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20 ukrainische Jugendliche haben im Mitmachzirkus Montelino ein zweites Zuhause gefunden.

© Andreas Klaer

Zirkus Montelino: Gut eingespielt, aber ohne Förderung

Die deutsch-ukrainische Gruppe im Mitmachzirkus ist zu einem Team zusammengewachsen. Zuletzt musste aber der Trainingsumfang reduziert werden.

Es sieht aus wie eine kleine Pyramide aus Armen, die das junge ukrainische Mädchen erklimmt: Oben angekommen ergreift sie die nach oben gereckten Hände des Trainers, die von den anderen Jugendlichen gestützt werden, macht einen Handstand und lässt ohne Zittern ihre Beine über ihrem Kopf durch die Luft kreisen.

Eine kleine Übung, die gut zeigt, wie sehr die ukrainischen und deutschen Jugendlichen des Kinder- und Jugendzirkus‘ Montelino nach knapp einem Jahr zu einem Team zusammengewachsen sind. Mehrere Sprachen fliegen durch den Raum: Es wird gescherzt, es wird gelacht, die Gruppe versteht sich.

20 Kinder aus der Kiewer Zirkusschule aufgenommen

„Wir bezeichnen die Kinder aus der Ukraine nicht mehr als unsere ‚Gäste‘, sie sind einfach unsere Jugendgruppe“, sagt Montelino-Geschäftsführer Bileam Tröger. Kurz nach Ausbruch des Krieges hatte Montelino 20 Zirkusschüler und -schülerinnen aus Kiew aufgenommen, die seitdem zusammen mit Potsdamer Jugendlichen trainieren. Im vergangenen Jahr erarbeiteten sie das Stück „Begegnungen“, das bereits mehrmals in Potsdam und Berlin aufgeführt wurde.

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Tage pro Woche musste die 13-jährige Zirkusschülerin Daria in der Ukraine trainieren.

Der Start war nicht einfach: „Die Eltern berichteten mir kürzlich, dass viele Kinder anfangs nahezu täglich einforderten, in die Ukraine zurückzukehren“, sagt Tröger. „Das hat sich inzwischen ein bisschen gelegt, da sie bei Montelino ein zweites Zuhause gefunden haben.“

Das technische Niveau der ukrainischen Jugendlichen war sehr hoch, gleichzeitig fiel Tröger auf, dass sie anfangs „wie Puppen zu funktionieren schienen“, als seien sie eingefroren – eine Folge der traumatischen Kriegs- und Fluchterfahrungen und sicher auch des Heimwehs. Durch das Training und den Kontakt zu den anderen Jugendlichen hätten sie sich jedoch langsam aus ihrer Starre gelöst, so Tröger.

Geübt wird meist nicht im Zelt, sondern in der Turnhalle - die Heizkosten sind zu hoch.

© Ottmar Winter PNN/Ottmar Winter PNN

„Ich mag die Leute hier, außerdem habe ich viele neue Sachen kennengelernt, zum Beispiel Aquadance oder Trampolin-Akrobatik“, sagt die 13-jährige Daria aus der Ukraine. Was ihr auch gefällt: Das Training ist nicht so hart wie in ihrer Heimat. „Zuhause sind die Trainer sehr streng und schreien einen an, wenn man etwas nicht richtig macht“, sagt Daria. „Wenn man irgendetwas nicht tun will, dann sagen sie: Dann machst du nicht mit bei der Show.“

In Potsdam sei das anders: „Die Trainer sind sehr freundlich. Wenn man etwas nicht machen möchte, dann muss man das auch nicht.“ In der Ukraine habe sie fünf Tage in der Woche trainiert, hier sind es nur zwei feste Tage plus offenes Training an anderen Wochentagen außer am Wochenende.

Tröger sieht das harte Training in der Ukraine kritisch: „Einige ukrainische Artisten-Kinder, die nach Deutschland gekommen sind, hatten sich bei der staatlichen Artistenschule in Berlin beworben. Manche wurden jedoch nicht genommen, weil sie bereits Knieprobleme hatten.“

Montelino betreibt auf seinem Gelände am Volkspark auch noch den Zeltpunkt, einen offenen Kinder- und Jugendtreff, in dem an verschiedenen Tagen trainiert, gebastelt, gegärtnert oder gekocht wird. Sechs Mitarbeiter:innen stehen für die Betreuung der Kinder bereit, zudem gibt es Beratungsangebote für Erwachsene. Hier finden auch Deutschkurse für Kinder und Erwachsene aus der Ukraine statt.

„Der Circus Montelino e.V. leistet Außerordentliches für das Ankommen, die Aufnahme und die Integration von Menschen, die vor Krieg fliehen“, lobte Potsdams Integrationsbeauftragte Amanda Palenberg, die den Zirkus und den Zeltpunkt am Donnerstag zusammen mit der Landesintegrationsbeauftragten Doris Lemmermeier besucht hatte. 2022 war Montelino mit dem Integrationspreis Potsdam ausgezeichnet worden.

200 Kinder auf der Warteliste

Allem Lob zum Trotz: Derzeit steht die deutsch-ukrainische Zirkusgruppe ohne Förderung da, diese war im letzten Jahr ausgelaufen. „Wir mussten den Trainingsumfang reduzieren und versuchen ganz viel über Ehrenamt aufzufangen“, sagt Tröger. Auch die Wohnsituation ist nach wie vor angespannt: Erst zwei ukrainische Familien sind in eigenen Wohnungen, viele leben nach wie vor privat bei Familien, die dem Zirkus verbunden sind. Auch Tröger hat eine ukrainische Familie bei sich zu Hause untergebracht. 

Dass im Zelt trainiert wird, ist nicht die Regel, auch wegen der enormen Heizkosten: Meist wird in Turnhallen geübt. Das gilt auch für die anderen Gruppen, die Montelino betreut: Laut Tröger besuchen 450 Kinder und Jugendliche die Montelino-Kurse, mehr als 200 Kinder stehen auf der Warteliste. „Die Kurse sind extrem voll, wir bräuchten eigentlich viel mehr Hallenzeiten“, sagt Tröger.

2022 hatte Montelino ein zweites Zirkuszelt angeschafft, um die Raumsituation zu entspannen. Bis Ende des Jahres hatte der Volkspark die kostenlose Aufstellung erlaubt, in diesem Jahr ist dies jedoch nicht mehr kostenfrei möglich. Da der Verein dafür kein Geld hat, wurde das Zelt erst einmal wieder zusammengelegt.

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