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Potsdam-Mittelmark: „Man muss realistisch bleiben"

Joachim Gessinger, Landessprecher der Grünen, zu Bildung, Politik und der Landesgartenschau in Werder

Joachim Gessinger, Landessprecher der Grünen, zu Bildung, Politik und der Landesgartenschau in Werder Von Thomas Lähns Werder. Was ihm an Werder nicht gefällt? Joachim Gessinger muss kurz überlegen. Der Endfünfziger wohnt seit 1993 in der Blütenstadt, ist hier heimisch geworden. Gravierende Mängel scheinen ihm nicht sofort einzufallen. Schließlich ziehen sich seine Mundwinkel ein bisschen nach oben: „Natürlich die Mehrheit der CDU im Stadtparlament." Normalerweise wäre das wohl zu verschmerzen, doch aus parteipolitischer Sicht ist es für ihn nicht gerade das Non plus ultra: Seit zwei Wochen ist Gessinger Landessprecher von Bündnis 90/ Die Grünen in Brandenburg, bekleidet damit das höchste Amt dieser Partei im Land. Für den 58-jährige Germanistik-Professor ist Werder ein „einmalig schöner Ort, mit besonderem Flair". Gerade weil er seine Wohnstadt mag, betrachtet er die hiesigen Vorgänge kritisch, möchte nicht in die Jubelrufe über Investoren, große Bauvorhaben und Landesgartenschau (Laga) mit einstimmen. „Momentan ist es unrealistisch, dass die Laga tatsächlich hier her kommt." Seine nüchterne Sicht begründet Gessinger mit Mängeln in der Stadtpolitik: Werder wirbt mit seiner Lage am Wasser, doch seit der Wende seien viele Wege verkauft worden, die den Zugang zur Havel sichern. Außerdem müssten die neuen Ortsteile mehr eingebunden werden. „Man kann sich die Laga nur wünschen, muss aber realistisch bleiben", sagt er. Dem Grünen-Politiker fallen weitere Kritikpunkte ein: „Es fehlt ein Konzept für die Stadtentwicklung. Die Einkaufszentren in und um Werder bringen den innerstädtischen Kleinhandel zum Erliegen. An der Seemeile will der mittlerweile dritte Investor jetzt 40 Eigenheime errichten - so etwas macht das Stadtbild kaputt." Trotz all dem müsse er CDU-Bürgermeister Werner Große zugestehen, dass er viel erreicht hat. Gessinger ist kein junger „Öko", nicht jemand, der alles gleich umwerfen und neu aufbauen möchte. Der großgewachsene Mann strahlt eher Ruhe und Besonnenheit aus, nur die etwas längeren Haare kräuseln sich unkonventionell um den Kopf. 1945 in Brandenburg an der Havel geboren, zog es ihn bald nach Berlin. An den beiden Universitäten im Westteil der Stadt studierte er unter anderem Germanistik, promovierte 1980 zum Doktor der Philosophie. Zwischen 1989 und 1994 folgten Lehraufträge in Westdeutschland, bis das Angebot aus Potsdam kam. Zwar winkte auch in Köln ein Lehrstuhl, aber: „Es stand außer Frage: Ich wollte nach Potsdam." Allein die Möglichkeit, einen Fuß in die ehemalige Pädagogische Hochschule zu setzen, reizte ihn, denn das wurde ihm zu DDR-Zeiten als Westdeutscher verwehrt. „Beim Aufbau der Uni Potsdam konnte ich viel gestalten. Wir bewegten etwas." Heute ist das Lehren in Potsdam eher eine Geduldsprobe: „Wir haben inzwischen eine Massen-Uni", konstatiert der Professor und verweist auf die hohe Zahl der Studierenden. Zirka hundert Leute besuchen jede Woche seinen Grundkurs zur Sprachgeschichte. 20 sollten es sein. Dennoch wird am Budget gespart. Stellen werden gekürzt, die Bibliothek kämpft seit Jahren gegen ihre Schließung. Hinsichtlich der Ausgaben für Schulen und Hochschulen steht Brandenburg im Bundesvergleich an letzter Stelle. „Das ist so, als ob man einem Sprinter vor dem 100-Meter-Lauf die Beine absägt und sagt: Nun gewinne mal." Für Gessinger ein weiterer Grund, den Weg in die Politik zu suchen. „Jede Mark, die in die Bildung investiert wird, zahlt sich später aus, doch dazu fehlt hier der Mut." Einen großen Umbruch in den Reihen der Brandenburger Grünen werde es nicht geben, sei man doch bislang auf einem guten Weg gewesen. Das Ziel für 2004 mag bescheiden klingen, ist aber klar formuliert: Einzug in den Landtag mit sieben Prozent. „Wir sagen den Wählern, was wir machen wollen" – und das ist Politik auf der Oppositionsbank. Gessinger sieht die Grünen damit im Kontrast zu den übrigen Parteien: SPD und CDU würden sich kurz vor der Wahl gegenseitig blockieren, die PDS werde die Samthandschuhe anziehen. Seine Partei wolle sich nicht binden. Rot-Grün hätte hier ohnehin keine Mehrheit. Parteiamt und Lehrauftrag - Joachim Gessinger fehle oft die Zeit für seine Hobbys: Er spielt Saxophon oder entspannt bei einer Partie Boules. An der Havel liegt ein Segelboot vor Anker, das zum Teil ihm gehört. Die meiste Freizeit wende er jedoch für den großen Garten auf, hinter seinem Haus in der Eisenbahnstraße, im Herzen der Stadt, die er mag.

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