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Kultur: Tanz am Abgrund der Zeit

Der Schlächter ist müde, mit seinem befleckten Kittel steht er im Halbdunkel inmitten dampfender Schweinehälften und blickt selbstvergessen ins Leere, ungerührt von der blutigen Fleischfabrikation ringsum.Der Ostberliner Fotograf Uwe Steinberg hatte einen Blick für Poesie - auch da, wo man sie am wenigsten erwartet.

Der Schlächter ist müde, mit seinem befleckten Kittel steht er im Halbdunkel inmitten dampfender Schweinehälften und blickt selbstvergessen ins Leere, ungerührt von der blutigen Fleischfabrikation ringsum.Der Ostberliner Fotograf Uwe Steinberg hatte einen Blick für Poesie - auch da, wo man sie am wenigsten erwartet.Menschen, die sich unbeobachtet wähnen in Momenten des Innehaltens, sind ein immer wiederkehrendes Motiv.Unter dem Titel "Angehaltene Zeit" zeigt nun die Galerie argus Fotokunst fünfzig von Steinbergs Fotografien aus der Zeit zwischen 1962 und 1982 (Preise von 350 bis 900 Mark).

Ein Jahr später, 1983, starb Steinberg 41-jährig an den Folgen eines Autounfalls.In den zwanzig Jahren seines Schaffens arbeitete er neben seiner freien fotografischen Tätigkeit für Zeitschriften, vor allem für die Neue Berliner Illustrierte (NBI).Steinberg war fasziniert von von bestimmten Orten der Stadt.Die Straßen links und rechts der Schönhauser Allee etwa suchte er über zwei Jahrzehnte hinweg immer wieder auf.Hier und in der alten Markthalle am Alexanderplatz fotografiert er Händler und Arbeiter, Kinder und Kleinbürger und fängt dabei eine noch der ersten Jahrhunderthälfte verhaftete, proletarische Welt ein, die anachronistisch in die Gegenwart der sozialistischen Nachkriegsgesellschaft ragte.Viel Berliner "Milieu" also, aber nicht nostalgisch-sozialromantisch überhöht.Bisweilen setzt Steinberg Protagonisten der "alten" und "neuen" Zeit bewußt in Kontrast, etwa wenn ein junger Mann, modern im Stil der Sechziger gekleidet, einer bäuerlich wirkenden Frau einen Bissen in den Mund schiebt.

Daß er seine spontanen Passanten-Portraits mit atmosphärischen Stadt-Kulissen verschmelzt, macht den besonderen Reiz seiner Bilder aus.Leise kommen sie daher, sind sehr persönlich und fangen den Zauber eines ganz speziellen Augenblicks ein.Die Kinder, die der Künstler im Prenzlauer Berg fotografiert, haben nichts gemein mit den zurechtgeputzten Jungpionieren der offiziellen Propaganda.Sie spielen allein, wie das kleine Mädchen, daß seinen hölzernen Kreisel über den blanken Asphalt einer stillen Straße treibt.In sich vertieft tanzt es, kein Auto weit und breit, das sein Spiel stören könnte.

argus Fotokunst, Marienstraße 9, bis 27.Juni; Mittwoch bis Sonntag 14 - 18 Uhr.

FRANK PETER JÄGER

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