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Kultur: In den Zwiespalt gestürzt

„Die Hermannsschlacht“ von Heinrich von Kleist im Theaterhaus am Alten Markt

„Die Hermannsschlacht“ von Heinrich von Kleist im Theaterhaus am Alten Markt Von Ulf Brandstädter Als brachiale Großbaustelle aus Holz, Erde, Beton und Starkstromkabeln hat sich die Blechbüchse in den Teutoburger Wald verwandelt, um dem Kleistschen Wortgebirge von 1808 bedrohlich Raum zu geben (Ausstattung: Kaspar Glarner). Das in der Pause um 180 Grad gedrehte, steil aufragende Zuschauerreihenpodest imaginiert eine Kampfarena mit wechselnder Perspektive, in der das Spiel von der raffinierten Kriegstaktik des Germanenführers Hermann zum Tribunal gerät. Seine Strategie der scheinbaren Selbstaufgabe und des geschürten Volkshasses brachte ihm einst die Germanen hinter und die Römer schließlich unter sich. Verübelt wurde dem Kriegsmann dabei in rein politischer Auslegung Kleistscher Poesie oft das Heiligen der Mittel für den Zweck. Hermann sollte doch bitte schön ein bisschen menschlicher Krieg führen und nicht so ungezügelt Recht behalten wollen. Dass hinter allen politstrategischen Erwägungen auch noch eine Dichtersehnsucht schlummern könnte, die das Kriegsspiel nur als Folie benutzt, um eine übergreifende, existenzielle Wertvorstellung vom Leben allgemein in der Menschen Herzen zu pflanzen – davon spricht man selten. Wie auch kaum in dem jüngsten martialischen Riesenspektakel am Hans Otto Theater. Hier war der liebe, flapsige, gegen den Typ besetzte Junge, der Nichtmilitär als Truppenführer Hermann solange sympathisch, bis er die Römer bezwungen hat. Dann muss er dem Rausch der Macht erliegen und die Spirale von der Gewalt ohne Ende bedienen. Schade. Die vermutete Idee einer alle Klischees unterlaufenden Titelrollenbesetzung als subversive Politbotschaft verliert sich wieder in einer bisweilen gigantischen Materialschlacht, der sich die Schauspieler oft nur brüllend gewachsen zeigen. Das macht Zwischentöne oder feiner gesponnene Figurenbeziehungen (Regie: Tobias Sosinka) zur Rarität. Anne Lebinsky als Hermanns angetrauter Stammesfürstin Thusnelda gelingen solche noch am farbigsten. Juxig-frech und mit dem Bild von sich als einer begehrten Frau saust sie voller Drive in die Fallen der Männerwelt, um es nach jedem Crash mal wieder mit eigenem Denken zu versuchen. Fein ausbalanciert ihre Szene mit Hermann, wenn der mit heiterer Engelsgeduld ein Horrorszenario römischer Siegerbrutalität entwirft, um sein „Tusschen“ bei der Stange zu halten. Tobias Rotts Hermann ist der einsame Intellektuelle mit dem Wissen um die Beschränktheit der Masse. Er muss deshalb verführen. Mit kaum merklicher List und Tücke achtet er minutiös darauf, beim Gegner nur keine Antipathien zu erregen. Dass ausgerechnet dieser Strickpullimann aus Kreuzberg dann doch Spaß am brutalen Establishment behalten soll, mag im Leben wohl so sein. Für die Bühne hätt“s vielleicht den Wurf gebraucht, nicht das Übliche zu bestätigen, sondern das Unerwartete als denkbar zu wünschen. Der freundlich verhaltene Applaus nach drei Stunden aufwändigst inszenierter Zeitgeschichte war betroffene Ratlosigkeit, der bei bester Absicht einfach das Flämmchen neuer geistiger Inspiration zu erlöschen drohte. Nächste Vorstellung 31. Oktober, 19. 30 Uhr, Theaterhaus.

Ulf Brandstädter

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