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Migranten laufen  in der Nähe des Evros-Flusses an der griechisch-türkischen Grenze auf Bahngleisen.

© Dimitris Tosidis/XinHua/dpa

Pushbacks an der EU-Grenze: Am Grenzfluss Evros schickt Griechenland Flüchtlinge zurück

Athen weist alle Vorwürfe von sich und auch die europäische Grenzschutzagentur Frontex hüllt sich in Schweigen. 

Von Florian Schmitz

Omar Alshakal ist der Schock ins Gesicht geschrieben, als er von seinen Erlebnissen in der griechsich-türksichen Grenzregion Evros berichtet: „Ich bin auf der Straße entlang der Grenze mit dem Auto gefahren. Da habe ich eine Gruppe von Flüchtenden gesehen. Ich hielt an und habe die Behörden informiert. Ich habe Bilder von ihnen gemacht und Kontaktdaten ausgetauscht.“ Am nächsten Tag kontaktierten sie ihn wieder und teilten mit, man hätte sie zurück in die Türkei gebracht.

Eigentlich lebt der 28-jährige Syrer auf Lesbos, wo er 2017 die NGO Refugees 4 Refugees gründete. An den Evros war er gekommen, um seinen minderjährigen Bruder aus dem Empfangs- und Registrierungszentrum Fylakio zu holen. In den wenigen Tagen in der Region sei er mehrmals Zeuge von Vorfällen geworden, bei denen Asylsuchende von der griechischen Seite verschwanden und dann in der Türkei auftauchten.  

Laut dem Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen erreichten in diesem Jahr 4751 Asylsuchende das griechische Staatsgebiet über die gut 200 Kilometer lange Evros-Grenze. Die Dunkelziffer dürfte sehr viel höher liegen. Menschenrechtsorganisationen werfen den griechischen Behörden vor, Menschen auf der Flucht systematisch den Zugang zu Asyl verwehren. Betroffene berichten von exzessiver Gewalt durch die griechische Polizei.

Auf Schlauchbooten werden die Menschen in die Türkei zurück gebracht

Man würde ganze Gruppen von Menschen, die sich bereits auf europäischem Boden befinden, illegal in Gefängnissen festhalten, ohne Zugang zu Wasser, Nahrung oder sanitären Anlagen. Auf Schlauchbooten würden sie dann über den Evros-Fluss zurück an die türkische Seite gebracht. Laut Medienberichten werden andere Asylsuchende von den griechischen Behörden dazu genötigt, diese Boote zu steuern, denn natürlich sind Aktionen wie diese illegal. 

All das aber lässt sich nur schwer belegen. Das Gebiet am Evros ist militärische Sperrzone. Hier hat niemand Zugang außer den griechischen Behörden und einigen Bauern, die am Flussufer ihre Felder haben. Selbst EU-Parlamentariern, die die Region kürzlich besuchten, wurde der Zutritt verwehrt. Athen weist alle Anschuldigen von sich und spricht von türkischer Propaganda.

Man bezichtigt Ankara, Asylsuchende gezielt an die griechische Grenze zu bringen. Immer wieder kommt es zu Vorfällen, bei denen Menschen im vermeintlichen Niemandsland zwischen Griechenland und der Türkei festsitzen. Für besondere Aufmerksamkeit sorgte eine Gruppe von 38 Menschen, die im Juli und August über Wochen auf einem kleinen Eiland im Evros ausharren mussten. 

Laut eigenen Angaben wurden sie dabei von den Behörden beider Länder von einer Seite auf die andere gebracht. Die Asylsuchenden berichteten, dass ein fünfjähriges Mädchen starb, während sie auf Hilfe warteten.

Die griechische Polizei behauptete, die Insel liege auf türkischer Seite.

Florian Schmitz

Sie hatten ihren Google-Standort mit Journalist:innen und Hilfsorganisationen geteilt, und die griechische Polizei um Rettung gebeten. Diese gab zunächst an, man könne die Gruppe nicht lokalisieren und behauptete dann, das Eiland liege auf der türkischen Seite. Die Behörden kamen erst zur Hilfe, als die Menschen das Festlandufer erreichten. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass die Landesgrenze auf der Insel verläuft und sich der größte Teil auf griechischem Staatsgebiet befindet.  

Flüchtlinge auf Lesbos (Archivbild)

© Petros Giannakouris/AP/dpa

Im Einsatz am Evros befinden sich auch Einheiten der europäischen Grenzschutzagentur Frontex. Diese war in die Kritik geraten, nachdem Investigativmedien nachweisen konnten, dass die Agentur bei ihrem Einsatz auf den griechischen Inseln von illegalen Pushbacks zumindest wusste. Im April 2022 trat der langjährige Frontex-Direktor Fabrice Leggeri zurück.

Offiziell weist die Agentur jede Verantwortung von sich. Man versichert, alle Vorfälle zu melden, die auf ein illegales Verhalten der Behörden hinweisen würden. Auf Anfrage des Tagesspiegel teilte Frontex mit, dass in den vergangenen 12 Monaten 15 sogenannte „Serious-Incident-Reports“ an den zuständigen Grundrechtsbeauftragten übermittelt wurden. 

Omer Shatz ist Völkerrechtler und juristischer Vorstand der NGO Front-Lex. Für ihn stellt der Einsatz von Frontex am Evros einen Bruch mit EU-Recht dar. Er spricht von 10.000 Fällen seit 2019, bei denen Menschen an der griechisch-türkischen Landgrenze der Zugang zu Asyl verwehrt wurde.

„Frontex behauptet, die griechischen Behörden seien verantwortlich, doch das ist rechtlich irrelevant, denn unter EU-Recht muss der leitende Direktor den Einsatz abbrechen, sobald ernste oder regelmäßige Verstöße gegen Menschenrechte verzeichnet werden, die mit Aktivitäten von Frontex in diesem Gebiet zusammenhängen,“ so Shatz. Dies treffe am Evros zu.

Auch der grüne EU-Parlamentarier Erik Marquardt übt scharfe Kritik an Frontex: „Wir haben eine Grenzschutzagentur, die die Außengrenzen überwacht, aber niemandem Bescheid sagt, was sie dort tut.“ Dass die zuständigen EU-Behörden trotz zahlreicher Berichte von systematischen Gesetzesbrüchen am Evros nicht einschreiten, ist für ihn ein Skandal: „Ich habe das Gefühl, dass EU-Kommission, EU-Staaten, Frontex und die Grenzbehörden vor Ort vor allem zusammenarbeiten, um die Realität an den Außengrenzen zu verdecken.“  

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