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Potsdam-Mittelmark: Die Farbe der Mönche und der Dirnen

Das „art event“ setzt in diesem Jahr ganz auf Gelb – Geschichte einer Farbe und ihrer sehr unterschiedlichen Bedeutungen

Das „art event“ setzt in diesem Jahr ganz auf Gelb – Geschichte einer Farbe und ihrer sehr unterschiedlichen Bedeutungen Von Anke Mühlig Als sich die Künstlerschar zum ersten Mal in der Seeschule in Güterfelde traf, waren die Restaurierungsarbeiten noch in vollem Gange. Alte Tapete an den Wänden, abgeplatzte Farbe an den Fenstern, Farbeimer und Kabelenden, die aus der Decke hingen. Aber der Raum im Erdgeschoss war schon gelb. Zwischen den Bauarbeiten, Staub und emsiger Aktivität hatte das Gelb eine wunderbare Ausstrahlung: Warm, frisch und fröhlich. Die Ahnung, dass das Gelb auch im ersten Stockwerk seine besondere Ausstrahlung haben wird, ließ die Maler, Bildhauer, Fotografen und Textilkünstler zu dem Entschluss kommen, sich dieser Stimmung anzuschließen, „die Farbmelodie, die hier im Hause klingt, aufzugreifen und mitzusingen“. So entstand das Thema „Gelb“ des diesjährigen „art event“ regionaler Künstler. Da der Raum für 13 Künstler, die alle sehr unterschiedlich arbeiten, nicht groß, dafür aber hoch ist, haben sie sich darauf geeinigt, in diesem Jahr ein gemeinsames Format einzuhalten: 30 mal 230 Zentimeter. Man kann sich leicht vorstellen, dass 13 Individualisten nicht nur glücklich sind, sich einer einzigen Norm zu unterwerfen. „Was soll ich mit Gelb anfangen bei einer Radierung, die alle Schattierungen der Grautöne nutzt?“, klang es anfänglich eher skeptisch. Doch es erwies sich als verlockende Herausforderung, so dass ab heute Abend 13 verschiedene Arbeitsergebnisse zu sehen sind, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Es wird ganz deutlich, dass die Individualität – ohne die es keine Kunst gäbe – noch genug Raum hatte. Gelb ist eben nicht gleich Gelb. Wie alle anderen Farben lebt es von seinen Nuancen – und die könnten widersprüchlicher nicht sein. Unter einem Zitronengelb kann man sich etwas vorstellen. Der russische Maler und Grafiker Wassily Kandinsky hat diese Farbe als „frech“ beschrieben, als „aufdringlich, ein Gelb das sticht und beunruhigt“. Diese Eigenschaft des Zitronengelbs findet man auch in der Natur, wo sie als Warnfarbe dient, meist in Kombination mit der Kontrastfarbe Schwarz. Wespen verschaffen sich mit ihrem gelb-schwarzen Leib Respekt. Die gleiche Farbkombination ist auch in unserer Symbolsprache beim Zeichen für Radioaktivität verwendet. Interessant übrigens, dass auch die Netzhaut unseres Auges darauf programmiert ist, das Warnsignal Gelb bevorzugt zu melden. Gelb lässt sich nämlich schon aus dem Augenwinkel deutlich wahrnehmen, während andere Farben wie Rot erst zur Mitte hin sichtbar werden. Aber es gibt nicht nur dieses freche Gelb, sondern auch ein anderes, das an die Wärme des Sonnenlichtes erinnert. Goethe hat es ein Gelb genannt, das „das Herz ausdehne und das Gemüt erheitere“. Gelb also als fröhliche Farbe und eine Farbe der Erleuchtung. Es heißt ja auch: „Mir ist ein Licht aufgegangen“. Die buddhistischen Mönche tragen zum Zeichen ihrer Erleuchtung gelbe Gewänder. In China waren übrigens die gelben Gewänder Jahrhunderte lang dem Kaiser vorbehalten und eben den Mönchen. Das mag auch daran gelegen haben, dass es vor der Entdeckung chemischer Farbstoffe schwierig war, Textilien in klaren, fröhlichen Gelbtönen zu färben. Man verwendete damals Safran zum Färben gelber Stoffe – ein sehr intensiver, aber immens wertvoller Farbstoff. Aus 8000 Blüten einer krokusähnlichen Blume gewinnt man lediglich 100 Gramm Farbstoff. Auch in Europa kam ein gelbes Gewand einer Auszeichnung gleich. Die Damen der besten Gesellschaft trugen ihre „Sonnengewänder“ voll Stolz. Dirnen, die anfangs die feinen Vorbilder nachahmen wollten, trugen gelbe Wollgewänder, gefärbt mit Birkenblättern oder der Rinde des Apfelbaumes, was ein gedämpftes oder gar schmuddeliges Gelb ergab. Schließlich wurden Dirnen und auch ledige Mütter im Mittelalter dazu gezwungen, etwas Gelbes anzuziehen, ein Band, einen Gürtel oder ein Kopftuch in eben diesem schmutzigen Gelbton, der „Schandgelb“ genannt wurde. Auch Judas, der Verräter, ist auf Gemälden oft in Gelb dargestellt. Gelb wurde schließlich auch zur „Markierung“ von Juden verwendet; übrigens nicht erst im Nationalsozialismus mit dem Judenstern, sondern bereits im Mittelalter mit einem spitzen und lächerlichen gelben Hut. Zur Erkennung wurde Gelb auch verwendet, um vor der Pest zu warnen. Ein Schiff mit gelber Flagge hatte eine Seuche an Bord. Allererste Gelbtöne für die Kunst wurden aus Ocker gewonnen, gelber Erde – und zwar für urzeitliche Höhlenmalereien. Um die Tiere in ihren Jagdszenen darstellen zu können, brauchten sie eine Farbe, die dem Fell ähnelte, ein Gelbbraun, und die fand sich im Ocker. Auch in Ägypten – tausende Jahre später – verwendete man Ocker für die traditionsgebundene Kunst in den Grabkammern. Dort malte man die Haut der Frau ockergelb, im Gegensatz zur Männerhaut, die in einem kräftigen Ockerrot gemalt wurde. Von der farbigen Darstellung der weiblichen Haut zur farbigen Hieroglyphenschrift – übrigens das einzige Schriftsystem, in dem die Farbe als Bedeutungsträger eingesetzt wird – war es nur noch ein kleiner Schritt: Das gelbe Schriftzeichen bezeichnet die Frau. Die Geschichte hat sehr gegensätzliche Bedeutungen der unterschiedlichen Gelbnuancen geschaffen und überliefert: vom warnenden Gelb zum Gelb, das erheitert oder erleuchtet, vom Gelb, das auszeichnet zu einem Gelb, das ausgrenzt. Mit dem „art event“ werden heute in der Güterfelder Seeschule weitere „Gelbinterpretationen“ unternommen. Die Autorin ist Textilkünstlerin aus Kleinmachnow und Mitwirkende beim „art event“, das heute Abend in Güterfelde eröffnet wird.

Anke Mühlig

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