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Potsdam-Mittelmark: „Gerechte unter den Völkern“

Margarete Sommer verhalf hunderten NS-Verfolgten zur Flucht. In ihrem Kleinmachnower Haus versteckte sie ein jüdisches Mädchen. Heute wird sie in Yad Vashem geehrt.

Margarete Sommer verhalf hunderten NS-Verfolgten zur Flucht. In ihrem Kleinmachnower Haus versteckte sie ein jüdisches Mädchen. Heute wird sie in Yad Vashem geehrt. Kleinmachnow/Berlin. 1938 war Sonja Goldwerth zwölf Jahre alt und allein. Ihre Eltern waren in Konzentrationslager deportiert worden, ihre Stiefmutter hatte sie in ein katholisches Waisenhaus in Berlin gebracht. Dort kam eine große, kräftige Frau auf sie zu und sagte: „Ich kümmere mich jetzt um dich“. Die Frau hieß Margarete Sommer. „Sie war mein Rettungsengel“, sagt Sonja Goldwerth heute. Dass eine von Sommers Rettungsstationen in Kleinmachnow war, ist nur wenigen heimatlichen Geschichtsforschern bekannt. Die Hakenheide, der heutige Thälmann-Straße war die Privatadresse von Margarete Sommer, die als Mitarbeiterin und spätere Leiterin des Hilfswerks beim Bischöflichem Ordinariat Berlin „nichtarischen“ Katholiken zur Ausreise verholfen, versteckt und selbst im KZ noch versorgt und betreut hat. Als einzige katholische Hilfsstelle im Dritten Reich durfte das Berliner Hilfswerk dem in Hamburg tätigen St. Raphaels-Verein Auswanderungsanträge zuarbeiten. Sommer organisierte für die Flucht zahlreicher Juden Pässe, Visa und Devisen. In fünf Jahren bis 1939 verhalf der Verein 10 350 Juden und „Mischlingen" katholischer Konfession zur Auswanderung. Für 2200 wurden Stellen im Ausland organisiert. Auch nach Kriegsbeginn organisierte das Berliner Hilfswerk für hunderte „Nichtarier“ die Flucht. Nach Kriegsbeginn arbeitete das Hilfswerk zunehmend im Untergrund, Sommers Kleinmachnower Privatanschrift diente wiederholt für gefährliche Zusendungen. In Niederschriften erwähnt Margarete Sommer, dass die Kleinmachnower Wohnung von der Gestapo und Spitzeln beobachtet wurde. Das hinderte sie nicht daran, die inzwischen 17-jährige Sonja Goldwerth im Juni 1944 für 14 Tage in der Hakenheide 166 zu verstecken. Seit dem Kennlernen sechs Jahre zuvor hatte sie sich erfolglos um eine Ausreise des Mädchens bemüht und immer wieder Verstecke gesucht. Nach der Kleinmachnower Zwischenstation brachte sie Sonja Goldwerth bis Kriegsende im Heim „Mariahilf“ in der Schönhauser Allee unter. Heute wird Margarete Sommer postum von der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem als „Gerechte unter den Völkern“ ausgezeichnet. Gefeiert wird in der Herz-Jesu-Kirche in Prenzlauer Berg: Auf dem Gelände der Pfarrei in der Fehrbelliner Straße war vor 60 Jahren das „Hilfswerk beim Bischöflichen Ordinariat Berlin“ untergebracht. Die Suche nach Spuren der mutigen Frau, die 1965 mit 72 Jahren in West-Berlin gestorben ist, führt in das Altersheim St.Josef nach Weißensee. Dort erzählt der 82-jährige Monsignore Horst Rothkegel von seinem ersten Tag als neuer Kaplan in Herz-Jesu. Bei der Übergabe der Amtsgeschäfte am 1. Oktober 1944 sagte sein Vorgänger auf einmal: „Ich habe noch eine Erbschaft im Keller.“ „Ich dachte, der meint Möbel oder Wäsche“, sagt Rothkegel. „Da sitzt ein untergetauchter Jude“, fuhr sein Vorgänger fort und bat den jungen Kaplan, sich um ihn zu kümmern. Rothkegel versorgte den Mann und erfuhr erst 30 Jahre später, dass „sein“ Jude nicht der einzige war, der im Kohlenkeller unter der Sakristei saß. Auch Margarete Sommer hatte dort weitere Untergetauchte versteckt. Sie sei eine „kluge, entschiedene Frau“ gewesen, sagt Rothkegel, „sie ruhte in sich“. Claudia Keller / Peter Könnicke

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