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Blinde Liebe. Bei einem Verwandtenbesuch bekam der kleine Per Mertesacker eher zufällig ein Arsenal-Trikot – seitdem ist er Fan des Londoner Vereins. Foto: dapd

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Sport: Die Tante ist schuld

Vor dem Länderspiel erfüllt sich Per Mertesacker mit dem Wechsel zu Arsenal einen Kindheitstraum

Per Mertesacker hat nichts geahnt, als er am Sonntag vor dem Fernseher saß und sich seinen Lieblingsverein anschaute. So ein abgezockter Hund ist er dann doch nicht, dass er feixend in seinem Sofa gesessen hätte, weil sich plötzlich ganz neue Perspektiven auftaten. Und, nein, er wird auch keine Dankesbotschaft an Wayne Rooney richten, weil der ihm doch noch die Verwirklichung eines Kindheitstraumes ermöglicht hat. Der Nationalspieler lacht. „Ich denke nicht, dass er der Auslöser war“, sagt er. „Davon gehe ich mal stark aus.“ Ganz so abwegig ist der Gedanke trotzdem nicht. Rooney hat am Wochenende für Manchester United drei Tore zum 8:2-Sieg gegen den FC Arsenal geschossen, und völlig überraschend sind die Londoner nach dieser Niederlage zu der Erkenntnis gelangt, vielleicht noch einen erfahrenen Abwehrspieler brauchen zu können. Per Mertesacker nämlich.

Sein Wechsel von Werder Bremen nach London erfüllt alle Kriterien eines Panikkaufs; genauso aber ist der Transfer Ausdruck einer vorausschauenden Planung. Der 27-Jährige gilt schon lange als Spieler, der sämtliche Anforderungen von Arsenals Trainer Arsène Wenger erfüllt. Mertesacker vertritt als Verteidiger eine eher rationale Schule. Er verfügt über ein gutes Stellungsspiel, versteht es, Gefahren zeitig zu antizipieren, und muss nur im äußersten Notfall die Grätsche als letztes Mittel einsetzen. So will es Wenger sehen, ein entsprechendes Interesse an Mertesacker wird deshalb bereits seit Jahren kolportiert.

Trotzdem musste am Ende alles rasend schnell gehen. Noch am Wochenende ging Mertesacker davon aus, dass er seinen Vertrag in Bremen erfüllen werde. „Eigentlich habe ich nicht mehr damit gerechnet“, hat er gestern gestanden. Am Montag aber nahm die Sache doch noch eine andere Wendung. Am späten Abend informierte der Nationalspieler Bundestrainer Joachim Löw und bat für den folgenden Tag um Freistellung vom Dienst. Erst am Mittwoch, gut sechs Stunden vor Ende der Transferperiode, war die Angelegenheit dann abschließend geklärt.

„Für Werder Bremen tut es mir ein bisschen leid“, sagt Oliver Bierhoff, der Manager der Nationalmannschaft. Mertesacker sei nicht nur das Gesicht des Klubs gewesen, er habe auch der Mannschaft Halt gegeben. Der Schmerz aber wird mit rund zehn Millionen Euro Ablöse entscheidend gelindert. Überhaupt lässt sich die Konstellation am treffendsten als Win-Win-Win-Situation beschreiben. Werder erwirtschaftet mit einem Spieler, der im kommenden Sommer ablösefrei gewesen wäre, dem Vernehmen nach noch rund zehn Millionen Euro. Arsenal bekommt einen erfahrenen Verteidiger, der dem wackeligen Team in einer Phase des Umbruchs ein bisschen Stabilität verschaffen kann. Und Mertesacker wird künftig nicht nur fürstlich entlohnt, er spielt jetzt auch für einen Klub, zu dem er seit Jahren „eine emotionale Verbindung“ gepflegt hat.

Angefangen hat es, als Mertesacker zwölf oder dreizehn war und mit der Familie seine Tante Ute in England besuchte. Weil man in solchen Fällen nicht ohne Fußballtrikot von der Insel zurückkehren sollte, suchten auch die Mertesackers ein entsprechendes Geschäft mit einer ganzen Stange voller Trikots auf. „Wir Jungs haben blind reingegriffen“, erzählt Mertesacker, „mein Bruder hat das ManU-Trikot gezogen, und ich habe eins von Arsenal erwischt.“ Seitdem war Arsenal „der Verein, für den ich irgendwo geschwärmt habe“.

Mertesacker ist nach Sami Khedira und Mesut Özil der dritte deutsche Nationalspieler, der aus der Bundesliga zu einem der europäischen Top-Ten-Klubs wechselt. Auch das unterstreicht die neue Qualität des deutschen Fußballs. Bei Arsenal wird Mertesacker sich – zumindest in dieser Saison – weiter in der Champions League beweisen können, auch deshalb begrüßt Bundestrainer Löw den Wechsel ausdrücklich, zumal der Klub großen Wert auf einen schnellen, technisch hochwertigen Fußball lege. Man könnte auch sagen: Die Londoner spielen so, wie der Bundestrainer seine Mannschaft sehen will. Auch Wenger bevorzugt den gepflegten Ball, zudem hat der Franzose immer wieder bewiesen, dass er junge Spieler zu internationalen Stars formen kann.

Mit 27 Jahren und 75 Länderspielen erfüllt Per Mertesacker nicht mehr ganz die Kriterien, um als unbekannter Neuling durchzugehen, trotzdem hält er Wenger für „eine Trainerpersönlichkeit, die mich noch einmal weiterbringen kann“. Ein Nachteil wäre das nicht. Die Zeiten, da Mertesacker als Innenverteidiger in der Nationalmannschaft keine ernste Konkurrenz fürchten musste, sind inzwischen vorbei.

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