zum Hauptinhalt
Oft brutal geht die Polizei gegen Regierungskritiker vor, hier Anfang August.

© dpa

Politik: Kirgistans Präsidentin in Erklärungsnot

Human Rights Watch wirft Regierungstruppen und lokalen Behörden vor, den Konflikt zwischen den Volksgruppen geschürt zu haben

Der gestrige Montag war kein guter Tag für Rosa Otunbajewa, die Interimspräsidentin Kirgistans. Wissentlich oder unwissentlich, so heißt es in dem Untersuchungsbericht, den die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HWR) vorstellte, hätten Regierungstruppen und lokale Ordnungskräfte der Gewalt Vorschub geleistet. Gemeint waren schwere ethnische Unruhen, die im Juni den Süden der zentralasiatischen Ex-Sowjetrepublik erschütterten. Offizielle Stellen sprachen von 371 Toten, Menschenrechtler gehen von über 2000 Opfern – vor allem Usbeken –, hunderten Verletzten und zeitweilig fast einer halben Million Flüchtlingen aus.

HWR-Aktivisten hatten bei und nach den Zusammenstößen Opfer und Augenzeugen beider Volksgruppen interviewt, Amateurvideos sowie Satellitenfotos ausgewertet und auf dieser Grundlage einen 91 Seiten starken Bericht verfasst, der über 3500 konkrete Straftaten dokumentiert, die von Soldaten und Polizisten begangen wurden. Darunter Plünderungen, Brandschatzungen, Folterungen und willkürliche Verhaftungen. Der Report kritisiert zudem Vertuschungsversuche der offiziellen Ermittler und neue Gewalt. Die Schuldigen, heißt es wörtlich, müssten ungeachtet ihrer ethnischen Zugehörigkeit und ihres Amtes bestraft werden. Objektive Untersuchungen seien jedoch nur möglich, wenn die Regierung nationales und internationales Recht respektiert. Darauf müssten auch UN und OSZE drängen.

Vor allem der Satz, wonach die seit April regierende Interimsregierung keine Lösung für die Probleme habe und Teil des Problems sei, dürfte Otunbajewa schwer getroffen haben. Die 60-Jährige, die ihren Vorgängern im Amt des Präsidenten zunächst als Außenministerin diente, hatte sich, von diesen schwer enttäuscht, dann an die Spitze der Opposition gestellt. Sie gilt als Vorkämpferin für Demokratie und Rechtstaatlichkeit. Die neue Verfassung wurde Ende Juni mit einem Referendum in Kraft gesetzt, das Otunbajewa auch bis Ende 2011 als Übergangspräsidentin bestätigte.

Experten attestierten ihr schon nach dem bewaffneten Konflikt zwischen Kirgisen und Usbeken Führungsschwäche. Mehrere Mitglieder ihrer Interimsregierung haben sich in die Opposition verabschiedet, ihre Parteien wollen bei den Parlamentswahlen im Oktober gegen Otunbajewas Hausmacht – die sozialliberalen Atameken – antreten und sperren sich zudem gegen den von Otunbajewa befürworteten Einsatz von rund 50 OSZE-Polizisten im Unruhegebiet im Süden.

Otunbajewa sieht im Hintergrund „dritte Kräfte“ agieren, die die Lage destabilisieren wollen, um Revanche zu nehmen – neben ihrem im April gestürzten Vorgänger Kurmanbek Bakijew auch der im März 2005 und ebenfalls per Revolte abgesetzte erste Präsident, Askar Akajew, der sich wegen Verbrechen am eigenen Volk verantworten soll. Die Staatsanwaltschaft bereitet eine Anklage und ein Auslieferungsbegehren an Russland vor. Akajew wies die Vorwürfe zurück. Damit wolle die neue Macht lediglich davon ablenken, dass sie nicht in der Lage ist, „für elementarste Ordnung im Lande zu sorgen und dessen Probleme zu lösen“.

Ähnlich sehen das Experten wie Aschdar Kurtow vom Moskauer Institut für strategische Forschungen. Weil Umstürzler den Erwartungsdruck der Massen oft nicht befriedigen können, müssten sie diesen wenigstens „die abgeschlagenen Häupter ihrer Feinde“ zum Fraß vorwerfen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false