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Kultur: Atemberaubend

Simin Tander spielte im Foyer des Nikolaisaals.

Sie steht im Spot des Scheinwerferlichtes. Den Mund weit geöffnet, das Gesicht geistesabwesend nach oben gewandt. Mit geschlossenen Augen steht sie da und lässt die Musik aus sich herausdrängen. Kraftvoll und faszinierend. Simin Tander vermischt verschiedene Welten. Musikalisch wandert die deutsch-afghanische Jazzmusikerin durch die Sphären, nimmt sich daraus, was ihr gefällt und entwickelt einen betörend zarten, aber gleichzeitig auch vor lauter Kraft strotzenden Sound. Sie nimmt Fremdes und macht es zu etwas ganz Eigenem. Die Verbindung von Jazz aus ihrer eigenen Feder mit traditionellen afghanischen Volksliedern und Pop-Einflüssen – mit jedem Lied durfte der Zuhörer am Freitag in der Nikolaisaalreihe „The Voice in Concert“ eine neue kleine Welt erwarten. Wie unsichtbare Fühler streckte sich ihre Musik von der Bühne aus, sodass der Zuschauer das Gefühl hatte, mitten in die Klangwelten der Kölnerin hineingezogen zu werden. Von ganz alleine wurden die Augenlider schwer, nicht aus Langeweile, sondern von dem Gefühl, so der Musik von Simin Tander einfach noch besser folgen zu können.

Wer an diesem Abend im Foyer aber die Augen dauerhaft schloss, wurde eines fesselnden Schauspiels auf der Bühne beraubt. Mit Jeroen van Vliet (Klavier), Etienne Nillesen (Schlagzeug) und Cord Heineking (Kontrabass) hatte Simin Tander Musiker an ihrer Seite, die mit ebensolcher Leidenschaft und mit einer gehörigen Portion Innovation auftraten. Mit träumerisch geschlossenen Augen schienen die drei sehr weit weg und doch zugleich vollkommen präsent zu sein. Besonders Etienne Nillesen zauberte mit stetig wechselnden Utensilien, auch eine Nagelbürste befand sich darunter, zu jedem Song einen neuen Sound. Hatte man manchmal das Gefühl, die drei Musiker folgten gerade ganz unterschiedlichen Wegen, die so gar nicht zusammenzupassen schienen, verband Simin Tander alle Klangfäden wieder mit ihrer Stimme.

Mit ihrer neuen CD im Gepäck hat sich Simin Tander musikalisch nun auch ihrem kulturellen Erbe zugewandt. Als Tochter eines afghanischen Journalisten ist der Orient seit Kindheitstagen ihr musikalischer Begleiter. Geschickt webt sie diesen in ihre Lieder ein. Dass sie selbst kein Paschtu spricht, fällt wegen der Leidenschaft, mit der sie sich den Liedern widmet, gar nicht auf. Aber egal ob auf Englisch, Paschtu, Spanisch, Französisch oder in ihrer eigenen Fantasiesprache, die sie des Öfteren in ihren Liedern benutzt: Mit jeder Sprache wird ihre Stimme zu einer anderen. Von tiefen, kehligen Klängen bis hin zu ganz zart in das Mikrofon gesäuselten Tönen, von denen der Zuschauer gar nicht so richtig weiß, wo sie herkommen – Simin Tander schreckt musikalisch vor nichts zurück. Wenn sich mit so einer Stimme dann noch der Anblick einer Frau paart, die mit geschlossenen Augen und starren Körper jeden noch so kleinen Ton geradezu in sich aufzusaugen scheint, ist ein Konzertabend durchaus als Glanzstück zu bezeichnend. Einfach atemberaubend und energiegeladen. Chantal Willers

Chantal Willers

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