zum Hauptinhalt
Die Präparate bleiben das Herzstück der Ausstellung.

© Thomas Bruns, Berlin / BMM

Neue Leiterin des Museums der Berliner Charité: Sie erzählt die Geschichten der Krankenbetten

Monika Ankele ist neue Leiterin des Medizinhistorischen Museums der Charité. Die Expertin für die Historie von Krankenbetten will neue Schwerpunkte auf die Verbindung von Kunst mit Medizin legen.

Wenn Monika Ankele einen Lieblingsort an ihrem neuen Arbeitsplatz aufsucht, geht sie in den historischen Krankensaal. Hier können Besucherinnen und Besucher des Medizinhistorischen Museums der Charité an die Patientenbetten aus der Vergangenheit treten und etwas über deren Krankheiten und die damaligen Behandlungsmethoden erfahren. Neben dem klassischen Bett ist auch ein hölzerner Gebärstuhl oder eine Eiserne Lunge zu sehen.

„Die Medizingeschichte war lange Zeit eine Geschichte großer Ärzte und ihrer Entdeckungen. Die Patienten und Patientinnen, die eigentlich im Zentrum der Medizin stehen, wurden dabei oft ausgeblendet“, sagt Monika Ankele. Seit März ist sie Professorin für Medizingeschichte und Medizinische Museologie der Charité und damit auch neue Direktorin des Berliner Medizinhistorischen Museums (BMM). Sie folgt auf Thomas Schnalke, der das Haus 23 Jahre geleitet hat.

„Die ersten Ausstellungen, die ich plane, werden einen Blick auf die Medizin aus der Perspektive der Patient:innen entfalten und dabei auch künstlerisch forschende Zugänge einbeziehen“, sagt die Historikerin. Sie sitzt an einem Tisch vor einem der neuen meterhohen Fenster des Museums, das im letzten Jahr nach dreijähriger Modernisierung wiedereröffnet wurde. Draußen liegt der Campus Charité Mitte mit seinen historischen Backsteinbauten, die seit der erfolgreichen TV-Serie „Charité“ um Mediziner wie Robert Koch oder Ferdinand Sauerbruch noch bekannter geworden sind.

Die Historikerin hat ein Faible für die Betten in der Psychiatrie

Ankele war zuletzt am Lehrstuhl für Geschichte der Medizin der Medizinischen Universität Wien tätig. Die gebürtige Österreicherin studierte in Graz und Wien Geschichte und Kulturmanagement, zudem Kunstgeschichte, Medienwissenschaften und Publizistik.

Ein Schwerpunkt ihrer Forschung ist die Geschichte des Krankenbettes in Psychiatrien im 19. und 20. Jahrhundert. In diesen Einrichtungen waren Patientinnen und Patienten zunächst in kleinen nebeneinanderliegenden Einzelzellen untergebracht.

Prof. Monika Ankele, neue Leiterin des Medizinhistorischen Museums der Charité.

© Charité | Artur Krutsch

Im Zuge der beginnenden Professionalisierung der Psychiatrie änderte sich das. Die Ärzte wollten, dass ihre Anstalten nicht länger wie Gefängnisse aussehen, sondern wie „richtige“ medizinische Einrichtungen. Sie führten die Bettbehandlung ein, es entstanden große Krankensäle, die aussahen wie in damaligen Krankenhäusern.

Das Liegen als zentrale Erfahrung

Gleichzeitig lösten die Mediziner damit ein anderes Problem: Viele ihrer Pfleglinge nahmen sich nicht als krank wahr. „Das Krankenbett sollte das übernehmen, was den Ärzten nicht gelang: nämlich den Patienten zeigen, dass sie krank sind“, sagt Ankele. Als suggestive Wirkung des Krankenbettes beschrieben die Mediziner dies damals. Zudem mussten die Betroffenen zu dieser Zeit manchmal tage- oder gar wochenlang in der Badewanne liegen, weil man sich davon eine beruhigende Wirkung erhoffte.

Der Krankensaal der Psychiatrischen und Nervenklinik der Charité, um 1910.

© BMM

„An der Geschichte der Psychiatrie lässt sich sehr gut zeigen, wie sehr das Liegen und das Bett ganz zentral die Erfahrung von Kranksein prägen“, sagt Ankele. Bett an Bett mit fremden Menschen verbrachten viele der damaligen Behandelten aufgrund mangelnder Privatsphäre Stunden unter ihrer Decke, wo sie Briefe schrieben, aßen oder strickten. Es gab verschiedene Formen von Betten, um die Kranken unter Kontrolle zu halten: geschlossene Betten mit hohen seitlichen Holzwänden oder auch solche, die von Netzen überspannt waren.

Zeugnisse aus der Frauen-Psychiatrie

In einem weiteren Forschungsprojekt hat sich Ankele mit dem Alltagsleben von Frauen in Psychiatrien um 1900 beschäftigt. Dazu untersuchte sie Selbstzeugnisse von Patientinnen aus der Sammlung Prinzhorn, die aus verschiedenen Anstalten in Deutschland stammen – Zeichnungen, textile Arbeiten, Briefe, Notizen. 

Die Psychiatrien, in denen Hunderte Menschen untergebracht waren, lagen meist weit abgelegen auf dem Land, waren autarke Gebilde mit eigener Landwirtschaft und Werkstätten. Viele, die dort eingeliefert wurden, blieben oft bis zu ihrem Tod in der Anstalt.

Die Frauenabteilung der Charité war im heutigen Berlin-Mitte untergebracht.

© imago/Arkivi

Wenn sie dort ankamen, ließen sie ihr altes Leben zurück und mussten alles, was eine Verbindung zu ihrem bisherigen Leben herstellte, abgeben. „Sie kamen sozusagen nackt in die Psychiatrie“, sagt Ankele. „Ihre Selbstzeugnisse zeigen, wie manche von ihnen versucht haben, ihres Selbst wieder habhaft zu werden.“

So wollte etwa eine Patientin aus Dresden verhindern, dass Ärzte und Pflegepersonal zu nah an ihr Bett traten. Nach und nach gestaltete sie sich aus gesammelten Papieren und Akten einen Schutzwall um ihr Bett herum. Zudem hielt sie darunter einen Siebenschläfer.

Eine andere Frau, Agnes Richter, die zuvor als Näherin gearbeitet hatte, bestickte ein Jäckchen mit persönlichen Erinnerungen und Texten. Die Fäden muss sie sich im Alltag mühsam zusammengesammelt haben. Lesen kann man die Schrift nur aus der Sicht der Trägerin der Jacke. „Sie hat so gestickt, als ob sie einen Stift führen würde“, sagt Ankele. „Das ist besonders spannend, weil weiblich konnotierte Praktiken wie das Sticken in der Kunstgeschichte lange Zeit keine Aufmerksamkeit bekamen.“

Die Organe in Gläsern bleiben Herzstück der Ausstellung

Herzstück des Medizinhistorischen Museums der Charité, das 1899 als „Pathologisches Museum“ gegründet wurde, wird auch weiterhin die Dauerausstellung sein, in der neben der neu arrangierten pathologisch-anatomischen Sammlung von Rudolf Virchow zahlreiche weitere Objekte aus 300 Jahren Medizingeschichte zu sehen sind.

In zukünftigen Wechselausstellungen will Ankele, die bereits am Medizinhistorischen Museum in Hamburg Ausstellungen kuratiert hat, einen Schwerpunkt auf die Verbindung zwischen Kunst und Medizin legen. Dabei möchte sie vor allem künstlerisch forschende Zugänge einbeziehen.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

2022 gründete sie gemeinsam mit der Medienkulturwissenschhaftlerin Céline Kaiser das Institute for Medical&Health Humanities and Artistic Research. Als Beispiel für forschende Kunst nennt sie die Künstlerin Barbara Graf. Nach ihrer Diagnose Multiple Sklerose visualisierte sie in Zeichnungen die mit der Krankheit einhergehenden Empfindungen, die sich für sie vor allem textil anfühlen, zum Beispiel wie ein Stoffband, das sich um den Fuß schlingt. „Mit den Methoden der Kunst lassen sich Themen rund um Krankheit und Gesundheit noch einmal ganz anders zugänglich machen“, sagt Ankele.

Das kann man sich derzeit auch schon einmal am Beispiel des Gehirns ansehen. Noch bis zum 8. September 2024 zeigt das Medizinhistorische Museum die Sonderausstellung „Das Gehirn in Kunst und Wissenschaft“. Neben menschlichen Gehirnpräparaten oder einem Exo-Skelett, das sich mit der Kraft der Gedanken steuern lässt, sieht man hier auch künstlerische Arbeiten wie Hirnschnitte aus Stoffresten von Birgit Dieker oder ein Bild des Fotokünstlers Thomas Struth vor einer Hirnoperation.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false