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Kultur: Schale Erregung

Gesellschaftskritische Bilder Andreas Rosts im Einstein Forum

Gesellschaftskritische Bilder Andreas Rosts im Einstein Forum Von Dagmar Schnürer Jeden Tag ein gutes Bild mit der abgenutzten aber unverzichtbaren Leica-Kamera. Das setzt sich der künstlerische Fotograf Andreas Rost zum Ziel, dessen Fotoausstellung amDonnerstag im Einstein Forum eröffnet wurde. Ob es ihm jeweils gelungen ist, zeigt sich erst viel später, wenn er die Unmengen an Material entwickelt und durchsieht. Der zeitliche Abstand zwischen dem Aufnehmen der Fotos und der Betrachtung des Ergebnisses sei wichtig, erklärt Andreas Rost, da so ein unbefangener Blick möglich werde, der oft Dinge sehe, die dem Blick inmitten des Geschehens nicht aufgefallen seien. 1966 in Weimar geboren, hat Andreas Rost von 1988 bis 1993 an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig Fotografie studiert. Er lebt in Berlin und wurde 1995 mit dem Aenne-Biermann-Preis für deutsche Gegenwartsfotografie ausgezeichnet. An der deutschen Gegenwart interessiert Andreas Rost das Soziale. Er sucht Bilder, die etwas über die Gesellschaft erzählen. Nicht nur abbilden möchte er gesellschaftliche Zustände, sondern in Frage stellen und reflektieren. Ein riesiges l''Oréal-Werbeplakat zeigt zwei perfekt gestylte Frauenköpfe. Davor zwei junge Frauen, die zu irgendetwas oder irgendjemandem applaudieren, mit unbewegtem Gesicht. Die Köpfe des Plakates über ihnen dominieren alles und blicken wie strenge Göttinnen durch die Menschen hindurch. Die eine der Frauen sieht aus wie dem Plakat entstiegen, ihre ohrlangen glatten Haare genauso zurückgekämmt und perfekt fixiert, wie die halblangen Haare in der Werbung. Am Bildrand im Vordergrund klatschende Hände in Bewegung. Applaus für alle, die kapiert haben, was „schön“ ist und sich danach richten? Große Glasvitrinen verstellen den direkten Blick, spiegeln das Davor oder entziehen das Dahinter. Die Grenze zwischen Innen und Außen soll das durchsichtige Glas scheinbar aufheben, es erlaubt, die Straßenbahn im Hintergrund zu sehen, obwohl Vitrinen oder Schaufenster dazwischen sind. Doch für den Mann mit grauem fettigem Haar und einer Weste über dem nackten Oberkörper, ist dasselbe Glas eine kalte Grenze. Er blickt auf die Raucherutensilien in der Vitrine, die ihm scheinbar sehr gefallen - aber nicht gehören. „Erregung, öffentlich“ ist der Titel der Ausstellung. Er bezeichnet besonders die Bilder von Love Parade, Christopher Street Day, Demonstrationen, Neonazis und Fußballweltmeisterschaft, alle in Berlin aufgenommen. Der Titel, so Matthias Flügge in seinem kurzen Vortrag zur Vernissage, beziehe sich wohl weniger auf die Erregung eines öffentlichen Ärgernisses als öffentlicher Freude, zumindest was die Bilder der Paraden angehe. Wobei diese Freude durch die Art der Darstellung in Frage gestellt werde. Matthias Flügge ist Kunsthistoriker, Vizepräsident der Akademie der Künste in Berlin und bereits lange Jahre mit Anreas Rost befreundet. Die auf Barytpapier kopierten, oft grobkörnig und kontrastreichen Schwarzweissbilder, deren Ränder häufig Gestalten sowie Räume abschneiden und sich in unbestimmter Dunkelheit verlieren, zeigen ernste oder angestrengte Gesichter. Nackte Arme, die mehr pathetisch und posenhaft als freudig erhoben sind. Eine heroisch wirkende Männergestalt mit nacktem Oberkörper vor dem weiten Himmel, die an Motive eines Arno Breker zu Zeiten des Nationalsozialismus erinnert, wenn von dem Tattoo am Oberarm, der braunen Haut und dem schwarzen Haar abgesehen wird. Doch es ist nicht nur die freudige Erregung, sondern auch die politische und sexuelle Erregung in der Öffentlichkeit, die in ihrer bloßen Behauptung auftritt und in den Bildern von Andreas Rost ihre Schalheit preisgibt. Die nackten Körper, die jegliches Sexappeal entbehren, die Gleichgültigkeit oder voyeuristische Neugierde ihnen gegenüber. Orientierungslos herumstehende Jugendliche auf einer Demonstration und unnötig geschwungene Fahnen. Die Ausstellung steht im Rahmen der Tagung „Passions in Cultures“, die im Dezember im Einstein Forum stattfinden wird. Sie ist dort bis Mitte Dezember 2003, Mo - Fr 10 bis 16 Uhr, zu sehen.

Dagmar Schnürer

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