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Sport: Auf neuen Wegen

Biathlon-Olympiasiegerin Kati Wilhelm hat sich ungewöhnlich auf die Saison vorbereitet: mit Urlaub

Berlin - Buchhaltung, Rechnungswesen, Mathematik: In Kati Wilhelms Hotelzimmer in Östersund, wo die Biathletinnen heute das zweite Weltcuprennen der Saison bestreiten (13 Uhr, live in der ARD), liegen neben der obligatorischen roten Mütze Bücher für ihr Fernstudium „Internationales Management“ an der Fachhochschule Ansbach. Im zweiten Semester studiert die Olympiasiegerin in dem eigens für Spitzensportler eingerichteten Studiengang, bei dem sie zu Blockseminaren und Prüfungen Skispringer Jörg Ritzerfeld oder die Skirennläuferinnen Petra Haltmayr und Monika BergmannSchmuderer trifft. „Man muss auch an die Zeit nach dem Sport denken“, sagt Wilhelm. Außerdem verhindert die Beschäftigung mit Themen wie „Weibliche Rationalität“, die im ersten Semester zum VWL-Lehrstoff gehörten, die Rund-um-die-UhrBeschäftigung mit Schusstechnik und Laufstil.

Das Studium ist Teil des Schwerpunktes, den Kati Wilhelm nach Olympia in Turin gesetzt hat, wo sie einmal Gold und zweimal Silber gewonnen hatte: sie hat sich intensiv um ihren Kopf gekümmert. Nach den beiden Goldmedaillen 2002 in Salt Lake City hatte sie ein Leistungstief erlebt, „diesmal habe ich versucht, dass nichts passiert“. Anfang Mai, als das deutsche Team das Training aufnahm, „war ich vom Kopf her noch nicht so weit. Wenn ich da schon wieder begonnen hätte, wäre meine Motivation nach ein paar Wochen dahin gewesen“, sagt die Gesamtweltcupsiegerin, die in Östersund am Mittwoch nach vier Schießfehlern über 15 Kilometer nur auf Platz 23 ins Ziel kam. Im Mai fuhr die 30-Jährige mit Freund und Rennrad nach Lanzarote, „da kann man fünf-Stunden-Touren machen, guckt nicht auf die Uhr und kann sich unbewusst quälen“. Und nebenher im Anblick der Lavaberge den Kopf freikriegen. Im Juli ging es mit dem Wohnmobil von Calgary nach Vancouver. Auf der einsamen Tour durch die kanadischen Nationalparks „hatten wir in zwei Wochen zweimal Elektrizität. Wenn der Handyakku leer war, war er leer“, erzählt Kati Wilhelm. Spartanische Campingplätze, Ruhe, Bären vor dem Autofenster – der Leistungssport war weit weg.

Doch die Thüringerin hat in der Vorbereitung keineswegs nur gefaulenzt. Dem Kanada-Urlaub schloss sich ein Trainingslager ohne Team in Salt Lake City an. Mit dem Skiroller arbeitete sich Kati Wilhelm Pässe in den Rocky Mountains hoch. „Es ist nicht so steil wie in den Alpen und man kann viel ausprobieren“, erzählt Wilhelm, deren Saisonziel eine WM-Medaille im Februar in Antholz ist. Sie hat an ihrer Technik getüfelt, um noch besser zu werden. „Die Form konservieren kann man nicht. Und ich bin in einem Alter, in dem sich Trainingsumfänge und - intensitäten nicht mehr steigern lassen.“

2002 wäre ein solcher Sonderweg nicht möglich gewesen. Wilhelm war damals in die Oberhofer Trainingsgruppe intergriert, „da kam man schwer heraus. Ich hätte ich ein schlechtes Gewissen gehabt, wenn die anderen schon mehr gemacht hätten.“ 2004 wechselte sie nach Ruhpolding und trainierte mit Uschi Disl, die nach ihren Olympiasiegen von Turin ihre Karriere beendet hat. Wo es keine Trainingsgruppe mehr gibt, gibt es auch keine problematischen Alleingänge, zumal Wilhelm sagt: „Uschi war im Training von mir nicht zu schlagen. Ich war stolz, wenn sie mir nicht mehr als eine halbe Minute abgenommen hat und musste auch damals schon eigene Wege gehen.“ Künftig will sie gelegentlich mit Kathrin Hitzer trainieren. Die 20-Jährige bestritt in Östersund ihr erstes Weltcuprennen und wurde 25. Bis zum letzten Schießen lag die C-Kader-Athletin über 15 Kilometer überraschend in Führung – und weit vor Kati Wilhelm.

Helen Ruwald

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