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West Virginia: Weiß, rechts und richtig

In West Virginia hat jeder ein Gewehr und Abtreibung gilt als Sünde – John McCain hat hier gute Chancen

Der schmale Highway 14 südlich von Parkersburg schlängelt sich zwischen Fluss und Berg durch die Herbstlandschaft. Am Wegesrand finden sich vereinzelte, einfach gebaute Häuser. Hin und wieder weht in den schmucklosen Vorgärten eine amerikanische Flagge, einmal auch eine der Konföderation jener elf Südstaaten, die sich 1861 von den Vereinigten Staaten abspalteten, um der Abschaffung der Sklaverei zu entgehen.

Vielleicht drei Meilen vor Elizabeth, West Virginia, taucht auf der rechten Seite ein große Plakatwand auf. Sie zeigt ein auf dem Bauch liegendes Baby in einem weiß-roten Kleid. Auf seinem Rücken prangt eine riesige rote Schleife, auf der angehängten Karte steht: „Geschenk Gottes“. Links daneben der als Bibelzitat markierte Slogan: „Kinder sind ein Geschenk“. Unter dem Bild die Aufforderung: „Choose Life“ – wähle das Leben.

„Das sind die wichtigen Themen hier“, sagt Angie Adams. „Abtreibung, Waffengesetze. Die meisten, die ich kenne, besitzen mindestens ein Gewehr. Und Homoehe und Einwanderung.“ Adams, eine Hausfrau mit drei Kindern, deren Mann im ersten Irakkrieg verletzt wurde, ist die Wahlkampfmanagerin der Republikaner in Elizabeth, wo nur knapp 6000 Menschen leben. Die Mehrzahl der Wahlberechtigten sind als Demokraten registriert. „Doch das heißt wenig“, sagt Adams, „wir sind ein sehr konservativer Staat. Selbst die Demokraten sind konservativ.“ Das war nicht immer so.

Die Einwanderer aus Deutschland, Irland, England und Italien, die in West Virginia während der Industriellen Revolution begannen, die reichhaltigen Kohlefelder abzubauen, organisierten sich in Gewerkschaften gegen ihre übermächtigen Arbeitgeber. In jenen Zeiten standen die Demokraten an ihrer Seite und „Sozialismus“ war noch kein Schimpfwort in Amerika. Seitdem hat sich viel verändert. Waren ihre Väter und Urgroßväter noch überwiegend katholisch oder gingen einer europäisch geprägten Form des Christentums nach, geben heute 75 Prozent der Menschen in West Virginia an, sie seien Christen neuerer Prägung, viele von ihnen wiedergeboren, so wie Präsident George W. Bush.

Das spiegelt sich auch an der Wahlurne wider. Joe Manchin, Gouverneur in West Virginia, ist Demokrat und wird wohl mit großer Mehrheit wiedergewählt. Die beiden Senatoren, die der Bundesstaat nach Washington entsendet, gehören derselben Partei an. Doch sie sind in Fragen der Abtreibung und der Waffengesetze weniger liberal als Barack Obama, der hier nur schwer ein Bein auf den Boden bekommt. Bei den Vorwahlen unterlag er hier Hillary Clinton deutlich. Und während er rundherum, in North Carolina, Virginia und Ohio, gute Chancen hat, am 4. November zu gewinnen, führt John McCain in West Virginia mit komfortablem Vorsprung.

Die in den TV-Nachrichten heiß geführten Diskussionen über „Joe, den Klempner“, über Zwangsversteigerungen, über die Frage, ob Obama tatsächlich „den Wohlstand verteilen“ will und über die Kosten der Designer-Kleider für McCains Vize-Kandidatin Sarah Palin bringen hier niemanden in Rage. Ein paar Häuser weiter, in „The Cave“ (Die Höhle), sitzen nachmittags um drei vier Männer vor ihren Bierdosen. Der Wirt, ein Mann in den Dreißigern, bringt die Sache auf den Punkt: „McCain is white and he is right“ – McCain ist weiß, und er ist rechts (oder auch: der richtige Mann). Ende der Diskussion. Nur sein Kumpel DeeDee mit den langen roten Locken widerspricht: „Ich wähle Obama. Ich habe den Mann über Sport reden hören, und er klang wie ein richtiger Mensch, nicht wie ein Politiker.“ Ansonsten sind sie sich einig in der „Höhle“, dass George W. Bush keinen so schlechten Job gemacht habe. Ein bisschen zu liberal sei er gewesen. Auch die Sache mit Jessica Lynch haben sie ihm längst vergeben.

Jessica Lynch ist die junge Soldatin, die in den frühen Tagen des Irakkrieges schwer verletzt in die Hände des Gegners fiel, nachdem sie bis zuletzt gekämpft hatte. Unter großem Medienrummel wurde sie dann von einer US-Spezialeinheit befreit. Eine Heldengeschichte, die das Pentagon nach Kräften schürte. In Elizabeth hielten sie zu Lynchs Ehren eine große Parade ab, als sie aus dem Krankenhaus zu ihren Eltern zurückkehrte, die in der Nähe wohnen. Bis heute begrüßt die Stadt Besucher mit dem Hinweis: „Home of Jessica Lynch, Ex-P.W.O.“ (Zuhause von Jessica Lynch, ehemalige Kriegsgefangene). Nur leider war das meiste an der Geschichte falsch. Lynch feuerte nie einen Schuss ab, und die irakischen Soldaten, die die Gefangene bewachten, hatten sich längst zurückgezogen, als die US-Soldaten anrückten. Eine hollywoodreife Inszenierung, die Lynch später in einer Anhörung des Kongresses richtigstellte.

Dafür bekam sie viel Anerkennung – und eine Flut von Drohbriefen, die bis heute nicht gänzlich verebbt ist. Im „The Cave“ sind sie uneingeschränkt stolz auf Jessica. Adams meint, der Lynch-Skandal sei in Elizabeth eine unpolitische Sache gewesen, Bush oder den Republikanern habe er nicht geschadet. Genauso wenig wie die schlechte Wirtschaft oder der Sündenfall der Wall Street. In einem Leserbrief in der Lokalzeitung klagt ein Obama-Anhänger: „Ich glaube, wenn ein ärztlich beglaubigter Verrückter sich als Präsident bewerben würde, gäben die Leute ihm eine Chance, solange er gegen Abtreibungen ist. Die Mentalität, sich auf ein Thema zu fixieren, ist lächerlich.“

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