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Jürgen Gerdes bezweifelt, dass Paketzusteller gelbe Zettel einwerfen, um weniger Treppen zu steigen: Kunden überhörten manchmal die Klingel.

© Georg Moritz

Post-Briefvorstand Gerdes: "Wir waren nie so gut wie heute"

Seit 2007 sitzt Jürgen Gerdes im Vorstand der Deutschen Post. Mit dem Tagesspiegel spricht er über Service, die Herausforderungen des Internets und erklärt, warum das Brief-Porto steigen soll.

Herr Gerdes, Sie haben bei der Bundesnetzagentur beantragt, das Briefporto erhöhen zu dürfen. Der Standardbrief soll ab Januar 58 statt bisher 55 Cent kosten, der Maxibrief 2,40 statt 2,20 Euro. Wie zuversichtlich sind Sie, dass das genehmigt wird?

Wir sind guter Dinge. Für solche Preisanpassungen gibt es ein von der Behörde vorgeschriebenes Verfahren. An dieses haben wir uns exakt gehalten.

Die Kosten steigen jedes Jahr. Heißt das, es gibt jetzt jährlich Preissteigerungen?

Wir haben seit 15 Jahren den Preis für den Standardbrief nicht erhöht, trotz erheblich gestiegener Kosten. Das war nur möglich, weil wir unsere Produktivität durch viele Maßnahmen ständig verbessert haben. Wenn gleichzeitig immer weniger Briefe geschrieben werden, lassen sich damit allein aber die steigenden Kosten irgendwann nicht mehr auffangen.

Viele Kunden beschweren sich, dass Paketzusteller lieber gelbe Zettel in den Briefkasten werfen als zu klingeln...

Ich glaube, dass dieser Eindruck falsch ist. Wir stellen jeden Tag ungefähr drei Millionen Pakete zu, und die Quote der Benachrichtigungen liegt deutlich unter fünf Prozent. Das ist bereits sehr gut. Wir arbeiten aber daran, dass es noch besser wird.

Was tun Sie denn?

Wir bieten eine ganze Palette von Services an, die Zustellung von Zuhause aus individuell zu steuern. Im Internet können Sie sich einen Wunschtag für die Zustellung aussuchen, eine E-Mail-Benachrichtigung einrichten, eine bestimmte Filiale oder einen Nachbarn auswählen, bei dem sie Ihre Sendungen abholen wollen, oder Wunschzeiten vereinbaren. Es gibt viele weitere Möglichkeiten – diese finden Sie auf www.paket.de.

Aber der Wunschtermin bringt ja nichts, wenn der Zusteller gar nicht erst klingelt.

Bei allem Respekt, ich weiß, dass das immer wieder behauptet wird. Natürlich machen auch unsere Kollegen mal einen Fehler. Aber sie wissen ganz genau, wie wichtig der erste erfolgreiche Zustellversuch ist. Die Behauptung, dass die Zusteller systematisch gelbe Zettel in die Briefkästen werfen, weil sie keine Lust haben Treppen zu steigen, ist einfach falsch. Es kommt ja auch vor, dass Kunden die Klingel überhören.

Wie wollen Sie die Zustellung verbessern?

Wir testen gerade etwas sehr spannendes, den Paketbriefkasten. Jeder Mensch, der ein Haus baut oder eine Wohnung bezieht, hat einen Briefkasten. Wissen Sie nach welcher gesetzlichen Vorgabe?

Nein, nach welcher?

Es gibt keine. Aber jeder macht das intuitiv, weil er erreichbar sein möchte. Wir haben überlegt, wie wir auch mit dem Paket in Ein- und Zweifamilienhäusern eine Zustellung schaffen, die zu 100 Prozent im ersten Anlauf klappt. Das ist etwa bei Lebensmittellieferungen wichtig. Wir haben Kästen entwickelt, in die Pakete hineinpassen. Die gibt es in klein, mittel und groß. Der Kunde hat einen Schlüssel, der Zusteller auch. In Zukunft wird man dort auch seine abgehenden Pakete hineinstellen können. Dann bieten wir den kompletten Service an der Haustür.

Und wer bezahlt die Kästen?

Zunächst einmal interessiert uns die Frage, ob das überhaupt funktioniert. Wenn wir die Prozesse geklärt haben, können wir uns darüber unterhalten, was es kostet und wer es bezahlt.

Wann rechnen Sie mit der Einführung?

Das ist noch nicht entschieden, wir sind noch am Anfang der Erprobung. In dem Testgebiet nahe Bonn haben wir bereits an die 100 Kästen aufgebaut. Die Reaktion der Kunden ist sehr positiv.

Das ist ja eine ganz neue Reaktion auf den Service der Post.

Das stimmt nun wirklich nicht. Der unabhängige Kundenmonitor 2012 zeigt, dass unsere Kundenzufriedenheitswerte mit mehr als 96 Prozent für die Briefpost und mehr als 92 Prozent Zustimmung für unsere Filialen spitze sind. Und wir verbessern uns hier Jahr für Jahr. Unser Marktanteil im Paketgeschäft in Deutschland liegt nicht ohne Grund bei 40 Prozent. Unsere Großkunden sagen uns, wenn der Paketservice überall auf der Welt so gut wäre wie hier, könnten sie noch schneller wachsen. Das ist ein Urteil, das Gewicht hat.

Vor zehn Jahren haben Sie begonnen, die ersten Packstationen aufzustellen. Wie viele Leute nutzen die

Inzwischen gibt es deutschlandweit 2500 Packstationen. Sie werden von bald drei Millionen Kunden genutzt. Viele kaufen sogar nur dort ein, wo die Packstation als Zustelloption angeboten wird.

Wollen Sie die Packstationen ausbauen?

Heute kann nahezu jeder Bundesbürger in zehn Minuten mit dem Auto eine Packstation erreichen. Damit ist die Fläche sehr gut abgedeckt. Hinzu kommen unsere 13 000 Partnerfilialen.

Welche Entwicklung erwarten Sie im Geschäft mit den Onlinehändlern?

Wenn Sie die Menge betrachten, wachsen wir im Moment zweistellig. Der Anteil des Versandhandels hat heute ungefähr einen Anteil von acht Prozent am gesamten Einzelhandel in Deutschland. Da gibt es also noch eine Menge Luft nach oben. Eine Gesellschaft, die spürbar altert, braucht mehr Service an der Haustür. Und genau das ist unsere Stärke.

Bringt das mehr Arbeitsplätze bei Ihnen?

Wir stellen ja Leute ein. Die meisten unserer Mitarbeiter, fast 100 000, sind in der Zustellung beschäftigt. Der Service, den wir heute für Empfänger bieten, ist um ein Vielfaches besser als das, was wir noch vor zehn Jahren bieten konnten. Wir waren nie so gut wie heute. Wenn die Paketmengen weiter steigen und sich die Briefmengen einigermaßen entwickeln, wird es auch weiter Einstellungen geben. Wir haben im vergangenen Jahr alle geeigneten Auszubildenden unbefristet in Vollzeit übernommen, wer macht das schon?

Es heißt, Amazon arbeite an einem eigenen Zustelldienst. Fürchten Sie die mögliche Konkurrenz eines Ihrer Top-Kunden?

Ich fürchte eigentlich nur, dass Schalke dieses Jahr wieder nicht Meister wird. Im Ernst: Ich glaube, dass man in einem professionellen Kundenverhältnis so lange zusammenarbeitet, bis einer von beiden eine bessere Idee hat. Natürlich könnte Amazon irgendwann sagen, wir stellen uns in Deutschland ganz auf eigene Füße. Aber ich denke, unsere Qualität ist so gut, dass das nicht passieren wird. Und wir haben ja viele andere Kunden, die über uns ihren Onlinehandel abwickeln.

Wie stark schaden Internet und E-Mail ihrem Briefgeschäft?

Ich würde nicht von schaden reden. Die technische Entwicklung ist so wie sie ist. Wir müssen uns weiterentwickeln. Denken Sie an den E-Postbrief. Für uns ist das eine große Chance.

Wie groß ist die Nachfrage nach Ihrem E-Postbrief?

Die ist signifikant – aber lassen Sie mich klarstellen: Der E-Postbrief hat mit einer für jedermann einsehbaren E-Mail nichts zu tun. Er ist, ganz einfach gesagt, der sichere Brief im Internet. Das ist etwas völlig anderes. Wir haben in den vergangenen beiden Jahren viele Geschäftskunden überzeugen können, mit denen wir nun konkrete Projekte entwickeln. Gerade in jüngster Zeit haben wir weitere renommierte Unternehmen wie Microsoft und Datev als Partner gewonnen. Und wir haben namhafte Kunden, die mit uns in diesem Jahr Umsätze in zweistelliger Millionenhöhe machen werden. Wir sind zwei Jahre am Markt und haben in der Zeit viel gelernt, aber natürlich dreht man etablierte Geschäftsprozesse bei Kunden nicht von heute auf morgen um.

Wie viele Kunden nutzen den E-Postbrief?

150 bis 200 Großkunden, 4000 bis 5000 Mittelständler und mehr als eine Million Privatkunden. Was natürlich noch fehlt, ist das tägliche Erleben, dass Sie als Otto Normalverbraucher einen E-Postbrief bekommen. Daran arbeiten wir gemeinsam mit unseren Geschäftskunden. Aber die Frage, ob es funktioniert, haben wir beantwortet. Und ganz ehrlich, glauben Sie an eine digitale Welt ohne Brief- und Postgeheimnis?

Nein.

Wie soll es dann gehen, mit Facebook?

Was ist mit De-Mail, dem Konkurrenzprodukt der Telekom und anderen?

Ich glaube, dass die De-Mail an den Bedürfnissen des Marktes vorbeigeht. Jedenfalls sagen das unsere Kunden. De-Mail sieht zum Beispiel keinen physischen Versand vor. 40 Prozent der deutschen Haushalte sind aber für Geschäftspost online nicht zu erreichen. Die wollen ihre Sendung physisch haben. Das heißt, der Absender reicht seine Sendung bei uns elektronisch ein, wir drucken sie und liefern sie aus. Das ist bei De-Mail nicht möglich. Wir haben auch Kunden, die wollen nicht nur von Bonn nach Berlin senden, sondern auch nach Paris. Aber De-Mail ist nicht international.

Warum darf die Telekom Ihr Post- Ident-Verfahren nicht mehr nutzen?

Wenn ich einen sicheren elektronischen Dienst anbiete, dann gehört doch wohl die Identifizierung als Kernelement dazu. Da kann keiner sagen, dass die Post das übernehmen muss. Die Telekom kann unseren Ident-Service für alles nutzen, aber nicht dort, wo sie uns Konkurrenz macht.

Sie beteiligen sich also nicht an De-Mail?

Der E-Postbrief ist nicht als Antwort auf De-Mail entstanden. Er ist entstanden, weil mir alle gesagt haben: Du bist der letzte klassische Brief-Vorstand bei der Post. Anfang 2007 haben wir uns hingesetzt und darüber nachgedacht, wie wir mit elektronischen Briefen Geld verdienen können. Die Antwort ist der E-Postbrief. Aber wir werden ab Dezember auch eine De-Mail-Lösung anbieten, weil diese Lösung für die öffentliche Hand gesetzlich vorgeschrieben ist. Dabei handelt es sich mit Blick auf den gesamten Markt aber wirklich nur um eine kleine Nische. Für die Geschäftskunden ist das ohne Bedeutung.

Brauchen die keine sichere Kommunikation?

Die haben sie ja mit dem E-Postbrief! Wir haben einen Hackerwettbewerb veranstaltet und weltweit ausgeschrieben: Knackt unser System! Es ist keiner reingekommen. Das ist für mich viel wichtiger, als jede Behauptung, die irgendein Wettbewerber aufstellt.

In Berlin boomt die Start-up-Szene, viele neue Geschäftsideen für das Internet entstehen, die Telekom mischt kräftig mit. Was macht die Post?

Meine Entwickler-Gruppe für den E-Postbrief sitzt in Berlin. Aber wir sind extrem sparsame und konservative Kaufleute. Wir glauben nicht, dass es sinnvoll ist, zu viele Baustellen auf einmal aufzumachen.

Macht die Telekom das so?

Wir reden hier nicht über die Telekom, sondern über die Deutsche Post. Aber um das ganz deutlich zu sagen: Ich habe wirklich allergrößten Respekt vor dem, was die Telekom macht. Was ich aber sagen will ist, dass wir nicht experimentieren. Wir stellen uns die Frage, was bedeutet die Digitalisierung für unsere Geschäftsfelder? Der E-Postbrief ist eine Antwort. Unsere Shopping-Plattform meinpaket.de eine andere. Es gibt noch viele weitere Beispiele: Im Dialog-Marketing etwa haben wir in Berlin die Firma Nugg.ad gekauft, Spezialist für zielgruppenorientierte Online-Werbung.

Der Bundeswirtschaftsminister hat eine Novelle des Postgesetzes vorgelegt. Unter anderem soll die Post ihre Großkundenverträge vorab bei der Bundesnetzagentur vorlegen. Was sagen Sie zu dem Entwurf?

Wir kennen die Details noch nicht. Aber den Vorwurf, wir würden Großkunden unzulässige Rabatte anbieten, hat noch niemand belegen können – aus dem einfachen Grund, weil es schlichtweg falsch und dieser Vorwurf völlig aus der Luft gegriffen ist. Als Argument für eine Gesetzesnovelle ist das relativ schwach. In meinen Augen funktioniert der Wettbewerb in Deutschland. Unser Marktanteil in der Briefkommunikation beträgt bei den Geschäftskunden rund 64 Prozent. Jeder dritte Brief wird also von Wettbewerbern eingesammelt. Dass die viele Briefe nicht zustellen können und sie wieder bei uns als Kunden einliefern, kann man uns nicht anlasten.

Das Gespräch führte Corinna Visser.

DER MANAGER

Jürgen Gerdes, Jahrgang 1964, hat sein gesamtes Berufsleben bei der Deutschen Post verbracht, wo er im Marketing begann. Seit 2007 sitzt der Diplom-Kaufmann im Vorstand. Er verantwortet das Brief- und Paketgeschäft in Deutschland und das internationale Briefgeschäft. Im ersten Halbjahr 2012 setzte der Bereich 6,8 Milliarden Euro um.

DER KONZERN

Die Deutsche Post DHL ist der weltweit führende Post- und Logistik-Konzern. Die 424 000 Mitarbeiter erwirtschafteten im ersten Halbjahr einen Umsatz von 27 Milliarden Euro und einen Gewinn von 734 Millionen Euro.

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