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Wirtschaft: Erdöl: Schluckspecht Amerika

Immer wieder wird sie heraufbeschworen: die große Abhängigkeit vom Erdöl. Steigt der Ölpreis, lahmen die hoch entwickelten Volkswirtschaften weltweit.

Immer wieder wird sie heraufbeschworen: die große Abhängigkeit vom Erdöl. Steigt der Ölpreis, lahmen die hoch entwickelten Volkswirtschaften weltweit. Trotz Windkraft, Solarstrom und Drei-Liter-Auto - ohne Öl geht gar nichts, und mit teurem Öl geht alles sehr viel schlechter. In ihrer Abhängigkeit vom Schwarzen Gold gibt es zwischen den führenden Industriestaaten indes große Unterschiede.

Spitzenreiter im Gesamtverbrauch sind die USA. Knapp 900 Millionen Tonnen an Mineralöl verbrauchten die Amerikaner im vergangenen Jahr. Das entspricht dem anderthalbfachen Verbrauch der Europäischen Union (EU). Trotz des enormen Bedarfs von 2,8 Tonnen Mineralöl pro Kopf "ist die US-Wirtschaft heute weniger vom Rohststoff Öl abhängig als noch in den 70er und den frühen 80er Jahren", sagt Bill Dudley, Chefvolkswirt bei Goldman Sachs in New York.

Die Bedeutung des Öls ist in den vergangenen Jahren erheblich gesunken, erklären auch die Forscher des Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Archivs (HWWA). Die Ölintensität, also der Verbrauch von Öl bezogen auf eine Einheit des Bruttoinlandprodukts, hat sich dem HWWA zufolge in den letzten 20 Jahren in fast allen Industriestaaten mehr als halbiert. "Durch den technischen Fortschritt hat der Ölpreis heute nicht mehr die konjunkturelle Wirkung wie noch vor ein paar Jahren", sagt Andreas Rees, Volkswirt bei der Hypo-Vereinsbank. Mit immer sparsameren Produktionsverfahren und Antrieben wurde in den vergangenen zwei Jahrzehnten ein stetig wachsendes Bruttoinlandsprodukt geschaffen.

Mehr Wachstum mit weniger Energie

In Deutschland etwa sank in den vergangenen 20 Jahren der Energieverbrauch, obwohl das Sozialprodukt deutlich gewachsen ist. Lag der deutsche Gesamtenergieverbrauch im Jahre 1980 noch bei 509 Millionen Tonnen Steinkohleeinheiten (SKE), wurden im vergangenen Jahr nur noch 495 Millionen SKE Energie verbraucht. Im selben Zeitraum hat sich die gesamtwirtschaftliche Leistung in Deutschland jedoch um mehr als 50 Prozent erhöht. Das bedeutet: Aus einer Energieeinheit kann die Wirtschaft heute mehr Output herausholen als früher.

Die deutsche Volkswirtschaft benötigt im Vergleich zu den USA pro Kopf nur halb so viel Öl. Die Japaner liegen bei 60 Prozent des US-Ölverbrauchs. Sind Amerikaner also die großen Verschwender, oder liegt es einfach am mangelnden Umweltbewusstsein? "Die entscheidende Ursache für den enormen Verbrauch in Amerika liegt sicherlich im Preis", sagt Gernot Klepper, Energieexperte beim Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel. Mineralöl ist in den Vereinigten Staaten im Vergleich zu Deutschland und Japan deutlich günstiger. Aber auch die geografische Weitläufigkeit im Land der unbegrenzten Möglichkeiten sorgt für einen hohen Energiebedarf. "Eine 150 Kilometer weite Fahrt zur Disco ist in Amerika doch kein Seltenheit", sagt Klepper.

Dennoch ist die amerikanische Wirtschaft nach Berechnungen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) weniger von dauerhaften Ölpreissteigerungen betroffen als Japan oder aber die EU-Staaten. In einer Modellrechnung kommen die OECD-Volkswirte nämlich zu einem überraschenden Ergebnis. Steigt der internationale Handelspreis pro Barrel Öl um zehn Dollar, kommen die Amerikaner noch vergleichsweise glimpflich davon. Die japanische Konjunktur wird durch eine dauerhafte Preiserhöhung nämlich laut OECD-Modell doppelt so stark getroffen wie die amerikanische.

Selbstversorger USA

Der Grund: Japan verfügt über keine nennenswerten Ölvorkommen. Und auch in der EU ist es nicht besser. Ganz anders die Vereinigten Staaten: Der eigene Zugang zu Ölvorräten macht sie von Preisschwankungen relativ unabhängig. Die Abängigkeit von Ölimporten und deren jeweiligem Preis haben deshalb in Japan und in der EU eine größere Bedeutung.

Lähmend wirkt ein dauerhaft steigender Ölpreis zwar auf alle drei großen Volkswirtschaften, jedoch in unterschiedlichem Maß. Das reale Austauschverhältnis von Export- und Importgütern, die so genannten Terms of Trade, verdeutlichen den Unterschied. Steigt der Ölpreis, so steigt in allen drei Regionen das gesamtwirtschaftliche Importvolumen gemessen in Preisen. Weil die Vereinigten Staaten jedoch zu einem vergleichsweise hohen Anteil - etwa 40 Prozent - auf eigene Vorkommen im Land zurückgreifen können, spüren sie eine Preiserhöhung auf dem Weltmarkt weniger als Japan und die EU. Ein Preisanstieg um zum Beispiel zehn Dollar bedeutet laut OECD-Szenario für Japan einen Wirtschaftsrückgang von 0,4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Das Volkseinkommen der EU-Länder wird um 0,3 Prozent geschwächt. Die Konjunktur des absoluten Öl-Großverbrauchers USA kühlt sich hingegen "nur" um 0,2 Prozent ab.

Philipp Scheffbuch

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