.000 Jahren auf der damaligen Vulkaninsel Thera, in den letzten 500.000 Jahren gab es etliche explosive Eruptionen. Mindestens fünf davon hinterließen sogenannte Calderen. Dabei stürzt das Dach über der ausgeleerten Magmakammer ein, und es entsteht ein kesselförmiger Krater.

Bei der letzten solchen Explosion um 1600 vor Christus wurden schätzungsweise 35 Kubikkilometer Gestein hinausgeschleudert. Die Katastrophe könnte zum Niedergang der minoischen Kultur auf Kreta geführt haben. Aus der dabei entstandenen Caldera wuchs später durch austretende Lava der Vulkan Kameni, dessen zwei Gipfel heute die Inseln Palea Kameni und Nea Kameni im Zentrum des Santorin-Archipels bilden. Der Kameni brach zwischen den Jahren 197 vor Christus und 1950 mehrfach aus, unter anderem im Jahr 726. Unruhig war er zuletzt im Jahr 2011/2012.

Gesteinsregen in 400 Kilometern Entfernung

Bislang dachte man, dass Caldera-Zyklen stets ähnlich ablaufen: Auf eine explosive Eruption mit Ausleerung der Magmakammer folgen demnach kleinere Ausbrüche mit austretender Lava, die stärker werden, während sich das unterirdische System allmählich wieder mit Magma füllt. 

Die aktuelle Studie widerlegt diese Annahme. Anhand von vier Bohrungen in der Caldera in bis zu 120 Metern Tiefe rekonstruierte das Team den bereits bekannten Ausbruch des Kameni von 726. Dieser war demnach mit einem Vulkanexplosivitätsindex von 5 viel stärker als bisher angenommen. Bislang war man von maximal 3 bis 4 ausgegangen. Mit einem so heftigen Ausbruch hätte man gängigen Modellen zufolge erst viel später gerechnet.

Bohrungen in den Meeresgrund liefern Bohrkerne mit den in verschiedenen Phasen abgelagerten Sedimenten. Je tiefer man bohrt, umso weiter dringt man auf diese Weise in die Vergangenheit vor.
Bohrungen in den Meeresgrund liefern Bohrkerne mit den in verschiedenen Phasen abgelagerten Sedimenten. Je tiefer man bohrt, umso weiter dringt man auf diese Weise in die Vergangenheit vor.

© Erick Bravo and Thomas Ronge (JRSO-IODP)

Mit einem Auswurfvolumen von 3,1 Kubikkilometern Bimsstein und Asche, umgerechnet ein Kubikkilometer dichtes Gestein, war die damalige Eruption mit dem Ausbruch des Mount St. Helens 1980 im US-Bundesstaat Washington vergleichbar. 

„Historische Berichte erwähnen, dass im Sommer 726 das Meer in der Santorin-Caldera zu kochen begann, bis dichter Rauch aufstieg, was von pyroklastischen Eruptionen begleitet wurde“, hieß es. Pyroklastische Ströme sind Ströme aus heißer Asche, Gestein und Gas. „Anschließend wurden große Bimsstein-Blöcke in solcher Menge ausgeschleudert, dass sie das Meer auf einer enormen Fläche bedeckten und die mehr als 400 Kilometer entfernten Küsten von Makedonien und Kleinasien erreichten.“

Anfällig für Hangrutschungen

Heutzutage hätte ein ähnliches Ereignis nicht nur schwere Folgen für die Bewohner von Santorin, sondern für den ganzen östlichen Mittelmeerraum, warnt die Gruppe. Sie nennt Tsunamis, Bimsstein-Teppiche auf dem Meer und Aschewolken. Flug- und Schiffsverkehr könnten gefährdet, Unterwasserkabel beschädigt werden.

„Es ist sehr unwahrscheinlich, dass eine vergleichbare Eruption wie die von 726 in naher Zukunft wieder passieren wird“, betont Erstautor Preine auf Anfrage. Doch Gefahr geht auch von Hangrutschen aus, ausgelöst etwa durch Erdbeben. Das Team verweist auf den Hangrutsch am indonesischen Vulkan Anak Krakatau, bei dem im Jahr 2018 mehr als 400 Menschen durch eine Flutwelle ums Leben kamen.

Der Vulkan formte mit seiner kesselförmigen Vertiefung (Caldera) die Landschaft von Santorini.
Der Vulkan formte mit seiner kesselförmigen Vertiefung (Caldera) die Landschaft von Santorini.

© Jonas Preine/GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel

Der Studie zufolge besteht der Kameni-Kegel teilweise aus unbefestigten Sedimenten von Bimsstein und Asche, darüber liegen aufgelagerte Lavaströme von späteren Eruptionen. Die Hänge erreichen demnach eine Neigung von bis zu 20 Grad, „was den Vulkan für eine Instabilität der Flanke anfällig macht“. Einen Hangrutsch samt Tsunami gab es im Jahr 1650 beim Ausbruch des sieben Kilometer entfernten Vulkans Kolumbo. „Ein vergleichbarer Flankenkollaps des Vulkans Kameni sollte als mögliches Gefahrenpotenzial für die Region betrachtet werden“, schreibt die Gruppe.

Dass es innerhalb von Caldera-Zyklen zu explosiven Ausbrüchen kommen kann, gilt nicht nur für Santorin: Als weiteres Beispiel nennt die Gruppe die Phlegräischen Felder bei Neapel. „Die Studie zeigt klar, dass auch in der Frühphase nach dem Ausleeren der Magmakammer explosive Eruptionen auftreten können“, sagt Julie Belo vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, die nicht an der Arbeit beteiligt war. „Gerade bei Inseln wird das Ausmaß von Vulkanausbrüchen oft unterschätzt, wenn man nicht die Ablagerungen am Meeresgrund untersucht.“

Die Expertin plädiert ebenfalls für ein Frühwarnsystem. „Ein Vulkanausbruch oder ein Flankenkollaps, auf den niemand vorbereitet wäre, könnte schlimme Folgen haben.“

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