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Sport: Kernig und sehr männlich

Ein Selbsterfahrungskurs in 17 Lektionen

Gut, die Fans anderer Vereine stehen geschlossener hinter ihrem Klub. Ja, ja, in Berlin wird viel gemeckert. Das haben wir in den vergangenen Lektionen gelernt und gemeinsam mit Dieter Hoeneß in einem Gespräch (Tagesspiegel vom Donnerstag) für schade befunden. Jedoch: diese Reihe tritt an, Hertha lieben zu lernen. Wer Hertha kurz vor Saisonende noch immer nicht lieben kann, weil die Berliner Fans oft so unfreundlich ihre Mannschaft beschimpfen, dem sei geschrieben, dass sich auch dieser rauen Fankultur etwas Liebenswürdiges abgewinnen lässt. Tatsächlich. Ich würde sogar sagen: etwas Notwendiges.

Berlin ist nicht in Sizilien. Hertha-Fans sind kein verschworener Mafia-Clan, der bis aufs Blut zusammenhält und Kritik an der eigenen Familie als Verrat mit Maschinengewehrsalven bestraft. Es darf gepfiffen werden. Gerne gegen die eigenen Leute. Hier wird weder gekuschelt noch der Stürmer geherzt, wenn er fünfmal daneben geschossen hat. Hertha ist kein Verein für Weicheier, Hertha BSC ist der John Wayne unter den Fußballklubs: Passt etwas nicht, wird nicht lange gefackelt und schon gar niemand lieb in den Arm genommen. Darauf ein Herrengedeck!

Der viel zitierte Verein mit der einwandfreien Fankultur, der 1. FC Köln, kann sich bei jedem Heimspiel über ein ausverkauftes, bebendes Stadion freuen. Wie schön. Trotzdem steigt Köln ab. Und das ist der Punkt: Theaterregisseur Peter Zadek hat einmal sinngemäß beschrieben, wieso er nie wieder in Köln arbeiten will: Weil der Kölner jeden Anlass zum Feiern nutze; egal ob Sieg oder Niederlage, egal ob kritische Lagebesprechung oder Weihnachten – es wird gemütlich beisammen gesessen, Kölsch getrunken und sich wohl gefühlt, einfach, weil man in dem völlig verbauten Städtchen nicht alleine sei und immer jemanden zum Reden habe. Wenn Zufriedenheit der Ausgangspunkt ist, geht nach oben nicht mehr viel. Man sei so sehr verhaftet im innigen Kölner-Sein, dass eine regelrechte Immunität gegen Kritik eingesetzt habe. Egal was schief läuft, abends wird miteinander gesungen und der leeve Jott ne jode Mann sin jeloße.

So entsteht diese riesige Kluft zwischen dem außerordentlichen familiären Zusammenhalt aller Kölner und der Qualität dessen, worauf sie so fröhlich stolz sind. Deshalb ist das Rhein-Energie-Stadion an Heimspieltagen der ausgelassenste Fußball-Ort der Welt und der 1. FC Köln schon wieder so gut wie abgestiegen. Und am Tag des Abstiegs wird wieder ganz gemütlich gefeiert und bierselig über das kommende fulminante Aufstiegsjahr schwadroniert. Während von Spandau bis Wedding die Hertha-Vereinsmitgliedschaften gekündigt werden, weil es wieder nur zum Uefa-Cup gereicht hat.

Es stellt sich die Frage, ob der Berliner Umgang mit seinem Verein für dessen Fortkommen nicht der gesündere ist, der männlichere sowieso. So hilft Herthas kernige Fankultur, sich nicht in Selbstzufriedenheit gehen zu lassen.

Übrigens ist es nicht so, dass in Köln nicht gemeckert wird. Da wird sogar geflucht und gekeift! Selbstverständlich nie gegen die eigene Mannschaft, wie bei uns, sondern gegen sämtliche Schiedsrichter der Bundesliga, die angeblich ganz bewusst jedes Köln-Spiel verpfeifen, gegen die Bayern, weil sie ihnen Poldi wegnehmen wollen und sowieso die ganze Liga kaputtkaufen, gegen Wettbüros und ihre bestochenen Linienrichter. Da werden Verschwörungstheorien erfunden und wutentbrannt beim Kölsch diskutiert, kurz bevor man wieder glasigen Blickes vom genialen Kölner Kombinationsspiel schwärmt. Wie sympathisch ist doch die kantige, rauchige Fankultur von Hertha BSC Berlin.

Christian Ulmen, 30, ist Schauspieler und Hertha-Fan. Wenn Hertha ein Heimspiel hat, erscheint seine Kolumne.

Christian Ulmen

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