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Untersuchung in einer Legebatterie in China.

© imago stock&people/imago stock&people/Bearbeitung Tagesspiegel

Die Vogelgrippe ist auf dem Vormarsch: Wird das die nächste Pandemie?

Die aktuelle Vogelgrippewelle begann 2020 und führte zum Tod von dutzenden Millionen Nutztieren. Die WHO meldet hunderte Fälle, in denen sich Menschen bei infizierten Tieren ansteckten

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Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat Alarm geschlagen, weil der Erreger der Vogelgrippe H5N1 auf immer mehr Arten übergreift. Das Virus habe sich zu einer weltweiten „Tierpandemie“ entwickelt.

Wächst mit dieser Ausweitung die Gefahr, dass auch Menschen sich anstecken und der Erreger schließlich von Mensch zu Mensch übertragen wird? Drei Experten und Expertinnen geben Antworten.

Alle Folgen der Serie „3auf1“ gibt es hier zu lesen.


Der Wechsel vom Vogel zum Menschen ist nicht so einfach

Die Antwort auf diese Frage ist einfach. Es ist ein eindeutiges Vielleicht! Die Wahrheit ist, dass wir es einfach nicht wissen. In den letzten 20 Jahren gab es fast 1000 bestätigte Fälle beim Menschen mit diesen Viren, ohne dass es Beweise dafür gibt, dass das Virus die entscheidenden Veränderungen vornimmt, die notwendig sind, um von der Bevorzugung von Vögeln auf die Bevorzugung von Menschen umzusteigen, obwohl es viele Gelegenheiten dazu gibt. Ich ziehe daraus den Schluss, dass das Virus den Wechsel vom Vogel zum Menschen nicht so einfach vollziehen kann.

In der Grippewelt gibt es jedoch viele Beispiele dafür, dass es Jahrzehnte gedauert hat, bis ein Virus zur richtigen Zeit am richtigen Ort und im richtigen Wirt angekommen ist, bevor es den Sprung in eine andere Art geschafft hat. Die Tatsache, dass die aktuelle Charge von H5N1-Viren den menschlichen Wirt nicht bevorzugt, ist zwar beruhigend, doch wäre es ein großer Fehler, sich zu sicher zu fühlen. Ist H5N1 also die nächste Pandemie? Vielleicht nicht, aber es ist auf jeden Fall ein Virus, auf das wir vorbereitet sein müssen, falls die Antwort wirklich „ja“ lauten sollte. 


Bedenklich ist die Entwicklung in Südamerika

Bei der aktuell kursierenden H5N1-Epidemie handelt es sich nicht nur um ein einziges Virus, sondern um mehrere Genotypen. Diese Vogelgrippevarianten stimmen in den Virusteilen H5 HA und N1 NA überein, aber unterscheiden sich in anderen Erbgutsegmenten. Manche Konstellationen sind problematischer in Säugetieren, weil sie dort für eine verbesserte Virusvermehrung sorgen, andere weniger. Bedenklich ist, dass es in Südamerika vermutlich bereits zu einer Übertragung zwischen Meeressäugern gekommen ist. Auch, dass H5N1 nun in Kühen gefunden wurde und die Vogelgrippeviren offenbar auch von Kuh zu Kuh weitergegeben wurden, ist schon sehr ungewöhnlich. Bislang hat die aktuell kursierende H5N1 Variante (2.3.4.4b) allerdings weltweit nur eine Handvoll Menschen infiziert, zwei der Fälle in Südamerika verliefen schwer, zumindest einer in China tödlich. Problematisch würde es aber erst werden, wenn das Virus leicht von Mensch zu Mensch übertragen werden kann. Und das ist momentan nicht der Fall.


Erinnerungen an die „Spanische Grippe“ von 1918/19

Vor der Corona-Pandemie galt die Vogelgrippe als einer der heißesten Kandidaten für ein Überspringen eines Tiervirus auf den Menschen. Aus Gründen: Die bisher wohl verheerendste Pandemie, die „Spanische Grippe“ von 1918/19, die mindestens 50 Millionen Menschen das Leben kostete, ist auf ein H1N1-Influenza-Virus zurückzuführen, das zuvor nur in Vögeln kursierte. Jedenfalls fanden Forscher Vorläufer des Pandemievirus in verendeten Enten, die Biologen 1916 unter anderem am Ufer des Bear River in Utah gefunden und zur Aufbewahrung im Smithsonian Naturkundemuseum in Washington präpariert hatten.

Die Befürchtung, dass sich das mit dem ganz ähnlichen Vogelgrippe-Influenza-Virus H5N1-Virus wiederholen könnte, war so groß, dass der belgische Forscher Ron Fouchier und sein japanischer Kollege Yoshihiro Kawaoka 2011 sogar das Risiko eingingen, in ihren Labors das Erbgut von H5N1 zu verändern, um herauszufinden, welche Mutationen es befähigt, Säugetiere besonders gut zu infizieren. Eine Antwort steht aus. Ob H5N1 also irgendwann zu einer weltweiten Bedrohung mutieren kann, ist also offen. Unmöglich ist es aber nicht. Weshalb die Wissenschaft besser weiter ganz genau hinschauen sollte.

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