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Der Bruch in der Wahrnehmung.Das Diptychon „Alexia Santillan, 30 Jahre; und naturaleza muerta con lagarto negro; Amazonien 2013“.

© Frank Gaudlitz

Interview mit Frank Gaudlitz: „Paradies und Qual, Schönheit und Schmerz“

Der Fotograf Frank Gaudlitz über seine Porträts von Männern im falschen Körper, den Bruch in der Wahrnehmung und ein Buchprojekt.

Herr Gaudlitz, auf Ihren Bildern sind Frauen zu sehen, zumindest auf den ersten, flüchtigen Blick.

Ja, diese Verwirrung habe ich selbst erlebt. Bei einer meiner Reise durch Südamerika habe ich 2010 aus einer gewissen Entfernung Frauen beim Volleyballspiel gesehen und habe mich gewundert, was die für einen knallharten Schlag haben. Das hat mich neugierig gemacht und ich bin näher rangegangen. Dann habe ich erkannt, dass das gar keine Frauen, sondern Männer sind, die aber aussehen wie tolle Frauen. Und dieser Bruch in meiner Wahrnehmung, der hat mich nicht mehr losgelassen. Ich sehe eine schöne Frau, aber auf dem zweiten Blick fällt mir etwas auf, ob es nun ein zu kräftiger Oberarm oder ein zu kantiges Gesicht ist, dass da auch etwas Männliches im Spiel ist.

Frank Gaudlitz

, geboren 1958 in Vetschau, studierte Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig bei Arno Fischer. Gaudlitz lebt als freier Fotograf in Potsdam.

Wie entstand aus dieser einen Begegnung die Idee für eine ganze Bilderserie?

Weil ich auf meinen Reisen durch Südamerika, insbesondere im Jahr 2010, bei der ich dem Weg Humboldts über die Anden folgte, häufig auf transsexuelle Menschen traf. Ich war zunehmend beeindruckt von dem Mut oder dem Selbstverständnis dieser Frauen, die in einem männlichen Körper leben und in einer Gesellschaft, die so stark vom Machismo geprägt ist, sich so darstellen und sagen: Das bin ich, so bin ich. Zunächst regte mich das eher an, diesem Phänomen, diesem Thema über Transsexuelle global nachzuspüren. Denn das gibt es ja in allen Kulturen der Vergangenheit und Gegenwart.

Aber Sie haben sich auf Südamerika beschränkt.

Ja, denn das andere Projekt war einfach zu groß gedacht. Und dann bin ich während meiner Recherchen auf diese wunderbare Geschichte gestoßen, warum der Amazonas seinen Namen trägt. Der Conquistador Francisco de Orellana, der als erste Europäer den Amazonas bis zum Atlantik durchfahren hat, wurde bei seiner Suche nach dem sagenhaften Goldland Eldorado von indigenen Kriegerinnen angegriffen. Der ihn begleitende Dominikanermönch Gaspar de Carvajal schrieb darüber in sein Tagebuch: „Und dann kamen wir in das Land der Amazonen. Sie kämpften gegen uns so mutig wie zehn Krieger, mit Pfeil und Bogen bewaffnet, halbnackt, an der Spitze ihres Volkes.“ Diese Episode gelangte nach Europa und mit ihr wurde der antike Mythos der Amazonen wiederbelebt und der Fluss erhielt seinen Namen Rio Amazonas. Und Amazo im Altgriechischen bedeutet so viel wie platt, brustlos, flach und Amazonen demzufolge die Brustlosen. Das passte für mich wunderbar als Namenspate für die Männer, die sozial und auch sexuell als Frauen leben wollen. Denn von Geburt an sind sie brustlos. So bleibe ich in einer gewissen mythologischen Welt. Und die wollte ich mir erhalten.

Wie haben Sie das Vertrauen dieser Frauen gewonnen?

Ich bin einfach an sie herangetreten, vor allem in den größeren Städten, die am Amazonas oder seinen Nebenflüssen gelegen sind. Aber bis dann am Ende über 100 Porträts entstanden sind, das hat schon ein halbes Jahr gedauert. Es gab auch viele Enttäuschungen. Denn ehe man das Vertrauen dieser Frauen, wenn wir bei dem Begriff bleiben wollen, erlangt, muss man eine sehr große Angst überwinden. Die Angst, missbraucht zu werden. Denn sie werden diskriminiert und verprügelt, sie haben keine Rechte, was sich auch darin zeigt, dass keine Ermittlungen aufgenommen werden, wenn eine von ihnen umgebracht wird.

Wie haben Sie den Alltag dieser Frauen erlebt?

Viele, denen es den Umständen entsprechend besser geht und die nicht völlig ausgegrenzt werden, arbeiten oder haben einen Friseursalon oder arbeiten in Küchen. Dann braucht es Zeit und Geduld, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Ich bin da dann sehr oft hingegangen, fünf- bis zehnmal, habe bis zu einer Stunde mit ihnen geredet. Irgendwann hat man dann den ersten Fototermin.

Wie haben Sie fotografiert?

Meine Porträts habe ich analog gemacht. Aber da diese Frauen ein anderes Bildverständnis haben als ich, habe ich immer auch Bilder mit der Digitalkamera gemacht und ihnen am nächsten Tag davon Abzüge gebracht.

Was für ein Bildverständnis haben diese Frauen?

Frausein bedeutet für sie das Weibliche hervorzuheben. Dabei haben sie Vorstellungen von Posen die, so denke ich, dem Film entnommen sind. Jede hat da ihre eigene, und die ist dann relativ starr. Der Po muss deutlich hervortreten, auch die Brüste, sofern welche vorhanden sind, müssen betont werden. Viele diese Frauen greifen auf Prothesen zurück, was manchmal zu komischen Momenten geführt hat, wenn ich spontan fragte, ob wir Fotos machen können und dann die Antwort kam: Aber heute nicht, ich habe meine Brüste vergessen. Wenn man den europäischen Blick auf diese Posen ansetzt, dann haben sie vor allem etwas stark Sexuelles, Aufreizendes. Das wollte ich für meine Porträts nicht.

Weil diesem Aufreizenden der Anschein von Prostitution innewohnt?

Ja, und genau das wollte ich nicht. Obwohl viele dieser Frauen sich weltweit, weil sie keine anderen Möglichkeiten haben, Geld zu verdienen, prostituieren müssen. Mir geht es immer in diesen Bildern darum, die Würde jedes Einzelnen einzufangen. Erst viel später fiel mir auf, dass ich mit dieser Würde auch eine Melancholie eingefangen habe.

Wie nahe sind Sie diesen Frauen gekommen?

Das war ganz unterschiedlich. Es gab einige, die mir geholfen haben, entsprechende Kontakte zu knüpfen. Daraus haben sich sogar Freundschaften entwickelt. Bei anderen dagegen muss man eine Distanz wahren. Denn ich bin für sie ein Europäer und vielleicht sogar, wenn sie sich prostituieren, ein zahlender Klient. Da die richtige Form zu finden, war nicht immer einfach. Darum hatte ich oft eine Freundin bei, die mich begleitet hat.

Auf Ihren Bildern sind nur junge Frauen zu sehen. War das eine bewusste Entscheidung?

Nein, das hat sich so ergeben. Denn mir fiel sehr schnell auf, dass es unter diesen Frauen keine älteren gab. Aber das liegt daran, dass mit dem Alter die Schönheit verschwindet und sie wieder zurückfallen in das männliche Dasein, weil es keine andere Möglichkeit gibt.

Was wünschen sich diese Frauen vom Leben?

In ihrem Personalausweis steht ihr männlicher Name. Aber sie kämpfen darum, dass da ihr weiblicher Name steht, damit sie als Frau sozial anerkannt werden. Was aber sehr, sehr weit von der Wirklichkeit entfernt ist. Ich glaube, das ist ihr größter Wunsch. Darum habe ich in den Bildtiteln immer ihren weiblichen Namen geschrieben.

Sie sprachen von Würde und Melancholie in Ihren Bildern. Gleichzeitig vermitteln diese Porträts aber auch etwas von einer Illusion. So, wie sich diese Frauen vielleicht gern selbst sehen möchten.

Sie wissen, dass es eine Illusion ist. Die Vorbereitungsphase für die Fotosession dauerte nicht selten bis zu einer Stunde. Also das Schminken, das Schönmachen, da sind sie sehr präzise. Und durch dieses starke Schminken, man kann da auch von einem Camouflage-Make-up sprechen, passiert es, dass ich kein Gesicht, sondern ein bemaltes oder ein gemaltes Gesicht fotografiere und so die Grenze von der Fotografie hin zur Malerei überschreite. Das empfand ich als ein spannendes Moment. Darum habe ich immer auch einen farbigen, malerischen Hintergrund gesucht, etwas, das diese Bilder in einem gewissen Sinne gemäldehaft wirken lässt.

In der Ausstellung im Kunstraum haben Sie einigen Porträts inszenierte, altmeisterlich anmutende Stillleben gegenübergestellt. Stillleben, die wie bei den Porträts oft erst auf den zweiten Blick für einen Bruch der Wahrnehmung sorgen.

Ja, dieser Doppelblick, über den wir schon gesprochen haben. Ich habe hier farbig opulente, gut in Szene gesetzte Stillleben aus den tropischen Früchten und Pflanzen aus dieser Region inszeniert und habe jedes dieser Fruchtarrangements durch tierische Elemente aufgestört. Vielleicht auch als Metapher für das Leben dieser Frauen, denn  Paradies und Qual, Schönheit und Schmerz liegen hier sehr dicht beieinander. Und weil mein Arbeitsprinzip darin besteht, dass ich einer Serie immer gern etwas dazustelle, was eine Verbindung zu dem Hauptthema hat, habe ich mich hier für die Stillleben entschieden. Der Schwerpunkt diese Projekts liegt aber auf den Porträts, aber für die Ausstellung im Kunstraum habe ich fünf Diptychen zusammengestellt.

Diese Stillleben sind wie die Porträts vor Ort entstanden?

Ja, und während die Porträtaufnahmen für mich auch psychisch anstrengend waren, auch weil es so viele Absagen gab oder Termine aus den unterschiedlichsten Gründen nicht eingehalten wurden, habe ich diese Stillleben als eine wunderbare meditative Tätigkeit empfunden. Ich bin zunächst am Morgen über den Markt gegangen und habe das Monster gesucht, also das tierische Element. Danach dann die Früchte oder Pflanzen, die ich damit kombinieren könnte. Das war für mich wie eine Rückkehr in die Kindheit, wo man Dinge konstruiert, aufbaut oder zusammensteckt. Das war dann eine sehr genussvolle Zeit.

Nun wollen Sie ein Buch mit diesen Porträts veröffentlichen und das über eine Crowdfunding-Aktion finanzieren.

Ich mag Bücher und bin davon überzeugt, dass diese Bilder es wert sind, in einem Buch veröffentlicht zu werden. Durch das Crowdfunding-Projekt wird dieses Buch zu einen gemeinschaftlichen Erlebnis, einer gemeinschaftlichen Aktion. Gleichzeitig wird ein solches Thema, das sicherlich schwer zu kommunizieren ist, durch diejenigen, die es unterstützen, zu einem Bekenntnis für eine Welt der Vielfalt und der Toleranz. Denn ich glaube, dass dieses Buch diese Frauen von der Schattenseite ihres gesellschaftlichen Daseins auf eine Plattform heben und ihnen eine Bühne geben kann. Denn einen Teil dieser Bücher möchte ich mit an den Amazonas nehmen und den Organisationen vor Ort überlassen. Das ist wichtig für ihre Arbeit, denn wenn eine solche Randgruppe sich in einem qualitätsvollen Bildband wiederfindet, bleibt das nicht ohne Wirkung.

Das Gespräch führte Dirk Becker.

Die Crowdfunding-Aktion startet am 10. Februar unter www.visionbakery.com/gaudlitz-amazonen Die Bilder von Frank Gaudlitz sind noch bis zum 15. Februar in der Ausstellung „Made in Potsdam“ im Kunstraum in der Schiffbauergasse zu sehen.

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