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Meinung: Willkommen im Club

Die EU-Erweiterung sei politisch nicht mehr zu stoppen - der Satz gehört zum außenpolitischen Credo der Bundesregierung. Auch beim deutsch-polnischen Forum am Freitag in Warschau hat Joschka Fischer alle Zweifler damit zu beruhigen versucht.

Die EU-Erweiterung sei politisch nicht mehr zu stoppen - der Satz gehört zum außenpolitischen Credo der Bundesregierung. Auch beim deutsch-polnischen Forum am Freitag in Warschau hat Joschka Fischer alle Zweifler damit zu beruhigen versucht. Doch selbst Fischer kann irren. Und diesmal kann er nicht mal was dafür.

Am Sonntag wurden die Vorschläge der EU-Kommission für die Eingliederung der Neumitglieder in die gemeinsame Agrarpolitik bekannt: Bis zum Jahr 2013 sollen Polen, Tschechen, Ungarn und Balten auf Gleichbehandlung bei den Einkommensbeihilfen warten. Und sich bei der Regionalförderung zunächst mit der Hälfte begnügen.

Diese Leitlinien für die Beitrittsverhandlungen sind ein politischer Sprengsatz. Polen, das mit Abstand größte Land, will seine Bevölkerung 2003 über den Beitritt abstimmen lassen. 38 Prozent der Polen leben im ländlichen Raum. Wenn sie das Gefühl haben, auch nach dem Beitritt noch über Jahre als Europäer zweiter Klasse behandelt zu werden, dann wird es sehr, sehr schwer für die Regierung, das Europa-Referendum zu gewinnen.

Was ist bloß in die EU-Kommission gefahren? Sie kämpfte doch stets für eine rasche Erweiterung zu fairen Bedingungen.

Ach, die Lage ist noch viel verkorkster. Die Kommission versucht zu retten, was zu retten ist. Sie steht zu Unrecht als Buhmann da. Ihr Vorschlag, der den Polen wie Hohn vorkommt, ist noch die gnädigste Variante - eine, die die Beitrittsländer gegenüber dem bisher Beschlossenen besser stellt. Die nationalen Regierungen haben bisher Direktbeihilfen für die Neumitglieder bis 2006 ausgeschlossen. Die Kommission will ihnen nach dem für 2004 geplanten Beitritt immerhin 25 Prozent zugestehen und den Satz bis 2006 auf 35 Prozent steigern.

Aus einem kranken Organismus kann eben keine gesunde Entwicklung kommen. Die gemeinsame Agrarpolitik war die Kernzelle der Europäischen Gemeinschaft, mit ihr begann die Integration. Doch sie ist zu einem Geschwür geworden, das den beträchtlich gewachsenen Organismus der EU lähmt und nun auch noch die Erweiterung zu blockieren droht.

Eine Agrarpolitik, die die Alt- und Neumitglieder gleich stellt und bezahlbar bleibt, wäre zwar möglich gewesen. Aber nationaler Egoismus verhinderte eine rechtzeitige Reform. Länder wie Frankreich und Spanien verteidigen die Zahlungen an ihre Bauern mit Zähnen und Klauen. Beim Berliner Gipfel 1999 war die Agenda 2000, das Finanzpaket für die Erweiterung, nur gegen das Zugeständnis durchzusetzen, das System der Agrarbeihilfen noch über Jahre unangetastet zu lassen.

Rein theoretisch ginge es auch umgekehrt - mit Schocktherapie: Übertrüge man die heutigen Mechanismen auf zehn Beitrittsländer, würden der Agrarmarkt und das Budget binnen kurzem kollabieren und eine Korrektur erzwingen. Doch so, wie die Machtverhältnisse bei der Erweiterung nun einmal liegen, haben es Spanier, Franzosen und Briten in der Hand, ihren Bauern eine komfortable Therapie zu genehmigen - und die Osteuropäer vor die Wahl zu stellen, die Erweiterung scheitern zu lassen: an der Enttäuschung der Bürger über die Beitrittsbedingungen.

So wird den Regierungen Polens und anderer Kandidaten nichts anderes übrig bleiben, als die Rhetorik von Europäern erster und zweiter Klasse zu vergessen. Sie müssen das komplizierte System von Garantiepreisen, Milchquoten, Stützkäufen, direkten und indirekten Zahlungen verstehen lernen, um ihren Bürgern zu erklären, an welchen Segnungen sie von Anfang an teilhaben und von welchen sie ausgeschlossen bleiben, weil die nach der internen Logik nie für sie vorgesehen war. - Willkommen in EU-Europa!

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