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Sport: Boxen als Comic Ungedeckt verloren

Markus Beyer bleibt Weltmeister, weil sein Gegner vor ihm wegrennt Deutsche Handballer unterliegen Frankreich 25:27

Von Hartmut Moheit, Basel

Berlin - In der Ringmitte sah Markus Beyer seinem Gegner in die Augen. Was er sah, war Angst. Dabei war der Boxkampf noch nicht losgegangen. Der Italiener Alberto Colajanni hatte seine Augen weit aufgerissen und stand zappelig auf seinen dünnen Beinen vor dem viel kleineren Sachsen. Keine guten Vorzeichen für einen Boxer, gleich gar nicht für einen, der einen Weltmeister herausfordert.

Markus Beyer, der WBC-Weltmeister im Super-Mittelgewicht (bis 76,2 Kilogramm), wollte bei seiner freiwilligen Titelverteidigung zeigen, wie gut er ist. Nur hätte er dafür auch einen Gegner gebraucht, der sich dem Kampf stellt. Colajanni aber, der klare Reichweitenvorteile hatte, wollte sich nicht zum Kampf stellen, sondern flitzte von der ersten Sekunde an durch das Geviert. Während der Titelverteidiger von der Ringmitte aus seine Schläge setzen wollte, umkreiste ihn der Italiener wie ein Satellit die Erde. Hätte der 32-Jährige dabei ein Seil mitgeführt, er hätte den drei Jahre älteren Weltmeister in nur einer Runde einwickeln können. Dieses Schauspiel wiederholte sich von Runde zu Runde, was die Angelegenheit für die 3500 zahlenden Zuschauer im Berliner Tempodrom nicht angenehmer machte. Immer wenn Markus Beyer den Flitzer zu stellen versuchte, tauchte dieser wieder weg. Der Weltmeister hatte bisweilen Schwierigkeiten, dem Herausforderer zu folgen. „Das war heute mehr eine Laufveranstaltung“, sagte Beyer. „Alle Achtung vor dem Publikum“, sagte Beyers Trainer Ulli Wegner und staunte, „dass die das durchgehalten haben“.

Der Kampf war eine Art Box-Comic. Der zwischenzeitliche Höhepunkt war erreicht, als der Herausforderer in der vierten Runde plötzlich umfiel. Nicht, weil er etwa schwer getroffen worden wäre, vielmehr hebelte ihn der Windzug eines Schlages von Beyer aus. Leider ermahnte der erfahrene Ringrichter Larry O’Connell aus England den mutlosen Italiener erst in der neunten Runde, er möge sich doch bitte am Kampf beteiligen, andernfalls würde er einen Abbruch riskieren. „Das war kein Spaß für mich. Ich wusste teilweise nicht, wo ich hinlaufen sollte, damit Colajanni mich nicht umrennt“, sagte O’Connell, nachdem er schweißnass aus dem Ring kam.

„Ich hatte gedacht, er würde sich ein wenig mehr aufopfern“, sagte Trainer Wegner über den Italiener, den er für seinen Schützling zu dessen freiwilliger Titelverteidigung ausgesucht hatte. Da Colajanni in der WBC-Rangliste auf Position 15 geführt wurde, erfüllte er das Mindestkriterium. Mehr aber nicht. „Vielleicht war ich heute zu nervös“, sagte Colajanni, „ich habe einfach vergessen zuzuschlagen.“

Erst als Colajanni in der zwölften und letzten Runde etwas langsamer auf seiner Flucht wurde, erwischte ihn Markus Beyer. Mit zwei schweren linken Händen an den Kopf schickte er seinen Herausforderer zweimal auf die Bretter, weshalb aus der italienischen Ringecke das Handtuch zum Zeichen der Aufgabe flog. „Ich war langsam frustriert“, sagte der Sieger, „aber hintenraus habe ich ihn ja dann doch noch abgeschossen.“

Kämpfe dieser Art bringen niemanden weiter. Das weiß auch Beyers Manager Wilfried Sauerland. Für die zweite Jahreshälfte hat er seinem Weltmeister einen Kampf gegen einen Champion der drei Konkurrenzverbände in Aussicht gestellt. Gegen einen Gegner, der keine Angst hat.

Begonnen hatte alles mit Umarmungen. Dann plauderte der Handballer Pascal Hens kurz mit seinem Hamburger Teamkollegen Bertrand Gille, auch die Kieler Henning Fritz, Christian Zeitz und Nikola Karabatic begrüßten sich vor dem Anpfiff, und Frank von Behren hatte seinem Gummersbacher Teamgefährten Daniel Narcisse ebenfalls noch etwas zu sagen. Das Vorrundenspiel der deutschen Handball-Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft gegen Frankreich in der Schweiz war gestern das Aufeinandertreffen vieler Bundesliga-Größen. Am Ende freuten sich die Franzosen: Sie gewannen in Basel vor 6600 Zuschauern 27:25 (13:11). Für Deutschland war es die erste Niederlage bei dieser EM.

Gegen den WM-Dritten Frankreich, für den fünf Bundesligaprofis spielen, setzte sich beim Team von Bundestrainer Heiner Brand jene Tendenz fort, die sich bereits beim Sieg gegen die Slowakei angedeutet hatte: Der Abwehr fehlte es an Sicherheit, und im Angriff blieben viele Chancen ungenutzt. „Wir haben trotz dieser Niederlage unsere Chancen, aber wir dürfen nun nicht mehr verlieren“, sagte Brand. Gegen die Ukraine (Dienstag), Vize-Europameister Slowenien (Mittwoch) und Polen (Donnerstag) kann Titelverteidiger Deutschland aber noch aus eigener Kraft das Spiel um Rang fünf erreichen und würde damit um die Qualifikation für die EM 2008 spielen.

Es war klar, dass die Franzosen den Deutschen individuell überlegen sein würden. Ihr taktisches Mittel, mit vielen Einzelaktionen zum Erfolg zu kommen, ging denn auch auf. Vor allem Jerome Fernandez erzielte auf diese Weise seine sechs Treffer. Den Star des FC Barcelona konnten die Deutschen kaum blocken. Für diese Spielweise sind alle französischen Nationalspieler bekannt. Ihr Können machen sich schon seit Jahren die besten deutschen Bundesligaklubs zunutze. „Ihre individuellen Stärken sind für alle Teams ein Gewinn“, sagt Bob Hanning, der beim HSV Hamburg die Gebrüder Bertrand und Guillaume Gille trainierte. „Die Franzosen sind jederzeit in der Lage, im Eins-gegen-eins-Spiel eine Situation für sich zu entscheiden.“ Ein anderer Spieler hat es Hanning, dem heutigen Geschäftsführer der Füchse Berlin, aber noch mehr angetan: Nikola Karabatic. „Er ist der Kompletteste von allen.“ Gegen Weltmeister Spanien hatte der 27-Jährige zehn Tore erzielt. Karabatic, die Gille-Brüder, Narcisse und Joel Abati (SC Magdeburg) bilden mit Fernandez den wichtigsten Block der „équipe tricolore“. Mehr als 50 Prozent der Tore für Frankreich haben diese fünf Bundesligaspieler bei der EM erzielt. Gegen Deutschland kam auch noch die Siebenmeter-Zuverlässigkeit von Michael Guigou hinzu.

Auf der anderen Seite steigerte sich der vermeintliche Schwachpunkt der Franzosen, Torhüter Thierry Omeyer aus Montpellier, enorm. Von 42 Würfen hielt er 17. Für Frankreich war es sicher ein Vorteil, dass Omeyer nicht in der Bundesliga spielt. Seine Stärken und Schwächen kannten die deutschen Spieler bisher nur vom Video.

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