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Roy Lichtenstein, „Drowning Girl“, 1963

© Estate of Roy Lichtenstein/Bildrecht, Wien 2024

Roy Lichtenstein in Wien: Er malte wie gedruckt

2023 wäre Roy Lichtenstein 100 Jahre alt geworden. Jetzt widmet die Albertina in Wien dem Erfinder der Pop Art eine große, wegen Corona leicht verspätete Ausstellung.

Pathetisch sind Roy Lichtensteins Schönheiten, melodramatisch. Mit einer Träne im Auge und schnulzigem Text in der Sprechblase – „Ist mir egal! Ich gehe lieber unter, als Brad um Hilfe zu bitten!“, schmachtet eine Schöne mit blauen Haaren, die Augen geschlossen, während sie in einem Meer aus aufgewühlten Wellen zu versinken scheint.

Dieses 171 mal 169 Zentimeter große Gemälde von 1963 gehört zu den von Pop-Art-Erfinder Roy Lichtenstein geschaffenen Ikonen. In der Wiener Albertina stößt der Besucher rasch auf sie – in einem Saal voller unverwechselbarer Frauenbilder.

2023 wäre Lichtenstein 100 Jahre alt geworden, doch Corona hat alle Pläne für eine Jubiläumsausstellung durcheinandergewirbelt. Das Whitney Museum of American Art plant seine Jahrhundert-Ausstellung erst 2026. Also bot die Albertina an, jetzt die große Geburtstagsshow in Wien zu zeigen, ein Fest fürs Auge und alle Fans des Künstlers. Die Roy Lichtenstein Foundation und die Familie dankten es mit der großzügigen Schenkung von 95 Werken, Zeichnungen, Teppichen, Skulpturen, Drucken und Modellen.

Roy Lichtenstein, „We Rose Up Slowly“, 1964

© Estate of Roy Lichtenstein/Bildrecht, Wien 2024

Die Ausstellung beginnt mit berühmten Comic-Arbeiten, die im Vergleich zu den kleinen Vorlagen, die Lichtenstein aus Heftchen ausgeschnitten und eingeklebt hatte, riesig sind und damit die kitschige Banalität des Motivs noch verstärken. Lichtenstein führte mit seinem unverwechselbaren Stil die Comic-Ästhetik aus Liebes- und Kriegsheftchen in die Kunst ein, sofort wiedererkennbar, aber gleichzeitig auch so reduziert, dass kein individueller Zug mehr erkennbar ist.

„Die Frauen, die ich male, bestehen nur aus schwarzen Linien und roten Punkten. Ich täte mich sehr schwer damit, für eines dieser Geschöpfe Feuer zu fangen, weil sie für mich nicht wirklich echt sind“, hat Lichtenstein einmal gesagt. „Als ich ein Kind war, hielt ich sie tatsächlich für große Schönheiten. Heute sehe ich nur mehr das gezeichnete Bild.“

Schon zwei Jahre später überträgt Lichtenstein seinen Malstil auf mit Gips bearbeitete Schaufensterpuppenköpfe. Er versieht sie genauso mit Punkten und schwarzen Konturlinien wie auf den Gemälden, die er jetzt auch schon mal emaillieren lässt. Schließlich hat er sich seine Motive aus Werbung und Comic abgeschaut und alles unternommen, möglichst in einem Stil zu malen, der keine individuellen Spuren zulässt. Dennoch ist seine Methode mit Punktraster und klarer Konturlinie zum unverkennbaren Markenzeichen geworden.

Er malte nicht nur Bilder: Ein Teppich von Roy Lichtenstein (1967).

© Estate of Roy Lichtenstein/ Bildrecht, Wien 2024

Hat Lichtenstein die Punkte zunächst noch von Hand gemalt, nutzt er dann Schablonen, später haben sie seine Assistenten wie in einem Altmeister-Atelier ausgeführt. Die sogenannten Ben-Day Dots stammen aus der Drucktechnik. Ähnlich wie den Pointillisten gelingt es Lichtenstein so, durch Verdichtung und Überlagerung von roten und blauen Punkten einen aus der Ferne violett wirkenden Farbton zu erzielen. Er malt wie gedruckt.

Lichtenstein beginnt alsbald stark reduzierte Landschaften in diesem Stil zu schaffen, darunter auch einen Sonnenuntergang am Meer aus blauer und weißer Farbe. Er zitiert Stile der Kunstgeschichte, aber nicht, indem er konkrete Werke kopiert, sondern den jeweiligen Stil in seiner Comic-Malweise umsetzt. Das setzt sich fort in Tapisserien und großformatigen Teppichen.

Roy Lichtenstein, „Drowning Girl“, 1963

© Estate of Roy Lichtenstein/Bildrecht, Wien 2024

Erstmals zu sehen ist eine große Auswahl von Skulpturen, die er zunächst aus bemaltem Holz und dann aus Bronze geschaffen hat. Dabei gelingt ihm das Unmögliche: Wer gießt schon die Lichtstrahlen einer Lampe mit ihrem Lichtkegel auf dem Boden in Bronze? Lichtenstein schafft das, dreidimensional und doch flach, sodass die Skulptur am Ende doch wieder wie ein echter Lichtenstein mit seinen Konturlinien erscheint.

Blick auf das Museum Albertina

© IMAGO/Leopold Nekula/VIENNAERPORT

Die Welt der abstrakten Expressionisten wie Jackson Pollock war nichts für Lichtenstein. Er machte sich lustig über diesen Individualismus und malte einen überdimensionierten Pinselstrich in seinem bewährten Comic-Stil, wodurch der individuelle Gestus wie eingefroren wirkt, Schnappschuss einer heftigen Bewegung.

Diesen Effekt steigert er noch, indem er den scheinbar spontanen Pinselstrich ebenfalls in Bronze gießt und bemalt. Es gelingt ihm auch, seinen Comic-Stil überzeugend in Bronzeskulpturen wie etwa „Coup de Chapeau II“ umzusetzen. Ein Hut wird aufgewirbelt und zieht einen Luftschweif hinter sich her, ebenso, wie man im Comic Bewegung zeichnet.

„Wallpaper with blue Floor Interior“, Siebdruck aus dem Jahr 1992

© Estate of Roy Lichtenstein/Bildrecht, Wien 2024

In seinem Spätwerk verlegt sich Lichtenstein auf minutiös gemalte Interieurs, die den kalten Wohlstand spiegeln, anonym, unpersönlich. „Amerika wurde stärker und härter vom Industrialismus und Kapitalismus getroffen, und seine Werte scheinen noch schräger zu sein als im Rest der Welt. Ich denke, die Bedeutung meiner Arbeit ist, dass sie zeigt, was die ganze Welt demnächst sein wird“, hat Lichtenstein einmal gesagt.

Die grandiose Ausstellung zeigt lieb gewonnene Klassiker, aber auch vieles, was es neu an diesem vielseitigen Künstler zu entdecken gibt.

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