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Meinung: Kann mich ein gesundes Immunsystem verjüngen?

„Alte Zellen, junges Leben“ vom 23. Dezember Sie hatten eine Seite „Gute Nachrichten aus der Wissenschaft“.

„Alte Zellen, junges Leben“ vom 23. Dezember

Sie hatten eine Seite „Gute Nachrichten aus der Wissenschaft“. Da ging es auch um Mäuse, deren alte Zellen, die nicht mehr vermehrungsfähig waren, herausoperiert wurden, und das ergab dann eine Verjüngungskur für die Tierchen. Die Muskeln wurden wieder glatt und voll.

Wie machten die Wissenschaftler das „Herausoperieren“? Ich denke, die Zellen sind über den gesamten Körper verteilt. Man müsste sozusagen eine Zelle totschießen und ihre Nachbarin leben lassen.

In der Natur gibt es im Körper Fresszellen, die die alten Zellen wegräumen – die Müllabfuhr des Körpers sozusagen. Die Fresszellen sind umso aktiver, je besser das Immunsystem ist. Wenn man älter wird, schwächelt das Immunsystem, d.h., die Müllabfuhr kommt nur noch alle 14 Tage und der Müll sammelt sich an, bis man daran erstickt. Dann müsste es eigentlich darum gehen, das Immunsystem zu stärken. Wie macht man das? Vitamin C zu sich nehmen, Heidelbeeren essen, lange Spaziergänge? Was sagen die Autoren der Studie dazu, bzw., was sagt die allgemeine medizinische Wissenschaft zum Thema Stärkung des Immunsystems und Müllabfuhrfunktion für alte, nicht mehr teilungsfähige Zellen?

Beate Kohlschütter, Berlin

Liebe Frau Kohlschütter,

eine Warnung vorweg: Es hat immer wieder wissenschaftliche Hypothesen gegeben, wie der Mensch das Altern verzögern, aufheben, umdrehen könnte. Ein kurzer Blick in den Spiegel reicht allerdings, um festzustellen, dass dieses Versprechen (oder ist es vielleicht doch eine Drohung?) bisher nicht eingelöst wurde.

Nun haben Altersforscher eine neue Fährte: Sie glauben, dass „alte“ Zellen wesentlich zum Altern beitragen. Diese Zellen müssen gar nicht wirklich alt sein, aber sie haben aufgehört sich zu teilen, zum Beispiel, weil sie so beschädigt sind, dass sie zu Tumorzellen werden könnten. Forscher nennen das „Seneszenz“.

Sie können sich den Körper wie einen Unternehmer vorstellen, der Angestellte, die ihre Aufgabe nicht mehr erfüllen, nicht gleich entlässt, sondern auf einen ruhigen Posten versetzt, auf dem sie nicht viel falsch machen können. Offenbar ist es aber so, dass diese „ruhigen“ Angestellten auch ihr Umfeld beeinflussen – vielleicht surfen sie den ganzen Tag auf Facebook und lenken ihre Kollegen damit ab. Irgendwann sammeln sich dann so viele dieser Zellen/Angestellten an, dass der ganze Körper/Betrieb in Mitleidenschaft gezogen wird.

Daher kam die Idee der Forscher, diese Zellen einmal gezielt zu entfernen. Sie haben natürlich recht, dass das nach einem unmöglichen Unterfangen klingt: Die Wissenschaftler müssen gezielt Milliarden „alte“ Zellen töten, ohne dabei ihre Nachbarn in Mitleidenschaft zu ziehen. Die Biologen um Jan van Deursen haben für dieses Problem allerdings eine elegante Lösung mit einem wenig eleganten Namen gefunden: p16INK4a. Dieses Eiweiß ist gewissermaßen ein Schalter, der die Zellteilung reguliert. Fängt die Zelle an, das Eiweiß zu produzieren, hört sie auf, sich zu teilen. Die Forscher koppelten diesen Schalter an einen Selbstmordmechanismus in den Zellen. Gaben sie den Mäusen in ihrem Experiment eine bestimmte Chemikalie, so begingen all die Zellen im Körper, die p16INK4a eingeschaltet hatten, Selbstmord. So konnten die Wissenschaftler praktisch alle Alterszellen in den Mäusen mit einem Schlag töten. Die Mäuse waren danach stärker und ausdauernder, litten später unter Katarakten und Muskelschwäche als andere Mäuse. Sie lebten nicht länger, aber gesünder.

Altern ist ein sehr komplizierter Prozess, der kaum verstanden wird. Auch Forscher wie van Deursen behaupten nicht, dass alternde „seneszente“ Zellen das Altern insgesamt erklären. Sie glauben nur, dass es ein wichtiger Mechanismus von mehreren ist, die alle zusammen die typischen Alterserscheinungen verursachen.

Zum Immunsystem: In jungen Tieren sind kaum „Alters“-Zellen zu finden, dabei sollten sie da auch schon vorkommen. Der Grund ist vermutlich, dass das Immunsystem diese Zellen sehr effizient abräumt. Wenn die Tiere älter werden, schwächelt das Immunsystem und die Zellen sammeln sich an. Die Wissenschaftler glauben deshalb tatsächlich, dass es für ältere Menschen eine Art Jungbrunnen sein könnte, wenn es gelingt, ihr Immunsystem zu stärken. Dann, so die Hoffnung, könnten die p16INK4a-Zellen wieder entfernt werden und das Risiko verschiedener Alterskrankheiten würde sinken.

Und nun zum Haken: Bisher gibt es keine guten Beweise, dass Vitamin C oder Zink oder Beeren das Immunsystem eines älteren Menschen wieder richtig auf Trab bringen. Die Forscher denken eher an eine Impfung, die das Immunsystem gezielt gegen die „seneszenten“ Zellen mobilisiert. Es ist aber noch viel Forschung nötig, ehe klar ist, ob das beim Menschen überhaupt funktionieren würde. Denn auch für das Altern gilt: In Mäusen ist es schon mehrfach erfolgreich behandelt worden. Die Übertragung auf den Menschen hat dagegen bisher nicht funktioniert.

— Kai Kupferschmidt, Wissenschaftsredakteur beim Tagesspiegel

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