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Wirtschaft: Die Kreativen fürchten eine Hexenjagd in Brüssel

Die Werbebranche wehrt sich gegen die Verbote der EU-Kommission - Der Preiskampf wird härterMaren Peters "Es war ein fantastisches Jahr" sagt Sebastian Turner, Chef der Werbeagentur Scholz & Friends. "Wir sind sehr zufrieden.

Die Werbebranche wehrt sich gegen die Verbote der EU-Kommission - Der Preiskampf wird härterMaren Peters

"Es war ein fantastisches Jahr" sagt Sebastian Turner, Chef der Werbeagentur Scholz & Friends. "Wir sind sehr zufrieden." Kein Wunder. Das Berliner Unternehmen, vom Fachblatt "Werben + Verkaufen" gerade unter die drei kreativsten Werbeagenturen Deutschlands gewählt, kann sich 1999 über ein Umsatzwachstum von 40 Prozent freuen. Hatte die Agentur Anfang 1999 noch 80 Mitarbeiter, sind es heute - zwölf Monate später - fast doppelt so viele. Noch im Januar werden sechs weitere hinzukommen.

Mit zweistelligen Wachstumsraten ist Scholz & Friends inzwischen eine Ausnahme - nach dem Werbeschub infolge der Wiedervereinigung gab es ähnliche Zuwächse nur bis Mitte der 90er Jahre. Dennoch zeigt die Berliner Agentur einen Trend an: Die Werbebranche ist noch immer eine Wachstumsbranche. In seiner Herbstprognose rechnet der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) in Bonn mit Werbeausgaben für 1999 von knapp 62 Milliarden Mark, 4,4 Prozent mehr als im Vorjahr. Die A.C. Nielsen Werbeforschung in Hamburg hat bis Oktober sogar ein Plus von 5,4 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum ausgemacht. Nach den USA und Japan ist Deutschland damit der drittgrößte Werbemarkt der Welt. Zeitungen, Zeitschriften und Radio und Fernsehen profitierten mit Werbeeinnahmen von gut 43 Milliarden Mark in 1999 am stärksten. Und auch der Blick in die Zukunft ist vielversprechend: "Die Werbeausgaben werden im Jahr 2000 weiter steigen", prognostiziert ZAW-Geschäftsführer Uwe Albrecht.

Doch trotz der angenehmen Aussichten will in der Branche keine Hochstimmung aufkommen. Das liegt vor allem an den Plänen der Brüsseler EU-Kommission, die Werbung der Tabakindustrie künftig zu verbieten. In diesen Tagen hat der ZAW Bundeskanzler Gerhard Schröder aufgefordert, diese "Hexenjagd" zu bremsen und die Klage gegen die EU-Richtinie vor dem Europäischen Gerichtshof auch im kommenden Jahr mit Nachdruck weiter zu betreiben. Deutschland hatte als einziges EU-Land gegen den Beschluss geklagt. Mit einer Entscheidung wird laut ZAW-Geschäftsführer Albrecht erst im Jahr 2001 gerechnet.

Wenn die Richtlinie nicht per Gerichtsentscheid gekippt werde, dann, so der ZAW, gingen den Medien Werbeeinnahmen in Höhe von 6,9 Milliarden Mark pro Jahr durch die Lappen. Die Angst scheint mächtig gewachsen zu sein: Im Mai hatte der Verband noch von einem Verlust in Höhe von "nur" 140 Millionen Mark gesprochen. ZAW-Sprecher Albrecht warnt zudem vor einem "Domino"-Effekt: Die EU-Kommission werde nach Werbeverboten für Tabak auch andere Bereiche wie Alkohol, Autos, Süßwaren und Kinderspielzeug aufs Korn nehmen. "Da sind große Blöcke in Gefahr", sagt der Funktionär.

Die Spitze der werbeintensivsten Branchen behauptet nach wie vor die Autoindustrie, die - laut Statistik der A.C. Nielsen Werbeforschung S+P GmbH in Hamburg - zwischen Januar und Oktober gut 2,7 Milliarden Mark in Werbung investierte. Der starke Wettbewerb hat zu einem Plus der Werbeausgaben in 1999 gegenüber dem Vorjahreszeitraum um knapp neun Prozent geführt. Auf Platz zwei folgen die Massenmedien mit Ausgaben in Höhe von knapp 2,1 Milliarden Mark. Und auf Platz drei hat sich nach Untersuchungen der Hamburger Werbeforscher mit 1,7 Milliarden Mark die Telekommunikationsbranche geschoben - mit einem Zuwachs von über 55 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum.

Noch stärker als bei der Telekommunikation stiegen die Werbeausgaben bei den Energie- und Versorgungsbetrieben - ein Folge des liberalisierten Marktes. Gegenüber 1998 legten sie um fast 210 Prozent auf rund 297 Millionen Mark zu. "Das Wachstum wird sich auch im Jahr 2000 fortsetzen", sagt Werbeforscher Janneck.

Die heftigen Preiskämpfe um die Telekommunikationskunden spielen sich vor allem im Fernsehen ab. Dagegen bevorzugten die Energieversorger für ihre Kampagnen eher Tageszeitungen. Nach steilen Zuwachsraten in den vergangenen Jahren - forciert durch das Privatfernsehen - scheint die Fernsehwerbung jetzt auf hohem Niveau zu stagnieren: TV-Spots ließ sich die Industrie in 1999 laut Nielsen (Januar bis Oktober) 10,8 Milliarden Mark kosten, das entspricht einem Zuwachs von gut fünf Prozent gegenüber dem Vorjahr. Janneck: "Der Markt ist fast gesättigt." Im Gegensatz zum Fernsehen erlebte das Radio mit einem Plus von fast 14 Prozent auf 1,5 Milliarden Mark (Januar bis Oktober) als Werbemedium einen überraschenden Boom, wobei die Privatradios die stärksten Zuwächse verzeichneten. "Die Industrie beginnt strategisch umzudenken,", sagt Marktforscher Thomas Heun von der Radio Marketing Service GmbH in Hamburg (RMS), "vielen Kunden werden TV-Spots einfach zu teuer."

Stark im Kommen ist das Internet. "Das ist ein Wachstumsmarkt ohne Grenzen", sagt Werbeforscher Janneck. In den offiziellen Statistiken taucht Internet-Werbung allerdings noch nicht auf - weil es schwierig ist, sie objektiv zu erfassen. Der ZAW geht von einem Marktanteil von rund 1,5 Prozent aus, bei Scholz & Friends macht die Internet-Werbung schon jetzt rund fünf Prozent des Gesamtumsatzes aus. "Internetfirmen investieren einen hohen Anteil ihrer Umsätze in Werbung, um sich im extrem wettbewerbsstarken Markt durchzusetzen", sagt Sebastian Turner, "bei einigen liegt der Anteil über 60 Prozent."

Der scharfe Wettbewerb um Einschaltquoten und Auflage zwingt allerdings auch die Medien zu immer mehr Eigenwerbung: "Von jeder eingenommenen Mark muss ein Teil in die eigene Bewerbung bei Zuschauern und Lesern sowie bei Werbekunden investiert werden", heißt es beim ZAW. Den harten Wettbewerb um Werbekunden bekommen die Publikums- und Fachzeitschriften gerade besonders heftig zu spüren. Während sie 1987 noch fast die Hälfte zum Umsatz des Werbemarktes beitrugen, ist der Anteil heute auf rund ein Viertel geschrumpft. Im gleichen Zeitraum ist der Anteil der Fernsehwerbung von knapp 20 auf rund 40 Prozent gewachsen.

Mit einer bundesweiten Anzeigenkampagne versucht der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ), dieser Entwicklung gegenzusteuern: Mit Hilfe eines unbekannten Durchschnittsbürger namens Stefan Kappers, der in 20 Zeitschriften auf einer doppelseitigen Anzeige präsentiert wird. Kein Motto, kein Logo, kein Absender weisen auf die Werbebotschaft hin. Dafür flotte Sprüche wie dieser: "Dolle Sache, hier in der Zeitschrift zu sein." Einziger Sinn der Kampagne ist es, laut Zeitschriftenverleger, im Konkurrenzkampf der Zeitschriften mit den Fernseh-Sendern zu zeigen, welche Aufmerksamkeit ein origineller Auftritt bei Werbekunden findet.

Maren Peters

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