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Landeshauptstadt: Ein Festakt, drei Zeremonien und viel menschliche Wärme

Beim Neujahrsempfang der Stadt wurde Hermann-Hinrich Reemtsma geehrt, das „Jahr der Parks und Gärten“ eröffnet und eine 23 200 Euro-Spende übergeben

Beim Neujahrsempfang der Stadt wurde Hermann-Hinrich Reemtsma geehrt, das „Jahr der Parks und Gärten“ eröffnet und eine 23 200 Euro-Spende übergeben Von Sabine Schicketanz Das offizielle Potsdam-Jahr 2004 beginnt mit einer taktischen Maßnahme. Der Neujahrsempfang der Stadt, betont Oberbürgermeister Jann Jakobs, sei nicht nur eine gute Tradition, sondern als „Möglichkeit des miteinander Redens“ schlicht unverzichtbar. Angriff ist die beste Verteidigung hatte sich das Stadtoberhaupt offenbar gedacht und diesen deshalb gleich im zweiten Satz seiner Begrüßungsrede untergebracht. Nicht unklug, schließlich sind die Querelen um den letztendlich selbst bezahlten Geburtstagsempfang des Ministerpräsidenten noch allzu gut in Erinnerung. Bei den mehr als 600 geladenen Gästen, die sich an diesem Freitagmittag im Nikolaisaal eingefunden haben, ist es allerdings kaum nötig, die rund 2000 Euro, die aus der Stadtkasse in die Feier geflossen sind, zu verteidigen. Zumal der Wille zur Sparsamkeit deutlich zu erkennen ist, denn im anderthalbstündigen Festakt sind gleich drei Zeremonien untergebracht: Mäzen Hermann-Hinrich Reemtsma, der rund 2,7 Millionen Euro für die Restaurierung des Pfingstberg-Belvederes spendete, wird mit einem Eintrag ins Goldene Buch der Stadt geehrt, das „Jahr der Parks und Gärten“ erfährt einen festlichen Auftakt und Ministerpräsident Matthias Platzeck kann den „Ertrag“ seines Geburtstagsempfangs übergeben. 23 200 Euro haben die Gäste auf seinen Wunsch hin für das Babelsberger Oberlinhaus gespendet. Dies macht den Neujahrsempfang zu einer außergewöhnlichen Veranstaltung, wie Pastor Friedrich-Wilhelm Pape vom Oberlinhaus treffend feststellt: „Dies ist ein Empfang nicht nur mit guten Vorsätzen, sondern auch mit guten Taten.“ Auch Empfangs-Debütantin Ulla Kock am Brink – sie ist mittlerweile eingefleischte Babelsbergerin und wird demnächst die neue RBB-Talksendung moderieren – stellt den Gastgebern ein gutes Zeugnis aus. „Wenn ich die Reden hier mit den Politikerreden, die ich sonst in Berlin höre, vergleiche, gibt es einen Unterschied: menschliche Wärme. Das gefällt mir gut.“ Initialzündung auf dem Pfingstberg Tatsächlich sind die Loblieder auf die Landeshauptstadt versehen mit viel Leidenschaft – von offizieller Seite genauso wie von privater. Hermann-Hinrich Reemtsma, der begleitet von seiner Ehefrau Gesa schon am Vortag in Potsdam weilte und ein Benefizkonzert besuchte, dankt „von Herzen für diese besondere Ehrung“. Das Rampenlicht mag der 68-Jährige, dessen Engagement auch einer Freundschaft zum ehemaligen Schlösserchef Hans-Joachim Giersberg zu verdanken ist, ganz offensichtlich nicht. So sind seine Sätze kurz, aber prägnant: „Es hat meine Familie und mich beglückt, dass unsere Stiftung hier mithelfen durfte.“ Reemtsma hatte zunächst 1993 für die Rekonstruktion des Pomonatempels gespendet und damit die Initiative, das Belvedere zu restaurieren, maßgeblich angeschoben. Seine Idee, dem Förderverein Pfingstberg für jede gespendete Mark eine weitere dazuzugeben, setzte immense Spendenkraft frei und ließ Eingangshalle und Westarkade des Belvederes wieder erstrahlen. Im Herbst 2003 überwies Reemtsma noch einmal eine Million Euro an den Förderverein, damit die Flügelmauern des Bauwerks restauriert werden können. Ein Paradebeispiel für bürgerschaftliches Engagement, auch wenn es aus Hamburg kommt – und wohl eine Initialzündung für andere, sich ebenfalls stark zu machen. „Die Bürgerschaft findet sich“, sagt denn auch Ministerpräsident Platzeck. Es habe in Potsdam lange nichts Ehrenrühriges mehr zu sagen „ich liebe meine Stadt“. Auch werde die Landeshauptstadt Stück für Stück mehr angenommen in Brandenburg, „man schließt sie ins Herz“. Angesichts des „Jahres der Krise“, das Deutschland und Brandenburg hinter sich hätten, könne man „in Potsdam nicht selten den Eindruck gewinnen, dass hier gegen den Strom geschwommen wird“. Die Stadt habe es geschafft, sagt der Ministerpräsident, eine Eigendynamik zu entfalten. Wer aus rein historischer Sicht für den Erfolg verantwortlich ist, dazu äußert Schlösserchef Hartmut Dorgerloh eine gewagte These: „Potsdam ist durch, mit und um die Gärten herum und dank seiner Gärtner erst zu dem geworden, was es heute ist.“ Schließlich, klärt er auf, habe der „Naturraum“ den Ausschlag gegeben, als die Stadt einst zur zweiten Residenz gekürt wurde. „Das lag nicht daran, dass in Potsdam besonders nette Menschen leben.“ Zumindest bei dieser Aussage zum „Jahr der Parks und Gärten“ könnte Dorgerloh auf Gegenwehr stoßen – beispielsweise von Daniel Lipton, dem Star-Dirigenten, der mit seiner Frau Sandra, Tochter Laura und Sohn Lucca im Mai nach Potsdam gezogen ist. Geboren ist Lipton in Paris, aufgewachsen in New York, Orchester dirigiert er auf der ganzen Welt. Aber Potsdam ist für ihn die „ideale Lösung“. Gerade weil er ein Großstädter sei, halte er es hier aus, sagt Lipton. Und außerdem mag er die Potsdamer: „Die Leute hier sind sehr offen, sehr nett.“ Gleichsam schlagkräftige Argumente für die Landeshauptstadt liefert Wolfram Weimer, Chefredakteur des neuen politischen Magazins „Cicero“, das in Potsdam in Büros nahe der Glienicker Brücke produziert wird und am 25. März erstmals erscheinen soll. Nur eine halbe Stunde hat der Journalist, mit seiner Familie schon lange in Potsdam zu Hause, Zeit für den Neujahrsempfang – CDU-Chefin Angela Merkel will mit ihm über „Cicero“ sprechen – doch entgehen lässt sich Weimer die offizielle Feierlichkeit nicht. Genauso wie, um nur einige zu nennen, Wilhelm Karl Prinz von Preußen, Ingrid Stolpe, die ehemalige Finanzministerin Wilma Simon und der Botschafter a.D. Eberhard von Puttkamer. Bevor sie und alle anderen die „Möglichkeit des miteinander Redens“ bekommen, liefert Oberbürgermeister Jakobs noch einige Themenvorschläge: Gesprochen werden kann über den nächsten Brandenburg-Tag, der am 3. Oktober 2005 zusammen mit dem Tag der deutschen Einheit in Potsdam gefeiert wird, über die Fusion mit Berlin, für die Jakobs werben will, über die „traurige Brache“ in Potsdams Mitte mit dem Fortunaportal als „mahnendem Finger“, über die Finanzmisere der Stadt, die „nicht zu viel ausgibt, sondern zu wenig einnimmt“ und über die Bewerbung Potsdams als Kulturhauptstadt Europas 2010.

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