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Kultur: Alles bella Italia oder was?

Silvesterkonzert der Kammerakademie Potsdam im Nikolaisaal

Silvesterkonzert der Kammerakademie Potsdam im Nikolaisaal Von Peter Buske Wer zum Italiener um die Ecke geht, erwartet sich ofenfrische Pizza, raffinierte Pastagerichte, einen süffigen Roten aus guten Lagen. Wer musikalisch Italia erleben will, erhofft sich landestypische Offerten, in die mediterranes Lebensempfinden, das Odeur von Land und Leuten eingeflossen sind. Dagegen kann er in dieser Lokalität durchaus auf österreichische Nockerln und Kaiserschmarrn oder französische Weinbergschnecken verzichten. Werden sie ihm dennoch serviert, wird er – mamma mia – das Ristorante kaum weiterempfehlen. Ähnlich verhält es sich beim ausverkauften Silvesterkonzert der Kammerakademie Potsdam im Nikolaisaal, das mit seiner Zusammenstellung einiges aus der Küche von „Bella Italia“ auf der Speisekarte verzeichnet, den Kenner jedoch mit manchem Fremdmenü in die Irre leitet. An Tiegeln, Töpfen und Pfannen obwaltet der gebürtige Taiwanese Kimbo Ishii-Eto seines (dirigentischen) Chefkoch-Amtes. Er, der bereits bei der Kammerakademie den Taktstock schwang, brutzelt zwei Ouvertüren-Medaillons à la Rossini, bei denen er mit den notierten Zutaten ziemlich freizügig und originalitätssüchtig umgeht. Was der Italienerin in Algier so alles bevorsteht, breitet sich in der Adagio-Einleitung mit Pizzicatoeffekt und hübschen Bläsersoli vor. Eigenwillige Rhythmusverschiebungen lassen aufhorchen. Im Prestoteil vermeint man quirliges Basartreiben und Parlandogewiesel zu vernehmen. Alles rasant, alles hektisch, alles kurzatmig phrasiert, alles von Perfektionsstreben erfüllt. Leider bleibt der Esprit auf der Strecke, fehlt es an Leichtigkeit. Bei seinen Filetierungsarbeiten erweist sich Kimbo Ishii-Eto weniger als ein fantasiebegabter Chef de Cuisine, sondern eher als ein Anatom, der mit dem Skalpell die Nerven, Knochen, Muskeln und Sehnen bloßlegt und fein säuberlich sortiert. Dass er dabei die Seele (der Musik) nicht finden kann, dieser Gedanke scheint ihm dabei nie zu kommen. Ein gleichfalls sehr diätetisches Klangbild bevorzugt er für „Il Signor Bruschino“. Dessen herbeigezwungene und aufgesetzt wirkende Fröhlichkeit tollt und turnt sehr effektvoll in den Ohren (und kommt bei diesem Silvesterkonzert in nüchtern-sachlicher Bühnenumgebung daher besonders gut an), geht einem durch ihre Beharrlichkeit jedoch alsbald auf die Nerven. Wenn solcherart der Leerlauf Rossinischer Melodien der Lächerlichkeit preisgegeben werden sollte, so ist dies dem Energiebündel von einem Taktschläger zweifellos gelungen. Saftige Steaks in Mediumqualität versöhnten alsbald den Gourmet, der sich bekannte Opernduette als solide Bearbeitungen (von Guibert Vrijens) für Flöte, Oboe und Orchester vorlegen ließ. „Reich mir die Hand, mein Leben“ girrt Mozarts Don Giovanni (alias Jan Böttcher, Oboe) um die Gunst von Zerline (Bettina Lange, Flöte). Auch im schwesterlichen Zwiegesang „Ich erwähle mir den Braunen“ aus „Cosi fan tutte“ schmeichelt die instrumentale Wärme der Protagonisten die Seele gar sehr. Dagegen hören sich die koloraturgespickten Bravourduette aus Rossinis „Die Reise nach Reims“ weit weniger akrobatisch an, als wenn sie eine atemberaubende Wiedergabe durch menschliche Stimmen erführen. Dass erfolgreiches Duettieren mehr ist als nur gut zusammenspielen, bleibt indes ein (unerfüllter) Wunsch. Dafür begeistert Konzertmeister Peter Rainer bei seiner französischen Menüwahl von Berlioz'' „Reverie et Caprice“-Romanze für Violine und Orchester op. 8, die in Paris uraufgeführt wurde (1841/1842). Empfindsam und träumerisch singt sich das graziöse Thema seine klar formulierte Saitenbahn, begibt sich heiteren und gelösten Schlenderschritts auf den Boulevard, zeigt sich schließlich ganz von seiner unsentimentalen, zärtlichen bis kapriziösen Seite. Den Mittlern fällt der herzlichste Beifall zu. Mit ihm regelrecht überschüttet wird die Kammerakademie, als sie mit zwei, der Zusammenstellung eingestreuten Sätzen aus Schuberts 3. Sinfonie jene prickelnde Silvesterlaune verbreitet, auf die man so lange gewartet hat. Doch auch hier ist Schmuggelware im Angebot, denn das Werk entstand im Juli 1815 in Wien. Sowohl das Allegretto als auch das Presto vivace (mit seinem Tarantella-Rhythmus) eilen beschwingt, kammermusikalisch transparent, herrlich gelöst und leichtfüßig wie auf Zehenspitzen vorüber. Zugaben sorgen für den fröhlichen Jahresend-Kehraus: witzig und dynamisch fein abgestuft erklingt die Pizzikato-Polka von Johann Strauss jr., temporasant Mozarts „Figaro“-Ouvertüre, die sich wahrlich als Vorspiel zu einem tollen Tag entpuppt. Na dann: Prost 2004!

Peter Buske

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