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© Frank Bloedhorn

Wintermärchen: Finnegan Downie Dear dirigiert die Staatskapelle

Miniaturen aus Kälte und Licht: Die Staatskapelle spielt Boulez Saal unter der Leitung von Finnegan Downie Dear.

Unsere Sprache ist von Redundanz geprägt, wir reden deutlich mehr, als es zum reinen Austausch von Informationen nötig wäre. Wir wiederholen uns, sagen etwas zur Sicherheit dreimal. Und manchmal droht im Strom der Wörter gar ihr Sinn hinweggespült zu werden. Wie anders ist die Musik von Anton Webern geschaffen, die in der Reduktion und Aussparung bei größtmöglichem Bezug zur Musikgesichte wie ein Konzentrat erscheint, dass die Wahrnehmung noch immer vor Herausforderungen stellt.

Als Ouvertüre beim Konzert der Staatskapelle Berlin unter Leitung von Finnegan Downie Dear im Pierre Boulez Saal haben Weberns „Variationen für Orchester op. 30“ keinen leichten Stand. Erhellend wäre es gewesen, den Achtminüter zu wiederholen, sich der Redundanz zu bemächtigen, um die Miniatur aufzuschließen. Doch Downie Dear lässt stattdessen vor der Pause den letzten Satz aus Hans Abrahamsens „Märchenbildern“ erneut spielen, ein zauberhaftes Scherzo, das funkelnd im Saaloval emporsteigt, ein perpetuum mobile, sinnlich und doch nicht zu fassen.

Gespür für Klangtemperaturen

Die Werke des Dänen Abrahamsen hat Simon Rattle in Berlin bekannt gemacht, weil er in ihnen eine kommunikative Ader erkannte: Die Musik erzeugt ausreichend Repetitionen, um erkannt zu werden, ist aber zugleich in ihrer Klanggestalt so vielfältig, dass sie dabei nie redundant wirkt. Abrahamsen kann über den Schnee schreiben und seine Zuhörer:innen dabei in einen weißen Rausch führen.

Auch durch seine „Märchenbilder“ weht ein kristalliner Hauch, er streift sogar Schönbergs „Kleine Klavierstücke op. 19“, die Abrahamsen für Orchester arrangiert hat. Denn während er selbst als Komponist für zehn Jahre verstummte, widmete er sich den Werken von Kollegen. Eine feine Programm-Konstellation, von der Staatskapelle mit wachem Klangsinn gespielt.

Mit ihrem jungen Dirigenten verstehen sich die Musiker:innen ohne große Gesten. Downie Dear leitet gerade Janaceks „Die Sache Makropulos“ in der Staatsoper nebenan. Nach der Pause kann er sein Gespür für Klangtemperaturen mit schöner Selbstverständlichkeit entfalten. George Benjamin Sicht des Schneemanns auf Welt in „A Mind of Winter“ knarrt und klirrt, während sich bei Maurice Ravel schließlich die ganze Wärme der Staatskapelle zeigen darf, die die Märchen der Kindheit von „Ma Mère L’Oye“ in mediterranes Licht taucht. Da wirkt er weit weg, der Berliner Winter.

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