zum Hauptinhalt
Der französische Präsident, Emmanuel Macron, bei einem Empfang seines brasilianischen Amtskollegen Luiz Inacio Lula Da Silva, im Juni.

© imago/Le Pictorium/IMAGO/Julien Mattia / Le Pictorium

Stolpern auf der Zielgeraden: Platzt das Mercosur-Abkommen, profitiert vor allem China

Das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Südamerika droht kurz vor der Unterzeichnung zu stocken. Kann sich Europa ein Scheitern wegen französischen Rindern wirtschaftlich und geopolitisch leisten?

Valdis Dombrovskis bleibt zuhause. Der Brüsseler EU-Handelskommissar wird nicht wie geplant am Donnerstag zum Mercosur-Gipfel nach Rio de Janeiro reisen, für ihn gibt es dort nichts zu tun. Die erhoffte Unterzeichnung des Freihandelsabkommens mit der EU wird nicht stattfinden.

Noch am Wochenende war die Hoffnung groß, dass die Verhandlungen nach weit über 20 langen Jahren endlich zu ihrem Ende kommen. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz und der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva haben sich am Montag in Berlin für einen raschen Abschluss des Abkommens starkgemacht.

Dann aber türmten sich plötzlich wieder die Probleme. Einige sind altbekannt, andere völlig neu. Ende vergangene Woche durchkreuzte die aus dem Amt scheidende argentinische Regierung die Pläne: Man wolle die Entscheidung der Regierung des neu gewählten Präsidenten Javier Milei überlassen. Doch Milei kritisierte das Abkommen schon während seines Wahlkampfs scharf, drohte gar mit einem Rückzug aus der Staatengruppe.

Scheitert das Abkommen, wäre das ein schwerer Rückschlag für die Bemühungen der EU um mehr Unabhängigkeit.

Holger Görg, Außenhandelsexperte am Kiel Institut für Weltwirtschaft 

Frankreich priorisiert nationale Interessen

Gleichzeitig setzte sich Frankreichs Präsident Emmanuel Macron auf der Weltklimakonferenz in Dubai als Verteidiger der Interessen seines Landes – vor allem französischer Landwirte – in Szene. Er könne dem Mercosur-Abkommen nicht zustimmen, ließ Macron wissen, weil er dessen Inhalt den Bauern und Stahlproduzenten zu Hause nicht erklären könne. Sie müssten sich anstrengen, nach höchsten Klimaschutzvorgaben zu produzieren, während in der EU die Zölle für Produkte abgeschafft würden, die diesen harten Bedingungen nicht unterlägen, so der Franzose. Etwa südamerikanisches Rindfleisch, Geflügel oder Mais.

Wie es heißt, versuchte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen persönlich, Macron von seinem Nein abzubringen – offenbar vergebens. Kann sich Europa ein Scheitern des Mercosur-Abkommens leisten?

Perspektivisch wollen die EU und Südamerika mit dem Abkommen die größte Handelszone der Welt schaffen, mit mehr als 715 Millionen Menschen. Mit der EU sowie Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay wären fast 20 Prozent der Weltwirtschaft und mehr als 31 Prozent der globalen Warenexporte abgedeckt.

Südamerika: Wachsender Absatz- und Rohstoffmarkt

Europäische Firmen sind schon jetzt mit 380 Milliarden Euro in den Mercosur-Ländern investiert. Das Handelsvolumen zwischen EU- und Mercosur-Staaten betrug 2022 immerhin 123 Milliarden Euro. Mit China handelt die EU Waren im Wert von über 700 Milliarden Euro. Dazu ist der Anteil des EU-Handels mit Mercosur-Ländern seit zehn Jahren nur um rund sieben Prozent gestiegen.

Aus Sicht von Ulrich Ackermann, Außenwirtschaftsexperte beim Maschinenbauverband VDMA liegt das unter anderem an hohen Zollbarrieren und technischen Handelshemmnissen – wie uneinheitlichen Standards oder komplexen Verfahren. Das mache den Handel teuer und aufwändig, sagt er.

Viele Wirtschaftsvertreter hoffen daher weiter auf einen raschen Abschluss des Abkommens. „Die Vereinbarung eröffnet deutschen Unternehmen nicht nur zusätzliche Marktchancen in einem wichtigen Wirtschaftsraum, sondern bietet auch neue und große Möglichkeiten zur Lieferkettendiversifizierung und Rohstoffversorgung“, sagt etwa Volker Treier, Außenwirtschaftschef der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK).

Doch es geht längst nicht nur um wirtschaftliche Aspekte. „Der Wert des Abkommens geht über einzelne Wirtschaftssektoren hinaus und ist auch geopolitischer Natur“, sagt Bernd Lange, Vorsitzender des Handelsausschusses im Europaparlament.

China läuft Europa den Rang ab

Konkret meint er damit China. Denn mit dem Mercosur-Abkommen wollte die EU mit Blick auf Peking die Lösung mehrerer strategischer Probleme in Angriff nehmen. Zum einen sollte es ein entscheidender Schritt sein, die EU von ihrer großen Abhängigkeit von China zu lösen, was etwa die Versorgung mit kritischen Rohstoffen wie Lithium oder Kupfer angeht. Gleichzeitig sollte der sich rasch ausweitende geopolitische Einfluss Chinas zurückgedrängt werden. SPD-Politiker Lange sieht die „reale Gefahr, dass andere Großmächte unsere Unfähigkeit zum Abschluss ausnutzen“.

70
Milliarden Dollar. Um so viel überragt Chinas Handelsvolumen mit Mercosur-Ländern das von der EU.

China investiert auch in Südamerika im Rahmen seiner Seidenstraßen-Initiative Milliarden in Infrastrukturprojekte. Dazu steigerte die Volksrepublik ihren Handel mit Mercosur-Staaten in zehn Jahren um knapp 95 Prozent auf zuletzt 192 Milliarden US-Dollar. China hat den EU-Staaten sowohl als Absatz- als auch als Beschaffungsmarkt zunehmend den Rang abgelaufen. Allein im Maschinenbau stammen fast 30 Prozent aller Einfuhren in die Mercosur-Länder aus der Volksrepublik – Tendenz steigend. Deutschlands Anteil beträgt gerade einmal zehn Prozent.

„Angesichts der derzeitigen geopolitischen Lagen sollte die EU sehr bestrebt sein, wirtschaftliche Abhängigkeiten zu verringern“, sagte Holger Görg, Außenhandelsexperte am Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW) dem Tagesspiegel. Dafür sei es extrem wichtig, die Zusammenarbeit mit Mercosur-Ländern oder anderen befreundeten Wirtschaftsräumen zu vertiefen. „Scheitert das Abkommen, wäre das ein schwerer Rückschlag für die Bemühungen der EU um mehr Unabhängigkeit“, so Görg.

Europa strebe nach wie vor an, das Papier „so bald wie möglich“ zu unterzeichnen, betonte der Sprecher der EU-Kommission, Balazs Ujvari, in Brüssel. Auch Ursula von der Leyen sendete von der Klimakonferenz in Dubai trotz der schlechten Nachrichten optimistische Signale. In Brüssel wird bereits spekuliert, dass schon im Januar ein neuer Anlauf unternommen werden könnte. Das halten Beobachter allerdings für reines Wunschdenken. SPD-Mann Lange räumt ein, dass das Mercosur-Abkommen nicht perfekt ist. Gleichzeitig sei es immer noch besser als gar kein Abkommen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false