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© Laurence Chaperon

Bundestagsfraktion: Birgit Homburger - Die Tempospielerin der FDP

Birgit Homburger hat vor Jahren mal ein Frauen-Fußballteam gegründet. Jetzt führt sie die Bundestagsfraktion der FDP, die größte, die es je gab. Sie sagt: Ich kann führen. Andere sagen: Die kann grätschen

Die Zuhörer treten von einem Bein aufs andere und schielen aufs Buffet. Die Frau auf dem Podium merkt davon nichts und spricht atemberaubend schnell die längsten Sätze der Welt. Im gediegenen Ambiente eines Schweriner Weinlokals, Mitte Februar beim Neujahrsempfang der FDP Mecklenburg-Vorpommerns, referiert Birgit Homburger über dutzende Themen, von Steuersenkungen in einer rhetorischen Steilkurve über die Milchwirtschaft zum Eurofighter. Im Saal murren sie ungeduldig, da erklärt der Gast aus Berlin sein Politikkonzept: „Einfach mal das Hirn einschalten.“

Das ist ein Satz, der einem liberalen Politiker gefährlich werden kann; zumal, wenn die Partei sich gerade mit beinharten Forderungen unbeliebt macht und in den Umfragen vor der wichtigen Wahl in Nordrhein-Westfalen abstürzt. Manch Liberaler findet, dass die Führungskräfte der Partei selbst „das Hirn einschalten müssten“.

Nun ist als FDP-Führungskraft ganz gewiss Guido Westerwelle bekannt, auch der junge Gesundheitsminister Philipp Rösler, weil er immer so traurig guckt und oft im Fernsehen auftritt. Vielleicht kennen die Deutschen auch schon den neuen Generalsekretär Christian Lindner, der einmal sagte, dass die Jungen in der Partei „Westerwelles Prätorianer“ seien. Prätorianer waren Leibwächter des römischen Kaisers. Man weiß nicht, warum die FDP so gerne Vergleiche zum alten Rom zieht, man weiß auch nicht, ob Birgit Homburger zu den Prätorianern Westerwelles gehört. Man weiß eigentlich gar nichts über Birgit Homburger. Dabei sitzt die 44-Jährige seit 20 Jahren im Bundestag. Und seit mehr als hundert Tagen ist sie als erste Frau die Chefin der größten FDP-Fraktion, die es jemals gab.

Wo sie auftritt, müssen die Mikrofone heruntergestellt werden, denn sie misst nur 1,60 Meter. Wie in Schwerin wippt sie beim Reden in den Knien, wenn sie hochschnellt, sieht es so aus, als hüpfe sie vor Energie und Tatendrang. Nur das große farbige Tuch, das sie trägt, wird ihr gefährlich, weil sie dahinter zu verschwinden droht. Zu verschwinden wäre ihrer Mission nicht angemessen. Manche in der FDP finden, dass ein Fraktionschef mächtiger sein könnte als ein Parteichef, der auch Außenminister ist. Sie sagen, der Fraktionsvorsitzende müsste ein Gegengewicht zum Parteichef bilden, um die Macht zu teilen. Fragt man in der Partei, ob Birgit Homburger das kann, gibt es viele, die ihr das nicht zutrauen.

Bisher sagt Birgit Homburger Sätze mit simplen Botschaften: „Der Koalitionsvertrag muss umgesetzt werden“, „wir wollen mehr Freiheit für die Bürger“, „wir wollen das Zeitalter der regenerativen Energien erreichen“. Als Speerspitze der von Parteichef Guido Westerwelle verkündeten geistig-politischen Wende fällt sie jedenfalls nicht auf. Anfang Februar luden die Liberalen zu ihrer 100-Tage- an-der-Macht-Feier in die Parteizentrale nach Berlin-Mitte. Christian Lindner und Guido Westerwelle hielten geschliffene Politreden. Als Birgit Homburger sprach und sich in ihren Gedankengängen verirrte, spürte man im edlen Thomas-Dehler-Haus eine gewisse Beklommenheit. Manche lachten hinter ihrem Rücken. Solche Anfeindungen aus den eigenen Reihen gehören zur Folklore dieser Partei. Als Cornelia Pieper 2001 Generalsekretärin wurde und beim Abschlussball jenes Parteitags tanzte, lästerten wichtige Parteimänner ungeniert über die, die sie gerade gewählt hatten.

Birgit Homburger kennt das, und wer sie auf solche Parteitraditionen anspricht, bekommt einen feurigen Blick zur Antwort. Sie kommt aus Baden-Württemberg, dort hat sie von Selbstbewusstsein aufgepumpte Männer hinter sich gelassen, die glaubten, sie seien allmächtig, wie etwa der ehemalige FDP-Landeschef Walter Döring, der wegen umstrittener Spendenpraxis zurücktreten musste. Sie hat sich durchgesetzt in einem weitgehend national-liberalen Männermilieu. Man hat ihr übel nachgeredet und sie verleumdet, einfach weil sie da war. Will man also verstehen, aus welchem Holz Homburger ist, muss man sich daran erinnern, wie sie ihren Ruf als „kleine Revolutionärin“ der Südwest-FDP begründete.

Sie ist 24, diplomierte Verwaltungswissenschaftlerin, Chefin der Jungen Liberalen im Ländle und will promovieren. Ihr Freund aus der FDP und heutiger Mann fragt sie, ob sie nicht für den Wahlkreis Ulm auf dem Listenparteitag für die Bundestagswahl kandidieren wolle. Sie fragt ihren Vater, auch ein Liberaler, der ist bestürzt, weil sie sich unnötig in eine aussichtslose Situation begeben will. Er weiß, es wäre ein Affront. Sie erfährt, dass niemand sie zu wählen gedenkt. Das ärgert die junge Frau, und deshalb tritt sie mit Wut im Bauch an und dem Gefühl: Euch zeig ich’s schon! Ihr Gegner auf Listenplatz 2 ist ein Denkmal der baden-württembergischen FDP – Georg Gallus, langjähriger Staatssekretär im Bundeslandwirtschaftsministerium. Gallus gewinnt mit 194 zu 193 Stimmen, aber Homburger beeindruckt den Parteitag. „Die FDP muss sich überlegen, ob sie auf Dauer die älteste Bundestagsfraktion stellen will“, ruft sie frech und verspricht ein Programm der ökologischen Marktwirtschaft. Sie bekommt ihre Chance.

Mit 25 ist sie die jüngste FDP-Bundestagsabgeordnete in einem anderen Klub gediegener Herrn, die heißen Hans-Dietrich Genscher, Otto Graf Lambsdorff, Wolfgang Mischnick. Die Parteigranden ignorieren sie, aber sie beobachtet ihre Machtkämpfe genau. Guido Westerwelle ist zu diesem Zeitpunkt noch ohne Mandat. Als die FDP unter Klaus Kinkel einen Generalsekretär sucht, ist es Homburger, der dem Württemberger Kinkel die Skepsis am Bonner Westerwelle nimmt. Kinkel vertraut ihr, Homburger wiederum kennt Westerwelle aus der Zeit bei den Jungen Liberalen. Er war Bundesvorsitzender, sie wurde später seine Nachfolgerin. Westerwelle ist Gast bei ihrer Hochzeit, er übernachtet im Haus ihrer Eltern.

Einen Tag nach ihrer Rede in Schwerin sitzt Homburger in ihrem großen Bundestagsbüro im Jakob-Kaiser-Haus gleich gegenüber dem Reichstag. Sie hat den Raum von Westerwelle geerbt und auch die riesige Deutschlandfahne hat er ihr hinterlassen. Neu sind die Teddys, die die Bärensammlerin in die Regale gesetzt hat. Über ihr Verhältnis zu Westerwelle redet Homburger so ungern wie über ihr Privatleben. Wenn sie sich doch darauf einlässt, kommen immer der Vater, die Familie und der elterliche Schreinerbetrieb vor. Es sind Momente, in denen alles Harte aus ihr weicht und die aktuelle Politik so unendlich fern erscheint.

„Wenn nicht einer meiner Brüder den elterlichen Betrieb übernommen hätte, wäre ich nie in die Politik gegangen“, sagt sie mit ungewöhnlichem Pathos. Der Betrieb in Singen am Hohentwiel, wo sie im April 1965 geboren wurde, lief nicht immer rund, Entbehrungen waren für sie, die Älteste, und die beiden Brüder so selbstverständlich wie die Mitarbeit im Unternehmen. Trotzdem nervte sie ihre Eltern damit, dass sie als erstes Familienmitglied Abitur machen wollte. Als Zwölfjährige spielte sie im Karnevalsverein den „Pfiffikus“, eine Art Eulenspiegel in gelb-rotem Gewand. In Singen gründete sie eine Frauen-Fußballmannschaft, und natürlich wurden sie, weil Frauen-Fußball keinen Stellenwert hat, ausgelacht. Später war sie beim SV Hilzingen Libero, die Rausputzerin. Auch als Bundestagsabgeordnete wollte Homburger unbedingt in der Bundestagsmannschaft kicken. Sie darf aber nicht. Es heißt, es gebe nur eine Kabine.

Ihrer Heimatzeitung verriet sie einmal: „Immer wieder träume ich vom Aufstieg meiner Hilzinger Frauenmannschaft in die Bundesliga. Und dann ruft der Vorsitzende des Vereins bei mir an und fragt, ob ich nicht zurückkommen möchte.“

Alfred Ptak ist Vorsitzender des SV Hilzingen, und er erzählt begeistert von einer Frau mit „immer großer Klappe“, die aber „grundehrlich“ sei, eine „Teamspielerin“ und „verlässlich“. Das ist eine Beschreibung, die oft über sie zu hören ist. Ihr alter Betreuer beim SV erinnert sich allerdings auch an ein „Mädchen, das nah am Wasser gebaut war, wenn es verloren hat“.

Vom Verlieren will die verhinderte Fußballerin heute nichts mehr wissen. Sie ist sechsmal in den Bundestag eingezogen, sie ist schon ein Veteran und hat doch gerade erst „ihren Traumjob“ bekommen. Sie war Kapitän beim Fußball, jetzt ist sie Mannschaftsführerin von 93 Abgeordneten. Sie sitzt in ihrem Sessel, breitbeinig, die Hand zur Faust geballt und flüstert: „Ich kann führen.“ Dabei sieht sie ein bisschen so aus wie die führenden Kerle ihrer Partei, die ihr Selbstbewusstsein öffentlich so zur Schau stellen, dass man der FDP Kälte und Aggressivität vorwirft. Aber wie sie nach außen wirkt, ist ihr egal. Sie sagt: „Ich bin mit mir im Reinen. Meine Unabhängigkeit wird mir niemand nehmen, auch die Politik nicht.“

Die innere Unabhängigkeit nimmt man ihr ab. Doch unübersehbar ist auch ihr Schutzwall, der aus Misstrauen und schroffen Widerreden besteht. Der Schutzwall einer Verteidigerin, die zum Angriff übergeht. Ja, sie kann im Kasernenhofton brüllen. Aber das ist nicht ihr Führungsstil. Es gibt auch die in der Fraktion, die von einer Chefin berichten, die „sachlich moderiert, fragt und entscheidet“. Westerwelle habe die Fraktion mit Pathos und Interviews von außen geführt. Homburger mache Ansagen, sei immer im Stoff und lasse Debatten zu. Sie sei, sagt ein wichtiges Fraktionsmitglied, eine „Organisatorin der Macht“. Ist jemand illoyal, wird er mit Missachtung gestraft. Wer in Ruhe mit ihr reden will, der kann das noch gegen 23 Uhr in ihrem Büro tun, dort sitzt sie oft lange und arbeitet. Manche, die schwer auf Linie zu bringen sind, ereilen nächtliche Anrufe.

Homburger war erste gesamtdeutsche Jungliberalen-Vorsitzende, umweltpolitische und sicherheitspolitische Sprecherin der Fraktion, und sie steht seit 2004 dem einflussreichen Landesverband Baden-Württemberg vor, der bei der Bundestagswahl 18,8 Prozent errang. Homburger hat gelernt, wie man Macht in Besitz nimmt. Niemand in der FDP, sagt ein Liberaler von Rang, sollte zu früh behaupten, sie könne nicht die mächtigste Person in der Partei werden. Angela Merkel sei auch unterschätzt worden.

Beim Neujahrsempfang in Schwerin ruft Homburger den Mitgliedern mütterlich zu, sie sollen sich keine Sorgen machen, dass die Fraktion abheben könnte. Schließlich sei sie die Chefin. Ein Weggefährte drückt es anders aus: „Auf dem Fußballplatz hat sie gelernt zu grätschen.“

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