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Politik: Im Zweifel für den Verurteilten

Offenbar erwägt die Justiz, den Motassadeq-Prozess einzustellen

Es gibt erste Anzeichen dafür, dass Mounir al Motassadeq, der weltweit erste verurteilte Attentäter des Terrors vom 11. September 2001, bald wieder auf freien Fuß kommen könnte. Zwar will das Hamburger Oberlandesgericht (OLG) seine Entscheidung erst Anfang nächster Woche bekannt geben, aber am Freitag, nach der Haftprüfung, soll das Gericht Zweifel geäußert haben, ob das Verfahren fortgeführt werden kann.

Motassadeq müsste in diesem Fall umgehend freigelassen werden. Nach der Strafprozessordnung muss ein Haftbefehl aufgehoben werden, wenn ein Verfahren „nicht bloß vorläufig“ eingestellt wird. Auch scheint möglich, dass sich der Verdacht gegen den Marokkaner, Mordgehilfe in über 3000 Fällen gewesen zu sein, mittlerweile abgeschwächt hat.

Das Hamburger OLG war überzeugt von seiner Täterschaft, der Bundesgerichtshof (BGH) hob das Urteil wieder auf. Grund: Die gesperrten Vernehmungsprotokolle des vermutlich in den USA inhaftierten mutmaßlichen Terrorhelfers Ramzi Binalshibh. Die Amerikaner sehen ihre nationale Sicherheit gefährdet, wenn die Aussagen in die Öffentlichkeit gelangten. Die Behörden in der Bundesrepublik verfügen über Abschriften, halten sie jedoch ebenfalls zurück.

Der BGH erkannte zwar berechtigte Geheimhaltungsinteressen, urteilte jedoch, diese dürften sich nicht zum Nachteil des Angeklagten auswirken. Die Folge: Alles, was Motassadeq belastet, muss doppelt gründlich geprüft und gewichtet werden. Gibt es vor diesem Hintergrund keinen dringenden Tatverdacht mehr gegen ihn, dürfen ihn die Behörden nicht länger festhalten. Das Ergebnis der Haftprüfung kann deshalb eine Vorentscheidung des Verfahrens bedeuten.

Nach Angaben von Motassadeqs Verteidiger, Josef Gräßle-Münscher, hat sich der Verdacht gegen seinen Mandanten weiter entkräftet. Die Bundesanwaltschaft habe bei der Haftprüfung neue Beweise vorgelegt – dem Anwalt zufolge entlasten sie seinen Mandanten. Dabei handele es sich um einen Brief des flüchtigen Terrorverdächtigen Said Bahaji an seine Mutter und das Protokoll eines überwachten Telefongesprächs mit seiner Ehefrau. Bahaji war nach Überzeugung der deutschen Ermittler als Unterstützer der Hamburger Terrorzelle um Mohammed Atta an den Planungen für die Todesflüge in den USA beteiligt. Danach verschwand er spurlos. Gräßle-Münschers Verteidigerkollege Gerhard Strate sagte, das Gericht sei über die neue Situation „ziemlich irritiert“ gewesen, da die Beweismittel bereits während des Prozesses vor mehr als einem Jahr existiert hätten, dem Gericht damals aber nicht vorgelegt worden seien.

Die Bundesanwaltschaft sieht die Situation im Fall Motassadeq jedoch anders und hält weiter am Verfahren fest. Er gehe davon aus, dass die Neuauflage wie terminiert im Juni beginnen werde, sagte Bundesanwalt Walter Hemberger dem Rundfunksender NDR 90,3 am Freitag. (mit dpa, ddp)

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