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Meinung: Die K-Frage: Von Osten nach vorn: Moderne Demokratie braucht sanfte Führung - Angela Merkel

Nehmen wir an, Edmund Stoiber würde Kanzlerkandidat der Union. Dann ähnelte die Situation der des Wahljahres 1980 frappierend.

Nehmen wir an, Edmund Stoiber würde Kanzlerkandidat der Union. Dann ähnelte die Situation der des Wahljahres 1980 frappierend. Ein sozialdemokratischer Kanzler von hohem persönlichem Ansehen, damals Helmut Schmidt, heute Gerhard Schröder, stünde einem christlich-sozialen Herausforderer gegenüber. Damit endet der Vergleich auch schon. Die deutsche Wirklichkeit des Jahres 2002 ist eine andere als die von 1980. Und Stoiber ist ein ganz anderer Typus als Franz Josef Strauß. Wer aus der Schlappe des CSU-Kandidaten von einst den Schluss ziehen wollte, ein CSU-Kandidat sei auch heute chancenlos gegen den SPD-Kanzler, irrt. Die Vorzüge von Angela Merkel liegen nicht darin, dass sie nicht aus Bayern stammt. Das wäre dann doch eine eher topografisch-tollpatschige Argumentation.

Für Angela Merkel spricht, dass sie einen kooperativen und dialogfreudigen Umgangsstil verkörpert und es dennoch an Entschlossenheit nicht fehlen lässt. Was man ihr heute gerne vorwirft, dass sie keine Konzepte und zu wenig Antworten auf drängende Zukunftsfragen habe, ist tatsächlich ihre Stärke. In einer Welt, die so wenig Gewissheiten kennt, braucht man Grundvertrauen in die eigene Kraft, aber auch die Offenheit zum Staunen und die Bereitschaft, klare Konzepte und Visionen sich erst entwickeln zu lassen. Edmund Stoiber, der 14 Jahre Ältere, ist der Typ des gereiften Patriarchen. Er ist der Hirte, der seiner Herde den Weg weist. Schröder inszeniert sich ganz ähnlich. Aber dahinter steht ein überkommenes Leitbild. Die Deutschen sind keine Schafe, denen man immer sagen muss, wo es lang geht. Sie sind, als Nation, ziemlich erwachsen geworden in den letzten zehn Jahren. Sie mögen zwar immer noch Politiker mit einer klaren Sprache, aber sie möchten auch ernst genommen, eingebunden werden. Nur wer zuhört, kann auch führen. Wer alles schon weiß, lernt nicht leicht dazu. Sich das selbst einzugestehen, ist nicht leicht. Man muss dazu stehen, dass das eigene Bild der Welt, bei aller Prinzipientreue, einem steten Wandel unterworfen ist. Die Art, in der Angela Merkel sich und ihre Partei mit einem traurigen Ernst von Helmut Kohl abnabelte, bewies diesen inneren Reifeprozess. Die konsequente Offenheit, in der sie die Spendenaffäre zum Thema machte und die CDU-Mitglieder auf Regionalkonferenzen wieder zu neuem Selbstvertrauen ermunterte, zeigte ihre Kraft der Motivation.

Die Festigkeit der Angela Merkel ist nicht so demonstrativ wie die von Edmund Stoiber. Deshalb wird sie gerne unterschätzt. Aber weil sie sich selbst lange zurücknehmen kann, wirkt sie auch nicht so polarisierend wie ihr bayerischer Mitbewerber, der sich damit manchmal, völlig ungewollt, selbst im Wege steht. Eine Gesellschaft voller Ungleichheiten führt man weniger mit Stolz als mit Bescheidenheit zusammen. Hier ist Merkel nicht nur stärker als Stoiber - hier ist sie auch überzeugender als Schröder.

Gerd Appenzeller

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