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Hochspannung. Bei Q-Cells, dem einst größten Solarzellenhersteller der Welt aus Bitterfeld-Wolfen, hat der Überlebenskampf einen Höhepunkt erreicht.

© dpa

Endstation Thalheim: Solarfirma Q-Cells kämpft ums Überleben

Sie war ein Stück Kalifornien in Mitteldeutschland. Nun bangt die Gemeinde Thalheim in Sachsen-Anhalt um ihre Arbeitsplätze in der Solarwirtschaft.

Die Geschichte, die Manfred Kressin erzählt, ist eine aus dem letzten Jahrhundert, als Unternehmer im Osten noch Wilder Westen spielen konnten. Es war das Jahr 1999, Kressin war Bürgermeister der damals noch unabhängigen Gemeinde Thalheim in Sachsen-Anhalt nahe des verseuchten DDR-Chemiedreiecks bei Bitterfeld. Das Wirtschaftsministerium in der Landeshauptstadt Magdeburg hatte zu einer Investorenkonferenz geladen. 30 Leute kamen, darunter drei der vier Gründer der jungen Firma Q-Cells aus Berlin.

Die Herren Holger Feist, Reiner Lemoine und Paul Grunow hielten einen Vortrag und kündigten an, sie wollten eine Fabrik für Solarzellen aufbauen. Die sollte zunächst vor allem Zellen für den damals aufstrebenden Solarmodulhersteller Solon liefern, die Lemoine und Grunow zuvor in Berlin gegründet hatten. „Tatsächlich wollten die gar nicht zu uns, sondern in Berlin-Kreuzberg ihr Werk aufbauen. Die brauchten nur ein Gegenangebot, um bei sich zu Hause Bezirk und Banken unter Druck setzen zu können“, erinnert sich der heute 68 Jahre alte Kressin. Ein klassisches Pokerspiel also, das die Herren aber verloren.

Also schauten sich die Solar-Unternehmer dann doch ernsthaft im 1000-Seelen-Nest Thalheim um: Bürgermeister Kressin lockte mit einem mittlerweile verboten niedrigen Steuerhebesatz von 160 Prozent. Das heißt, in Thalheim musste Q-Cells zunächst nur halb so viel Gewerbesteuer auf Gewinne zahlen wie in einer sachsen-anhaltinischen Durchschnittsgemeinde und nur ein Drittel des Satzes von Berlin. „Außerdem haben wir genügend Humankapital“, schwärmte er den Berlinern vor. Tausende arbeitslose Arbeiter, die in der Filmfertigungsindustrie der DDR ausgebildet worden waren, die Techniken beherrschten, wie sie ähnlich auch in der Solarzellenfertigung gefragt waren. „Die konnten sich die besten Leute aussuchen.“ Auch habe es hier immer schon eine große Akzeptanz für Schichtarbeit gegeben. Sonntagsarbeit? Kein Problem. „Und das beste: Die konnten hier sofort anfangen“, sagt Kressin. Die Berliner schlugen also ein. Aus vier wurden schnell 40 Mitarbeiter. Fast 2600 arbeiteten im Boomjahr 2008 weltweit für den Konzern, als der sich plötzlich „größter konzernunabhängiger Solarzellenhersteller der Welt“ nannte.

Die Gemeinde Thalheim, anno 1388 erstmals urkundlich erwähnt, diverse Male abgebrannt, entvölkert und fast verseucht, wurde plötzlich Zentrum des „Solar Valley“ genannt, weil sich auch weitere Solarfirmen im Umfeld ansiedelten. Es war ein Stück Kalifornien in Mitteldeutschland. Einfache Mitarbeiter, die in den Gründerjahren mit fast wertlosen Aktien bezahlt worden waren, konnten diese noch 2008 für 50 bis 75 Euro je Stück verkaufen, einige wurden so zu mehrfachen Millionären.

„So wurde unsere Gemeinde ab 2005 blitzschnell schuldenfrei“, sagt Bürgermeister Kressin. Er ließ Straßen, Schule, Sportplatz, die Feuerwache sanieren. Sogar die 300 000 Euro für den Kirchturm waren noch drin. Zwei gute Jahre lang versank Thalheim quasi in Q-Cells’ Steuergeld. Und im Glauben, es würde so weitergehen, befürwortete Kressin sogar den Zusammenschluss mit vier armen Nachbargemeinden zur neuen Stadt Bitterfeld-Wolfen zum 1. Januar 2007.

Ein Jahr später aber begann der Abstieg des Konzerns. Die Aktie fiel von mehr als 75 Euro immer tiefer. Am gestrigen Dienstag erreichte sie ein Rekordtief bei knapp 41 Cent, das waren noch mal 18 Prozent weniger als am Montag. Der Vorstand hatte in der Nacht eine Mitteilung verbreiten müssen, die sich für manchen Anleger wie ein Offenbarungseid las: Schuldenschnitt geplant, Anleger sollen ihre Einlagen nur teilweise zurückerhalten, es wird eine außerordentliche Hauptversammlung geben.

Wird Q-Cells das alles überleben? „Ich hoffe es“, sagt Kressin. „Wenn nicht, wird es hier ganz, ganz bitter.“

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