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Ein Landwirt versprüht Pflanzenschutzmittel auf einem Feld.

© picture-alliance/ZB/Patrick Pleul

EU will weniger Pestizide: Bauern laufen Sturm gegen Brüsseler Entwurf – auch Özdemir sieht noch Änderungsbedarf

Die EU-Kommission will den Einsatz von Pestiziden bis 2030 um die Hälfte reduzieren. Im Herbst wollen die Landwirte erneut dagegen auf die Straße gehen.

Mitte August bekam Agrarminister Cem Özdemir (Grüne) schon einmal vorgeführt, was ihm an Protesten der Landwirte möglicherweise demnächst noch ins Haus steht. Mitten in der Erntezeit fuhren rund 500 Bauern vor dem Bonner Dienstsitz des Landwirtschaftsministeriums mit Dutzenden von Traktoren auf. Die Demonstration richtete sich in erster Linie gegen Özdemir und sein Haus. Der eigentliche Adressat sitzt aber in Brüssel. Denn die EU-Kommission plant, den Einsatz von chemischen Pestiziden bis 2030 um die Hälfte zu reduzieren – zum Unwillen vieler Landwirte.

Viele Mitarbeiter des Landwirtschaftsministeriums in Bonn bekamen seinerzeit vom Protest der Landwirte nichts hautnah mit, weil sie am Tag der Demonstration einfach im Homeoffice blieben. Dennoch wird die Auseinandersetzung um die umstrittenen Pflanzenschutzmittel nicht einfach von der Tagesordnung verschwinden. Für den Herbst plant der Deutsche Bauernverband gemeinsam mit den europäischen Partnerverbänden eine Kundgebung in Brüssel, um den Protest vieler Landwirte öffentlichkeitswirksam zu dokumentieren.

Nach den Worten von Verbandspräsident Joachim Rukwied wäre eine „Ernährungskrise in Europa“ die Folge, falls die Pläne der Kommission tatsächlich umgesetzt würden. Der Verband argumentiert, dass in Deutschland künftig auf 3,5 Millionen Hektar keine Pflanzenschutzmittel mehr eingesetzt werden dürften, falls sich die Brüsseler Behörde mit ihren Plänen durchsetzen sollte. Die Landwirte haben die Sorge, dass sie künftig angesichts der Brüsseler Vorgaben nicht mehr ertragreich wirtschaften können. Das Novum des Brüsseler Plans besteht darin, dass für jedes EU-Mitgliedsland verbindliche Reduktionsziele beim Einsatz der Pestizide festgelegt werden.

Schutz städtischer Grünanlagen ist unstrittig

Unstrittig ist, dass die Bevölkerung an besonders sensiblen Orten vor dem gesundheitsschädigenden Einfluss von Pestiziden künftig sicher sein muss – etwa in städtischen Grünanlagen, Schulen oder Sportanlagen. So sieht es der Verordnungsentwurf vor, den die EU-Kommission im Juni vorstellte. Der Unmut der Landwirte richtet sich indes darauf, dass auch in den Landschaftsschutzgebieten der Einsatz von chemischen Pestiziden künftig verboten werden soll. Rund 26 Prozent der Fläche in Deutschland sind als Landschaftsschutzgebiete ausgewiesen. Dort müssen sich die Landwirte bislang allerdings nur an geringe Auflagen halten.

Özdemir ist durchaus bereit, auf die Sorgen der Landwirte einzugehen – zumindest ein Stück weit. „Wir unterstützen den Ansatz der Kommission, das europäische Pflanzenschutzrecht zu harmonisieren und ein klares, ambitioniertes Reduktionsziel für den Einsatz von Pestiziden vorzugeben“, sagte Özdemir dem Tagesspiegel. Die Regeln müssten „gleichermaßen einer nachhaltigen, krisenresilienten Landwirtschaft und dem Schutz unserer Ökosysteme als Grundlage für die Ernährungssicherung dienen“, sagte der Agraminister weiter.

Allerdings gebe es beim Vorschlag der Kommission noch Änderungsbedarf – insbesondere bei den so genannten „sensiblen Gebieten“, in denen laut dem Verordnungsentwurf keinerlei Pflanzenschutzmittel zum Einsatz kommen sollen. Zu den nötigen Änderungen gehörten „beispielsweise europaweit gleiche Vorgaben zum Schutz ökologisch sensibler Gebiete, orientiert an europäischen Schutzkategorien“, so Özdemir. Mit anderen Worten: Der Agarminister fordert vergleichbare EU-Standards bei der Ausweisung schutzbedürftiger Gebiete, zumal andere EU-Staaten bei der Meldung entsprechender Flächen nach Brüssel zurückhaltender vorgehen als Deutschland.

Nachbesserungen bei den „sensiblen Gebieten“ hatte schon im August Agrarstaatssekretärin Silvia Bender (Grüne) gefordert, als sie sich vor dem Bonner Landwirtschaftsministerium unter Buhrufen dem Protest der Bauern stellte. Die von Brüssel vorgenommene Festlegung dieser Gebiete gehe „definitiv zu weit“, erklärte die Staatssekretärin. Nach ihrer Meinung sollten Landschaftsschutzgebiete nicht in die Liste der „sensiblen Gebiete“ aufgenommen werden.

EU-Abgeordneter Häusling kritisiert Entwurf

Der Europaabgeordnete Martin Häusling (Grüne) kritisiert derweil, dass der Brüsseler Gesetzesentwurf noch zu viele Leerstellen aufweise. So sei noch ungeklärt, ob die so genannten Fauna-Flora-Habitat-Gebiete, in denen der Lebensraum von Tieren und Pflanzen nach EU-Recht geschützt ist, auch unter die neue Verordnung fallen sollen.

Die EU-Abgeordnete Sarah Wiener fordert genauere Vorgaben für die Pestizid-Verringerung.

© dpa/Monika Skolimowska

Auch nach den Worten von Sarah Wiener (Grüne), die als Berichterstatterin im Europaparlament für das Thema verantwortlich ist, gibt es noch etliche „Baustellen“ im Entwurf der Kommission. So sei noch unklar, nach welcher Methode die Minderungsziele in den einzelnen EU-Ländern berechnet würden. „Die Kommission lässt hier nicht nur zu viel Spielraum, sondern legt auch keine Konsequenzen fest“, moniert sie. „Was passiert, wenn wir die Ziele verfehlen? Dazu bietet der vorgelegte Text keine klaren Antworten“, meint die deutsch-österreichische Politikerin.

Dass man sich im EU-Parlament derzeit den Kopf über die kommende Pestizidveordnung zerbricht, hängt mit den Abläufen im Brüsseler Gesetzgebungsverfahren zusammen: Nach der Vorstellung des Kommissionsentwurfs vom Juni sind jetzt das EU-Parlament und die Mitgliedstaaten am Zug. Experten rechnen damit, dass alle drei Brüsseler Institutionen – Rat, Parlament und Kommission – nicht vor dem ersten Quartal des kommenden Jahres in Verhandlungen über die endgültige Fassung des Gesetzestextes eintreten werden.

Schon jetzt zeichnet sich aber ab, dass sich die Bundesregierung auf der Ebene der Mitgliedstaaten in einer Minderheitenposition befindet, wenn sie den Brüsseler Vorstoß zur Verringerung der Pflanzenschutzmittel im Grundsatz befürwortet. Zwar zeigen sich auch Dänemark und die Niederlande offen für strengere Vorgaben. Aber ansonsten will die große Mehrheit der 27 EU-Staaten – nicht zuletzt das Nachbarland Frankreich – den Entwurf der Kommission erheblich abschwächen.

Das Europaparlament bereitet zurzeit eine Stellungnahme zum Kommissionsentwurf vor.

© AFP/FREDERICK FLORIN

Den EU-Abgeordneten Häusling wundert es derweil, dass das Thema bei den Mitgliedstaaten in die Hände der Agrarminister gelegt wurde. Eigentlich müsste auch der Rat der Umweltministerinnen und -minister mitentscheiden, findet er. Denn der Agrarrat fühle sich „eher der Agrarlobby verpflichtet“.

Aus dem Pflanzenbericht des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit geht hervor, dass der Absatz von Pestiziden in Deutschland im vergangenen Jahr gestiegen ist. Etliche Kritiker sehen den großflächigen Einsatz der Mittel denn auch als Ergebnis wirtschaftspolitischer Interessen. „Die gesamte EU-Landwirtschaft hängt am Tropf der Pestizid-Industrie – mit fatalen Folgen für Artenvielfalt, Klimaschutz und auch für unsere Ernährungssicherheit“, lautet etwa das Urteil der Verbraucherorganisation Foodwatch.

Inzwischen bereitet Özdemirs Agrarministerium ein Exportverbot für bestimmte gesundheitsschädliche Pflanzenschutzmittel vor, die in Deutschland produziert werden, aber in der EU nicht eingesetzt werden dürfen. Ein Referentenentwurf soll bis Ende des Jahres vorliegen. „Es geht nicht an, dass wir nach wie vor Pestizide produzieren und exportieren, die wir bei uns mit Blick auf die Gesundheit der Menschen zu Recht verboten haben“, begründet Özdemir den Vorstoß.

Möglicherweise geht der Einsatz von Pestiziden in Deutschland – abgesehen von den geplanten EU-Vorgaben – demnächst auch aus einem anderen Grund zurück: Die Preisexplosion beim Pflanzenschutz lässt führt auch dazu, dass viele Landwirte mit Glyphosat und Co. automatisch sparsamer umgehen. Allerdings sieht der Agrarökonom Matin Qaim vom Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF) der Universität Bonn dabei auch Grenzen. „Unterhalb einer Mindestdosis sind die Mittel natürlich dann auch nicht mehr wirksam“, sagt Qaim.

Mittel- und längerfristig tragen hohe Preise für Pflanzenschutzmittel nach seiner Meinung aber durchaus dazu bei, dass die Landwirte selbst und auch die Forschung stärker neue Idee zur Einsparung der Pestizide entwickeln, etwa vielfältigere Fruchtfolgen oder digitale Präzisionstechnologien beim Pflanzenschutz. „Das wäre für die Nachhaltigkeit durchaus ein guter Effekt“, so Qaim.

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