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Politik: Zweite Chance für den Wahlsieger

Der belgische König Albert II. beauftragt erneut den Flamen Yves Leterme mit der Regierungsbildung

Brüssel - Wichtige Staatsangelegenheiten werden in Belgien gerne mitten in der Nacht beschlossen. Und so war es auch dieses Mal: König Albert II. empfing Yves Leterme ohne vorherige Ankündigung auf Schloss Ciergnon und beauftragte den flämischen Christdemokraten ein zweites Mal mit der Regierungsbildung. Die Belgier konnten dann beim sonntäglichen Morgenkaffee aus den Medien vernehmen, es gebe wieder Hoffnung, doch noch zu einer neuen Regierung zu kommen. Darauf warten die Menschen zwischen Antwerpen im Norden und Arlon im Süden nahe der luxemburgischen Grenze nun schon seit über drei Monaten – resigniert oder mit Ungeduld.

Bisher war die Situation festgefahren. Leterme hatte Ende August nach fünfwöchigen Verhandlungen das Handtuch geworfen. Zu tief waren die Gräben zwischen Christdemokraten und Liberalen, die eine Koalition formieren sollen. Die Positionen verhärteten sich wegen französisch-niederländischer Sprachstreitigkeiten. Vor allen in den Medien war offen von einer drohenden Spaltung des Landes die Rede.

Besonders in der Hauptstadt Brüssel hängen schwarz-gelb-rote Nationalflaggen an den Balkonen – eine stumme Mahnung für die Einheit des Landes. Ende August setzte der König Herman Van Rompuy als Geheimvermittler ein, um die Lager zusammenzuführen. Jetzt gibt es „ausreichend Elemente einer Annäherung“, wie lapidar aus dem Königspalast verlautete.

Der neue königliche Auftrag zeigt, dass an Leterme kein Weg vorbeiführt. Der 46-jährige Jurist ist der Sieger der Parlamentswahl vom 10. Juni. Obwohl sein Vater aus der französischsprachigen Wallonie stammt, gibt sich der frühere Ministerpräsident der Region Flandern gerne als streitbarer Sachwalter flämischer Interessen. Er tritt gelegentlich in Fettnäpfchen, so verwechselte er am Nationalfeiertag, dem 21. Juli, die französische Nationalhymne La Marseillaise mit der seines Heimatlandes, der Brabançonne. In Umfragen liegt er weiterhin hinter dem amtierenden belgischen Premierminister Guy Verhofstadt, einem gewandten Liberalen aus Gent.

Die Wende in der krisenhaften Regierungsbildung bedeutet aber keinen raschen Abschluss der Verhandlungen, geben politische Beobachter in Brüssel zu bedenken. Belastend wirken demnach vor allem bisher ungelöste Forderungen aus dem wirtschaftlich starken Flandern nach mehr Autonomie, beispielsweise bei der Sozialversicherung oder den Steuern. Die französischsprachigen Koalitionspartner lehnten dies bisher ab, da sie Nachteile für die schwächere Wallonie fürchten. Sie erhält bisher Transferzahlungen von rund zehn Milliarden Euro pro Jahr. Heftig umstritten ist weiterhin die politische Vertretung von rund 200 000 französischsprachigen Menschen, die im Brüssler Umland – also auf flämischen Territorium – leben. Brüssel, die Hauptstadt, ist offiziell zweisprachig, de facto ist aber das Französische mit 85 Prozent vorherrschend.

Im Gespräch ist nun eine Gruppe von „Weisen“, die in den kommenden Jahren eine Staatsreform prüfen soll. Nach der Krise herrscht inzwischen eine gewisse Zuversicht. „Belgien ist solider, als man denkt“, sagte der frühere Außenminister und heutige EU-Entwicklungskommissar Louis Michel bereits am Freitag. Bisher seien immer Lösungen gefunden worden. Der bisherige Rekord von Koalitionsgesprächen ist bisher noch nicht erreicht. 1988 dauerten die Verhandlungen zur Bildung der achten Regierung von Wilfried Martens knapp fünf Monate lang. Christian Böhmer (dpa)

Christian Böhmer (dpa)

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