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Ein Teil der Linken – aber ohne Erfolg.

© dpa/Kay Nietfeld

Die Krise der Linken: Fortschritt ist konkret, Genossen

Auf der politischen Linken gibt es ein Wählerpotenzial – wenn Progressivität praktisches Handeln bedeutet. Je konkreter, umso besser. Sonst gewinnt die Rechte.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Migration! Sicherheit! Umwelt! Krieg! Klima! Die Themen werden groß, immer größer, und das beinahe jeden Tag. Umso größer wird damit die Herausforderung an die Politik. Und wie schlägt die sich? Läuft sie womöglich Gefahr, sich streckenweise selber zu schlagen?

„Die Politik“, das sind in erster Linie die Parteien als Orte der Willensbildung und Willensbekundung. Im Idealfall bieten sie den Wähler:innen eine Auswahl.

Erkennbar müssen sie sein, die Unterschiede. In der Gegenwart scheinen sie öfter zu verschwimmen. Ernst Jandl, der österreichische Vertreter experimenteller Lyrik, kommentierte solche Lagen mit Sprachwitz: „manche meinen lechts und rinks kann man nicht velwechsern werch ein illtum.“

Ein lustiges Sprachspiel ist es allerdings nicht, was gegenwärtig passiert. Fallen die Unterschiede fort, wirken Parteien beliebig, und dann kann es geschehen, dass die Wähler die eine oder andere Partei fallen lassen.

So kam die Linke in Gefahr, nicht allein in Gestalt der Linkspartei, sondern als politisches Phänomen. Und das, obwohl klassisch linke Fragen im Raum stehen – die demokratischen Voraussetzungen sozialer Gerechtigkeit, die Verteilung von Macht und Vermögen.

Umfragen zeigen: Es gibt ein Potenzial

Wer das für überholt hält, schaue auf die Umfragen. Sie zeigen, dass auf der Linken grundsätzlich Wählerpotenzial zu vermuten ist, großes sogar. Sahra Wagenknecht ist das aktuell mahnende Beispiel.

Nur gibt es da einen Widerspruch. Einerseits existiert die Sehnsucht danach, dass linke Haltung per se mehr Gleichheit und mehr soziale Teilhabe verspricht. Auf der anderen Seite steht der dringliche Wunsch nach praktischen, spürbaren Lösungen, hier und sofort.

In diesem Widerspruch verschwinden Wählerstimmen für die Linke. Zulauf gewinnen die sogenannten Ordnungsparteien, wie die rechts der Mitte genannt werden, die sich als Wahrer der politisch-sozialen Verhältnisse zeigen. Denn die Antworten auf die großen Herausforderungen sollen schließlich in ihrer Mehrzahl eher „ordnend“ sein.

Im Grundsatz geht es schon noch um den Verteilungs- und den Wertekonflikt. „Im ersten Falle stehen sich die Grundpositionen der Marktfreiheit und der sozialen Gerechtigkeit als rechter und linker Pol gegenüber, im zweiten Falle konservativ-autoritäre und libertäre Werthaltungen“, meint der Politologe Frank Decker.

Doch führte das Austragen von Grundkonflikten gerade nicht weiter. Positionen dazu haben zwar die politische Linke zusammengehalten und vergleichsweise stark gemacht – aber einst. Es sind andere Zeiten. Das tritt alles in den Hintergrund, wenn real existierende Menschen den Eindruck gewinnen, dass nicht für sie selber Politik gemacht wird, sondern um der Theorie willen.

Darin liegt ein Teil der Krise der aller Linken: Wo für sie die Unterscheidung von anderen, von Rechten, unverzichtbar ist, werden in den Lösungsangeboten für die großen Fragen von Migration bis Klima immer mehr Kompromisse deutlich. Solche mit konservativ-autoritären Modellen. So nehmen die „Mischformungen und Verwässerungen“ zu, wie der Historiker Volker Weiß sie nennt. Davon profitiert die Rechte.

Dennoch lassen sich die progressiven Gedanken zu Emanzipation, Aufklärung und Fortschritt ganz sachlich für die gegenwärtige Zeit definieren und dann erfolgversprechend kommunizieren. Woran übrigens, das am Rande, die Linkspartei nicht zuletzt scheitert. Die Liquidation ihrer Bundestagsfraktion ist der erste Schritt.

Es geht um lebensnahe Politik, nicht um einen Pakt mit dem Populismus. Links zu sein bedeutet danach einerseits, alle Inhalte darauf zu prüfen, ob sie jedem Menschen die gleichen Rechte und Möglichkeiten zusichern – zugleich aber Progressivität daran zu bemessen, was sich verwirklichen lässt. Und wie schnell. Gerechtigkeit und Solidarität, immer konkret, immer praktisch. Jetzt ganz besonders.

Wenn sich links so aus den Lösungen herauslesen lässt, ist es nicht mit rechts zu verwechseln. Und wird nicht in allen Wahlen geschlagen, Mal um Mal.

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