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Wirtschaft: Frau Hustedt geht Ökostrom kaufen

Frau Hustedt kauft Hühnereier aus Bodenhaltung.Frau Hustedt kauft Toilettenrollen aus Altpapier.

Frau Hustedt kauft Hühnereier aus Bodenhaltung.Frau Hustedt kauft Toilettenrollen aus Altpapier.Doch wenn sich die umweltbewußte Bonnerin morgens die Haare föhnt, kommt Atomstrom von RWE aus der Steckdose.Frau Hustedt will das ändern: "Ich will Strom von einem umweltfreundlichen, mittelständischen Produzenten aus meiner Region - und nicht den Stromriesen RWE unterstützen, der aufgrund seiner Monopolstellung Jahr für Jahr Millionengewinne einfährt", sagt sie.Und da Michaele Hustedt Mitglied des deutschen Bundestages und energiepolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist, macht sie sogleich die Probe aufs Exempel.

Hustedt kennt ein kleines Unternehmen in der Nordeifel, das ihr sympathisch ist.Die "Windenergie Nordeifel" betreibt eine Anzahl von Windrädern in der Nähe des Städtchens Schleiden.Von dort möchte sie ihren Strom geliefert bekommen - quasi freihaus in ihre Stadtwohnung im 50 Kilometer entfernten Bonn.Was tun? Nach dem neuen Energierecht, das seit April in Deutschland gültig ist, hat jeder Bürger das Recht, sich seinen Energielieferanten frei zu wählen.Die großen Konzerne sind verpflichtet, ihre Überland-Kabel fremden Anbietern gegen Entgelt zur Verfügung zu stellen.Sie müssen den Strom durchleiten.Aber machen sie das auch? Und wenn ja, wieviel kostet das?

Hustedt hat sich informiert: In Dänemark, Norwegen oder Schweden nehmen die Stromkonzerne für die Durchleitung fremden Stroms vier bis sechs Pfennige pro Kilowattstunde.Doch die Windenergie aus der Nordeifel ist so günstig, daß eine Durchleitungsgebühr in dieser Höhe nicht weiter schlimm wäre: Am Ende würde es in etwa bei dem Betrag bleiben, den Hustedt auch jetzt schon den Stadtwerken Bonn für eine Kilowattstunde zahlt: 27 Pfennig.

Als Politikerin hat Hustedt einiges erlebt.Sie ahnt schon, "daß die Netzinhaber alle nur denkbaren Gründe vorbringen werden, um den Marktzugang eines Konkurrenten zu verhindern".Deshalb holt sie sich Profis zu Hilfe.In Hamburg gibt es ein Unternehmen, das schon seit Jahren vor allem in ostdeutschen Städten einzelne Kraftwerke baut und mit diesen Inseln des Wettbewerbs die großen Strom-Monopolisten ärgert: Vasa Energy.Der Hamburger Kaufmann Michael Saalfeld hatte das Unternehmen zusammen mit dem größten schwedischen Energiekonzern Vattenfall gegründet.Vattenfall-Saalfeld (Va-Sa) erklären sich bereit, den Fall für Hustedt abzuwickeln.Das Unternehmen handelt in Eigeninteresse: "Als Neuanbieter brauchen wir den fairen Zugang zu den Stromnetzen und werden uns diesen erkämpfen", sagt Vasa-Chef Marcus Mattis."Wir werden alle dafür notwendigen technischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen schaffen, daß Michaele Hustedt den Strom ihrer Wahl kaufen kann."

Am 21.August diesen Jahres stellt Vasa Energy im Auftrag von Frau Hustedt einen Durchleitungsantrag beim zuständigen Netzbetreiber, den Stadtwerken Bonn.Der Antrag ist so ausgefeilt und mit technischen Fachwörtern gespickt, daß den Sachbearbeitern schnell klar ist, daß sie es nicht mit Anfängern zutun haben.Unter der Überschrift "Anfrage auf Abgabe eines Angebotes zur Durchleitung elektrischer Energie" beantragt Vasa für Frau Hustedt, elektrische Energie mit einer Leistung von 5 KW und einer Arbeit von 2500 KW/a im Lieferzeitraum 1.Januar 1999 bis 31.12.1999 mit einer Einspeisespannung von 20 kV am Einspeisepunkt Schleiden Herhahn (WK- und PV-Anlage Windenergie Nordeifel) einzuspeisen, und in ihrer Stadtwohnung am Markt 6 in Bonn wieder auszuspeisen.Wie teuer, bitte schön, kommt das?

Nun, die Bonner Stadtwerker überschlagen schnell mal: Netznutzung, Verluste, Systemdienstleistungen, Zuschlag für regenerative Energien, Konzessionsabgabe, Umsatzsteuer - alles zusammen, sagen wir, 18,22 Pfennig pro Kilowattstunde.Die Antwort des Bonner Stromversorgers am 24.September haut Michaele Hustedt fast um.Bei diesem Durchleitungspreis wird sich ihre Stromrechnung nahezu verdoppeln.Gebühren von 18 Pfennig extra "machen alle Angebote von alternativen Stromversorgern unrentabel", schimpft sie.Der "völlig überzogene Preis" bewirke, daß "der Wettbewerb auf dem Energiemarkt durch die Hintertür verhindert wird".

Doch die Bonner Stadtwerker halten sich noch für günstig.In einem persönlichen Gespräch erläutern sie Hustedt, daß man bei "strenger" Anwendung des bundesweit gültigen Rechenmodells nach der sogenannten "Verbändevereinbarung" auch 26 Pfennig hätte verlangen können."Das ist eine unglaubliche Dreistigkeit", empört sich Hustedt: "Die Durchleitungsgebühr kann nicht für sich alleine höher sein, als der gesamte Strompreis!" Über die Preispolitik solle hier offenbar verhindert werden, was politischer Konsens ist: Der freie Wettbewerb von Stromanbietern und die freie Wahl der Stromkonsumenten.

Immerhin in einem Punkt muß Hustedt die Bonner Stadtwerker loben: Sie muß sich keinen neuen Stromzähler installieren lassen.Die Kosten von mehr als 1000 DM dafür hätte natürlich - wer sonst? - der Kunde zu zahlen.Die Stadtwerke aber erklären sich bereit, ein sogenanntes Standardlastprofil zu erstellen: Danach muß Frau Hustedt nur ihren theoretischen Durchschnittsverbrauch bezahlen: Ein neuer Stromzähler ist dann nicht notwendig."Das ist sicherlich als Durchbruch und positiver Präzedenzfall für künftige Privatkunden zu bewerten - und sollte bundesweit zur Grundregel werden", freut sich Hustedt über die Zusage.

Fazit ihres Feldversuchs: Die Vorteile des freien Strommarktes können zur Zeit nur Besserverdienende nutzen.Wenn überhaupt.Wie die Stromkonzerne reagiert hätten, wenn statt MdB Hustedt irgendein Otto Normalverbraucher den Durchleitungsantrag gestellt hätte, kann man nur ahnen.Michaele Hustedt aber hat sich jetzt entschieden, mit dem teuren Spaß auf jeden Fall weiterzumachen.Im Januar will sie den Durchleitungsvertrag mit den Bonner Stadtwerken unterschreiben - auch, wenn sie dann ein Jahr das Doppelte für ihren Strom bezahlt.Als erster deutscher Privathaushalt will sie ein Jahr lang mit der Praxis der Stromdurchleitung Erfahrung sammeln.Ihren Bericht werden sicherlich Hunderttausende, die sich von den Energiemonopolisten über den Tisch gezogen fühlen, mit Spannung erwarten.

DANIEL WETZEL

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