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Kultur: Nichts für Nostalgiker

Jörg Seyer inszeniert „Die neuen Leiden des jungen W.“ / Dem Regiedebüt folgt bald der Abgang als Schauspieler

Jörg Seyer inszeniert „Die neuen Leiden des jungen W.“ / Dem Regiedebüt folgt bald der Abgang als Schauspieler Von Heidi Jäger Es ist seine erste Regiearbeit, und der Stress ist Jörg Seyer durchaus anzusehen. „Jeder will was von dir, man kommt keine Minute zur Ruhe. Wie einfach hat man es da als Schauspieler, da kann man sich immer an etwas festhalten.“ Der quirlige Theatermann muss es wissen, schließlich stand er in unzähligen Stücken selbst auf der Bühne. Am liebsten würde er jetzt bei den Proben zu „Die neuen Leiden des jungen W.“, die am 5. Februar Premiere haben, seinen Darstellern ständig alles vorspielen. „Aber ich versuche, mich zurück zunehmen. Jeder muss ja seine eigene Haltung finden.“ Die Figur des Edgar wäre ihm sicher wie auf den Leib geschrieben, „aber ich bin mit meinen 40 Jahren für diese Rolle einfach zu alt.“ Es sei gut, dass ein so junger Mann wie Ilja Schierbaum, der gerade erst die Schauspielschule absolvierte, den nach Selbstverwirklichung strebenden Aussteiger Edgar verkörpere. Das während der DDR-Zeit als Kult gehandelte Stück hat sich Jörg Seyer allerdings nicht selbst für sein Debüt ausgesucht. „Es war im Spielplan festgelegt, und so stand ich vor der Entscheidung, ob Ja oder Ja.“ Bereut habe er es nicht, obwohl die Liebe zu dieser Plenzdorf-Geschichte erst allmählich wuchs. „Plenzdorf hat es ja als Drehbuch für den Film geschrieben und nicht für“s Theater. Dadurch war die Vorlage sehr spröde, und wir mussten sie komplett umbauen. Der Autor wunderte sich schon, dass seine ,Leiden“ überhaupt auf die Bühne kamen. Die DEFA lehnte in den 70ern das Drehbuch ab, aber im Theater durfte es seltsamerweise gespielt werden. Vielleicht hoffte man, dass es dort nicht so viele Zuschauer erreicht.“ Das, was in der DDR als geradezu revolutionär galt, sei für die heutige Jugend überhaupt kein Thema mehr. „Allein das Wort Jeans war damals schon Sprengstoff. Und dass sich ein junger Mensch in eine Laube zurückzog und nicht arbeiten ging – wo doch eine gesetzliche Pflicht zur Arbeit bestand, grenzte geradezu an Anarchie. In unserer Inszenierung werden wir einige der zu spezifischen DDR- Details herausnehmen, denn wir spielen nicht für Nostalgiker. Auf den Jeans-Blues werden wir indes nicht verzichten.“ Überhaupt werde es eine sehr musikalische Arbeit, verspricht Seyer. „Mit der Gruppe Schrottfisch dürften wir den Nerv der jungen Zuschauer treffen. Allerdings verkaufen wir Ilja Schierbaum, den musikalischen Leiter der Band, nicht als Sänger, sondern eben als Edgar mit all“ seinen emotionalen Phasen. Er soll sehr jugendlich kommen, und das scheint auch zu funktionieren, wie das sehr gut besuchte ,Premierenfieber“ signalisierte.“ Seyer möchte keine Message verbreiten, „sondern einen Jungen von hier und heute mit all“ seinen Problemen zeigen. Es ist zwar ein Stück aus der DDR, aber auch ein Stück der Gegenwart. Plenzdorf gelang damit schon ein Geniestreich. Der Autor legte alles rein, was junge Leute so erleben: den Konflikt mit den Eltern, Liebe, Sexualität, Selbstfindung, Arbeitsprobleme, Dreiecksbeziehung Und das alles ganz komprimiert.“ Jörg Seyer empfand es bei der Arbeit als großen Vorteil, beide Gesellschaftssysteme zu kennen. „Ich bin auch mit meiner Erfahrung von heute froh, nicht im Westen aufgewachsen zu sein, bei allen Zwängen, die es damals gab. Heute, glaube ich, stößt man aber viel eher an seine Grenzen, kann sich nicht mehr so auströdeln. Hinter jeder Tür steht einer, der dir sagt, was du zu machen hast, in jeder Lebenslage. Und für alles gibt es Rezepte: gegen Pickel, gegen stumpfes Haar. Und um so mehr sich die jungen Leute in Nischen stecken lassen, um so mehr sind sie auch beherrschbar.“ Da gebe es die Grufties, die Punks, die Computer-Freaks, und keiner kommuniziere mehr mit dem anderen. „Das, was angesagt ist, kommt nicht von den Menschen selbst, sondern wird ihnen von außen diktiert. Ich fand meine Jugend jedenfalls unbelasteter, allerdings war das vor der Biermann-Ausbürgerung.“ Er wurde als erste Fernsehgeneration noch nicht mit unzähligen Programmen zugeschüttet, habe aber schon mit 16 in der Kneipe über den Zweiten Weltkrieg diskutiert. „Wenn ich heute meinen vierjährigen Sohn sehe, was der an Trickfilmen schaut, wo es nur um Gags und Reflexe geht, sehe ich eine große Gefahr. Da muss man versuchen, gegen zu steuern. Und sei es mit Märchen im Theater.“ Er selbst könne sich gut in den „Versager“Edgar hineinversetzen. „Auch ich war mal zu DDR-Zeiten drei Wochen arbeitslos, weil ich die Schnauze voll hatte, und nicht mehr bei meinem Onkel in seiner Mess-Werkstatt bleiben wollte. Ich musste mitunter bei Temperaturen um die 50 Grad arbeiten, das war nicht mein Leben.“ So wurde aus dem Maschinen- und Anlagenmonteur schließlich der Schauspieler. Und in den sieben Jahren am Hans Otto Theater sah man ihn in vielen großen Rollen. Er war Mephisto im „Urfaust“, Diederich Heßling in „Der Untertan“, Moderator in „Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss“, McMurphy in „Einer flog über das Kuckucksnest“ Zum Spielzeitende gekündigt Der Erzähler in „Paul und Paula“ wird seine vorerst letzte Arbeit als Schauspieler in Potsdam sein. Jörg Seyer erhielt, wie andere Kollegen auch, zum Spielzeit-Ende die Kündigung. Begründung: Intendantenwechsel. „Wie sagt man: Wenn es am schönsten ist, soll man aufhören. Und ich habe meine Zeit hier gehabt.“ Trotz dieser Selbstaufmunterung merkt man ihm das Verletztsein an, und er macht aus seinem Herzen auch keine Mördergrube. „Niemand wird gern gekündigt. Aber es stellt sich auch die Frage: Von wem. Insofern bin ich nicht ganz so sauer.“ Auch möchte er lieber neu anfangen, als sich auf ein Abenteuer einzulassen. „Denn ich bin schon gespannt, ob das, was jetzt vollmundig verkündet wird, auch klappt.“ Er sehe eine große Gefahr darin, wenn man wie bei einem Krebsgeschwür zu viele gute Zellen mit herausschneidet und alles neu machen will. „Was soll ich zudem hier, wenn mir ständig ein vermeintlicher Star vorgesetzt wird, und ich immer nur zur ,Schafherde“ gehöre. Ich bin angetreten, um auch Hauptrollen zu spielen.“ Vielleicht kehre er mit einer anderen Gruppe irgendwann wieder nach Potsdam zurück: „Wenn Uwe-Eric Laufenberg nicht mehr hier ist. Die ,trostreichen“ Worte des designierten Intendanten, man solle eine Kündigung doch auch als Chance begreifen, können jedenfalls nur Leute sagen, die nicht davon betroffen sind.“ „Die neuen Leiden des jungen W.“ werden wie alle anderen Inszenierungen unter der jetzigen Leitung nur bis Ende der Spielzeit zu sehen sein. „Danach wird alles abgesetzt. Ich finde das dreist und eine Nichtachtung der Leute“, betonte Jörg Seyer, obwohl er bei seiner eigenen Einstudierung noch nicht sicher ist, ob er vielleicht damit auch baden gehe. „Optisch denke ich, könnte es was werden, und möglicherweise spricht es auch die jungen Leute an. Als Schauspieler hatte ich immer eine sicherere Intuition.“ Trotz der Zweifel bereut er es keinesfalls, den Regiestab zu führen. „Ich denke auch nicht, dass es eine Nummer zu groß ist. Eine große Bühne provoziert große Fantasie. Und das ist gut. Zudem habe ich ja auch etwas Narrenfreiheit. Schließlich darf man beim ersten Stück vielleicht schon ein paar Fehler machen. Aber da ich selbst nicht gerade fein im Urteilen bin, muss ich auch damit leben können, wenn die Kritiken auf mich niederprasseln.“ Premiere ist am 5. Februar um 19. 30 Uhr im Theaterhaus am Alten Markt.

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