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Wissen: Mut zur Kreativität

Gustav Born, Sohn eines der brillantesten Physiker und selbst Wissenschaftler, spürte an der FU der Frage nach, was die Wissenschaft voranbringt

„Es ist nicht immer leicht, Sohn eines Genies zu sein“, gibt Gustav Born ohne Bitterkeit zu. Sein Vater ist Max Born, der in den zwanziger Jahren im Zentrum jener Göttinger Wissenschaftler stand, die mit ihren Forschungen zur Quantentheorie die Grundlagen der modernen Physik legten. 1954 wurde er mit dem Nobelpreis für Physik geehrt. Auch die Mutter Hedwig Born kam aus einer bekannten Akademikerfamilie, deren Vorfahren bis zu Martin Luther zurückreichten. Wissenschaftliches Denken prägte das Elternhaus. „Ich war einem solch hohen Level von Gelehrtheit und Intelligenz ausgesetzt, das hatte in meinem Fall erst einmal einen hemmenden Einfluss“, sagt er heute. Zum Glück hat es der Vater dem Sohn so leicht wie möglich gemacht. „Er war der netteste Mensch, den man sich vorstellen kann.“ Zu seinem 16. Geburtstag schrieb ihm der Vater zum Beispiel, dass er trotz seiner Jugend sein bester Freund und Kamerad sei. „Wir haben immer über alles miteinander geredet“, erinnert sich der heute 83-jährige Gustav Born.

Gustav Born war sein Leben lang umgeben von Forschern und nicht wenige waren Nobelpreisträger. Es ist also nahe liegend, dass er kürzlich auf einem Symposium mit fünfen dieser Würdenträger an der Freien Universität Berlin über Kreativität und Originalität in der Wissenschaft sprach. Öffentliche Auftritte dieser Art nimmt Gustav Born eher selten wahr. Er ist ein bescheidener Mensch, der sich an einen Rat seines ehemaligen Chefs Howard Florey hält – im Übrigen auch ein Nobelpreisträger. Der riet seinen Studenten und Kollegen: „Schreibt keine Bücher, sondern macht Experimente.“ Gustav Born ist gern nach Dahlem gekommen, auch wenn er es für eine Schwäche von älteren Wissenschaftlern hält, über so allgemeine Themen wie Kreativität zu reden, wie er selbstironisch zugibt. „Das ist eine Ausnahme, normalerweise bleibe ich bei meinen Leisten, wie jeder gute Schuster“, sagt Gustav Born fast entschuldigend.

Seine Leisten, das ist die Medizin. Dazu kam er nicht ganz ohne den Einfluss des Vaters. „Während meines letzten Schuljahres riet er mir, Medizin zu studieren. Denn als Arzt müsse ich im Krieg keine Menschen töten.“ Außerdem wäre es auch nicht so gefährlich. Damals war die jüdische Familie Born schon nach Großbritannien emigriert, wohin sie 1933 vor den Nazis geflohen war. In London und später in Edinburgh fanden Max und Hedwig Born mit ihren drei Kindern ein neues Zuhause. Die Emigration tat der Kreativität des Vaters keinen Abbruch. „Er hatte dort die Gelegenheit, eine neue Arbeitsgruppe aufzubauen“, sagt Gustav Born.

Nach der Pensionierung des Vaters kehrten die Eltern 1953 ohne ihre Kinder nach Deutschland zurück. Viele Freunde haben das nicht verstanden. „Es war bestimmt nicht nahe liegend, dass Juden nach Deutschland zurückkehrten. Auch wir haben Verwandte verloren“, erinnert sich Gustav Born. „Einstein sagte zum Beispiel ,Nein, ich will nie wieder etwas mit dem Land der Massenmörder zu tun haben.‘ Das ist sehr verständlich.“ Gustav Born verstand seine Eltern, auch wenn er etwas Unbehagen verspürte. Einer der Gründe für die Rückkehr war, dass sie in Großbritannien nur wenig Geld bekamen, in Deutschland dagegen das Gehalt einer Professorenstelle. „Doch noch wichtiger war, dass meine Eltern Deutschland helfen wollten, sich zu rehabilitieren und eine Demokratie aufzubauen. Ein Jahr später bekam mein Vater den Nobelpreis, und das half dabei enorm.“ Nach der Pensionierung war es eine der Hauptbeschäftigungen Max Borns, die Menschen innerhalb und außerhalb Deutschlands über die gesellschaftlichen Konsequenzen der wissenschaftlichen Entdeckungen aufzuklären. Die dafür nötige strenge Moral hatte er. Auch während des Krieges hatte sich der Physiker geweigert, an der Entwicklung der Atombombe mitzuarbeiten. Darauf ist Gustav Born besonders stolz.

Heute führt er die Arbeit seiner Eltern fort. Seit etlichen Jahren ist er Pate für zwei Gymnasien in Süddeutschland, die den Namen des Vaters tragen. Wenn er die Jugendlichen besucht, dann fragen sie ihn über die Vergangenheit aus. „Und ich erzähle es ihnen. Das war ja nicht deren Schuld“, sagt er mit Blick auf die leidvollen Kriegsjahre. Leise fügt er hinzu: „Man kann doch nicht alles nachtragen, oder?“

Gustav Born blieb nach dem Krieg in England, wurde Medizinprofessor in London und machte sich mit seinen Arbeiten zur Blutgerinnung und zum Blutkreislauf einen Namen. „Das Erstaunliche ist, dass ich meine originellsten Einfälle gar nicht auf meinem eigentlichen Gebiet hatte“, wundert er sich heute. Am besten gefällt ihm eine einfache Idee, die er in den achtziger Jahren hatte: Lange war bekannt, dass die roten Blutzellen größer sind als die Kapillaren, durch die sie im Körper hindurch fließen müssen. Wie machen sie das? Zusammen mit einem deutschen Kollegen kam er darauf, dass dafür negative elektrische Ladungen verantwortlich sind, die an der Oberfläche der Kapillaren und auch auf den roten Blutkörperchen sitzen. Sie stoßen sich ab, und das wirkt wie ein Gleitmittel. Diese Idee haben allerdings nur wenige aufgegriffen. „Die Dinge entwickeln sich eben in Moden. Meine Kollegen waren nicht besonders daran interessiert, aber sie werden es sein.“ Da ist er sich sicher.

Den Mut, seine Ideen so selbstsicher zu vertreten, hatte er jedoch nicht immer. Ohne es sich damals einzugestehen, war er durch das hohe intellektuelle Niveau in seiner Umgebung eingeschüchtert. Das wurde erst in der zweiten Hälfte seines Lebens anders. Gustav Born vermutet, dass viele Studenten an den besten Universitäten an einem ähnlichen Problem leiden. Er wundert sich, dass von den 50 brillantesten Studenten in Cambridge oft nicht einmal ein einziger ein erfolgreicher kreativer Wissenschaftler wird oder werden will. „Vermutlich fehlt der Mut“, so seine These. Und er ergänzt: „Oder sie denken, was die hervorragenden Wissenschaftler nicht herausbekommen haben, wie sollen sie das schaffen?“ Deshalb müsse man Kindern beibringen, nicht so schnell Angst vor wissenschaftlichen Fragen zu haben, findet er. Die dreijährige Amelie, eines seiner sieben Enkelkinder, hat ihn dazu inspiriert, die kindliche Neugier zu befördern. Er mag ihre Fragen. Zum Beispiel: „Mama, ich wachse jeden Tag. Wann weiß ich, dass ich damit aufhören soll?“ Mit seiner Kollegin und Freundin Lorie Karnath hat er jetzt ein Buch geschrieben, in dem er die Fragen gesammelt und beantwortet hat.

Gustav Born glaubt nicht an Patentrezepte, mit denen man die Menschen zu kreativen Wissenschaftlern machen kann, „denn die Genies sind alle sehr unterschiedlich“, betont der Vater von fünf Kindern. Ein Beispiel, dass man es auch schaffen kann, wenn man aus armen Verhältnissen kommt, sei Faraday, der im 19. Jahrhundert lebte. Er lernte als Assistent und entwickelte danach alleine seine „fabelhaften“ Gedanken zu Elektrizität und Magnetismus, die bis heute die Physik prägen. Ein anderes Beispiel sei Darwin, der Entdecker der Evolutionstheorie. Er kam aus einer wissenschaftlich sehr gebildeten Familie. Es gäbe sogar Söhne, die wie ihre Väter den Nobelpreis bekommen haben, zum Beispiel Aage Bohr, Sohn von Niels Bohr. Man könne also nicht vorhersagen, wer einmal ein Genie würde. Deshalb hält der mehrfache Ehrendoktor Gustav Born auch die meisten Programme der Politiker, die Kreativität fördern wollen, für falsch. Man solle den Leuten vor allem Geld geben und sie machen lassen, anstatt Projekte zu finanzieren, und vor allem müsse man bürokratische Hindernisse aus dem Weg räumen.

Was originelle Gedanken genau sind, erklärt Gustav Born am liebsten an Beispielen. „Das sind wohl solche Ideen, wie sie Einstein oder Darwin hatten, eine allgemeine Theorie, die sehr viel erklärt“, meint er. Nach dieser Definition zählen auch die Arbeiten seines Vaters dazu, besonders die über die statistische Interpretation der Quantenphysik, die Gustav Born für die originellste seiner Ideen hält. „Die Statistik ist die Grundlage der ganzen Biologie und Genetik“, begründet er das.

Mit zunehmendem Alter bewundert er die Ergebnisse der Wissenschaft immer mehr. Auf der Nobelpreisträger-Konferenz an der Freien Universität macht er das an einem plastischen Beispiel aus der Medizin deutlich: Man solle sich nur einmal versuchen vorzustellen, wie viel Schmerz die Menschen vor der Entdeckung der Anästhesie um 1850 aushalten mussten. Gustav Born ist sich sicher, dass die Anästhesie die größte menschliche Errungenschaft ist, knapp gefolgt von Schmerzmitteln, Antibiotika und anderen medizinischen Wunderdingen, die auf wissenschaftlicher Forschung beruhen. Deshalb müsse man Kreativität und Originalität unterstützen und gegen irrationale Doktrinen, Dogmen und Glauben verteidigen.

Zurzeit begeistert den 83-Jährigen ein neues Forschungsprojekt. Zum ersten Mal forscht der Mediziner jetzt an Krebs. „Viele Wissenschaftler untersuchen, warum eine Zelle Krebs bekommt. Wir wollen verstehen, warum eine Zelle keinen Krebs bekommt.“ Er macht sich große Hoffnungen, denn die ersten Ergebnisse scheinen sehr gut auszusehen. Da er pensioniert ist und seine eigene Arbeitsgruppe am William Harvey Research Institute in London aufgelöst ist, machen jetzt Kollegen in New York die Experimente. Aus Rücksicht will er nicht mehr verraten, „obwohl Geheimniskrämerei eigentlich nicht meine Sache ist. In einem Jahr, falls ich noch lebe, erzähle ich mehr dazu“, verspricht er. Gustav Born will weiterforschen, solange es geht. Und so weit es ihm seine anderen Beschäftigungen erlauben. Da stehen in vorderster Linie seine Kinder und Enkel.

Michael Fuhs

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