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Tag des offenen Denkmals: Landhaus Schade van Westrum ist ein kleines Kunstwerk

Wo Kästner schrieb und Thälmann die Faust reckt: Das Landhaus Schade van Westrum kann am Tag des offenen Denkmals besichtigt werden. Eine Geschichte 130 wechselvoller Jahre.

Potsdam - Bescheiden wirkt das Haus zunächst auf Besucher. Von der Straße sieht man eine schlichte Eingangstür. Daneben Fenster, die Wirtschaftsräume vermuten lassen und sich unter das tief herunter gezogene Mansarddach ducken. An der Südseite kommt plötzlich mediterrane Leichtigkeit auf, die Mauer strahlt die Augustwärme zurück, der Feigenbaum an der Hauswand trägt Früchte. Die schönste Seite ist die am Uferhang, auch wenn sie gen Nordosten gerichtet ist. Mit bodentiefen Fenstern und vielen Türen zur Terrasse, die sich über die gesamte Breite zieht, darüber ein Altan, ein halbrunder Balkon im ersten Obergeschoss, öffnet sich das Haus in die Landschaft und zum Griebnitzsee, um so viel Licht wie möglich einzufangen. Das Landhaus Schade van Westrum in der Virchowstraße ist ein kleines Kunstwerk, das man erst versteht, wenn man es umschreitet und am besten auch von innen besichtigt. Am Tag des offenen Denkmals am 8. September ist das möglich, dann zeigen die Hausbesitzer Caroline und John Flüh Garten und Erdgeschoss und erzählen von der Geschichte des Hauses und seinen vielen Bewohnern.

„Modern(e): Umbrüche in Kunst und Architektur“ lautet das Thema des diesjährigen Denkmaltags. Villa und Garten der Virchowstraße 19-21 erscheinen heute wie aus einem Guss – und doch hat sich das alles erst mit der Zeit zusammengefügt und manche Brüche überwunden.

Potsdams Denkmalexperte Jörg Limberg hat die Geschichte recherchiert. 1890 lässt sich der Geheime Regierungsrat Dr. jur. Anton Heyroth von der Wolgaster Actien-Gesellschaft für Holzbearbeitung zwei Häuser auf einem Grundstück der gerade neu entstehenden Siedlung errichten. Der Baustil erinnert an die Matrosenstation Kongsnæs – nordisch und mit viel Zierrat. Das kleinere Haus existiert heute nicht mehr. Das größere erwirbt samt Grundstück 1921 die Hamburgerin Hermine Schade von Westrum, die es 1927 stark umbauen lässt. Aus dem Holzhaus wird eine schlichte, aber doch solide wirkende Villa mit weithin leuchtenden roten Ziegeln. Die Seeseite ist vornehm gestaltet, die Straßenseite lässt sich eher als Landhaus einordnen. Gebaut wird effektiv. Das Fundament bleibt und manche Holzwände verschwinden einfach unter Mauern und Putz – bis Jahrzehnte später Familie Flüh bei der Sanierung die stellenweise verfaulten Holzreste entgegenbröseln. Architekt ist damals Ernst Ludwig Freud, Sohn des großen Psychoanalytikers Sigmund. Die Eigentümerin verkauft 1930 an den Rechtsanwalt Arno Wittgensteiner, der es bereits 1932 an den Rechtsanwalt und Kunstsammler Udo Rukser veräußert. Weil Rukser sich weigert, nach nationalsozialistischen Methoden zu arbeiten, zieht er 1933, als immer mehr hochrangige Nazis sich am Griebnitzsee niederlassen, von Potsdam an den Bodensee und emigriert später nach Chile. Das Haus am See vermietet er ab 1933 an den Rennfahrer Hans Stuck und dessen Frau Paula, Tennisspielerin und Journalistin.

1939 kauft der Verleger Erich Stückrath das Anwesen und gestaltet den Garten neu. Hier empfängt er oft namhafte Gäste, zum Beispiel Erich Kästner. Ein Farbfoto zeigt den von den Nazis mit Arbeitsverbot belegten Schriftsteller auf der Terrasse, Zeitung lesend im Liegestuhl. Er soll hier an seinem „Geheimen Kriegstagebuch“ geschrieben haben, sagt Caroline Flüh.

1945 ereilt die Villa das gleiche Schicksal wie die meisten Häuser der Siedlung. Die Russen vertreiben die Anwohner binnen weniger Stunden und quartieren sich oder andere Teilnehmer der Potsdamer Konferenz hier ein, in diesem Fall den britischen Außenminister Anthony Eden. Im Esszimmer ist heute ein besonderes Gruppenfoto zu sehen: Eden mit dem russischen Kollegen Molotow und viel Entourage. Die Besatzer bleiben bis Mitte der 1950er-Jahre, dann wird es von der DDR als Haus für Grenzer und Stasi genutzt. Das Esszimmer bekommt ein „pädagogisches“ Wandgemälde, das Flühs bei der Restaurierung entdecken und teilweise wiederherstellen lassen. Es mutet skurril an: Marx, Engels, und Lenin mit Panzerkreuzer Potemkin sowie den Faust reckenden Thälmann über der Küchentür. Die Revolution hat derweil in Gestalt der innerdeutschen Grenze den einst prächtigen Garten durchpflügt.

Nach der Wende ist das Anwesen ein Fall für Rückübertragung an die Erben der Familie Stückrath. Als Familie Flüh es vor etwa 20 Jahren kauft, steht das Haus unter Denkmalschutz. Der verspielte Altan mit Seeblick ist komplett abgerissen und muss neu aufgebaut werden. Auch die Innenausstattung muss mit viel Phantasie rekonstruiert werden, nur wenig ist erhalten – allerdings hat ausgerechnet der originale Holzboden von 1890 überlebt. Der knarrt jetzt ein wenig unter den Schritten, wie ein leises Echo all der Geschichten.

Familie Flüh hat die Geschichte weitergeschrieben. Der Garten wurde mit viel Aufwand wiederhergestellt, das Ufer allerdings verschwindet jetzt hinter einer bewachsenen Mauer, falls doch einmal ein öffentlicher Uferweg kommen sollte. Durch eine Pforte gelangt man zum Wasser. Das Haus auf der Anhöhe hat alles mitgemacht und wirkt jetzt prächtig. An die Erbauerin erinnert ein kleines Detail: die Initialen von Hermine Schade van Westrum, eine schmiedeeiserne, schnörkelige Arbeit, hoch oben am Schornstein.

 » www.tag-des-offenen-denkmals.de

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