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Kreuzberger Tagebuch. Ayhan Sönmez und Volkan T.

© Ute Langkafel/Maifoto

Theater: Superhelden greifen an

Du hast keine Ahnung von Theater, aber du hast Talent: In der Akademie der Autodidakten im Ballhaus Naunynstraße trifft das Elitäre das Offene.

„Es regnete. Ich hatte Angst. Ich dachte, der Regen löst mich auf, wie Zucker.“ Der Schauspieler Ayhan Sönmez spricht die Sätze behutsam, balancierend zwischen Melancholie und Ironie. Es sind eigene Notizen und Tagebuchaufzeichnungen, die er da, dramatisch verdichtet, auf die Bühne bringt. „Tag für Tag“ heißt das Stück, es ist eine Reise in die Erinnerung, ein Mosaik aus Sehnsuchtsbildern und Selbstbezichtigungen. Die dunkle Seite des Gemüts verkörpert der Musiker Volkan T., breites Kreuz, tätowierte Arme, der gegen die fragilen Skizzen verzerrte Gitarrenriffs feuert.

Ein Abend aus Punk und Poesie, den Ayhan Sönmez sich selbst erarbeitet hat. Wie überhaupt seinen Weg zum Theater. Schauspieler und Regisseur ist er aus eigener Kraft geworden, sein Stück ist eine Produktion der Akademie der Autodidakten, die sich im Februar am Ballhaus Naunynstraße gleich mit einer Reihe von Arbeiten präsentiert.

Shermin Langhoff mag das Label, weil es so schön widersprüchlich schillert: „Akademie der Autodidakten“. Das Elitäre trifft das Offene. Die Idee dahinter hat sich längst bewährt. Zuerst an Matthias Lilienthals Hebbel am Ufer, wo für verschiedene Formate Regisseure aus der migrantischen Community gewonnen wurden, die Talent hatten und keinerlei Erfahrung mit Theater. Und natürlich geht es auch immer darum, Künstlern einer zweiten, dritten Generation Zugänge zu verschaffen, die ihnen auf dem akademischen Weg bis heute weitgehend versperrt sind. Selbstbildung als Gegenschule.

Langhoff hat die Akademie der Autodidakten fortgeführt, als sie vor zwei Jahren das Ballhaus Naunynstraße übernahm. Was auch, aber nicht nur bedeutet, dass genrefremde Newcomer fürs Theater entdeckt werden. Vor allem steht die Akademie, was bereits zu HAU-Zeiten Teil ihres Konzepts war, für eine kiezverwurzelte Arbeit mit jungen Menschen.

Die treffen in Workshops und anderen Projekten auf Paten, ältere Autodidakten wie Ayhan Sönmez, die als Vorbild taugen und den Jugendlichen, wie Langhoff sagt, „das Handwerkszeug geben, die eigene Geschichte zu formulieren, in welchem Medium auch immer.“ Der Ansatz ist ein künstlerischer, kein didaktischer. Vermutlich ist der Zuspruch deswegen so hoch.

„Kulturelle Bildung ist ja gerade verschärft ein Thema“, sagt Veronika Gerhard, die gemeinsam mit Volkan T. die Akademie der Autodidakten betreut. Sie ist Filmemacherin, er hat unter anderem als Hip-Hop-Produzent gearbeitet, eine pädagogische Ausbildung haben beide nicht. Aber die brauchen sie auch nicht, um zu verstehen, worauf es ankommt, nämlich: „Dass die Kids genauso sind wie Erwachsene. Nur sensibler.“ Die meisten finden aus der Nachbarschaft her, zu gut achtzig Prozent haben sie einen Migrationshintergrund. Am Anfang war schwerpunktmäßig die türkischstämmige Community vertreten, dann kam die arabischstämmige dazu, auch Roma, Tschetschenen. Es sind Jugendliche aus soliden Verhältnissen und aus problematischen, grundverschieden und vereint doch in der Erfahrung, als anders angesehen zu werden.

In der Akademie der Autodidakten wird ihnen wenig vorgegeben, das Interesse muss aus der Gruppe kommen. Ein gutes Beispiel ist die Kiez-Monatsschau. Da ziehen sie mit der Kamera los und drehen Nachrichten aus ihrem Viertel. Meist, erzählt Gerhard, griffen sie dabei jene Themen auf, „die im Moment so sensationalistisch in den Medien diskutiert werden.“ Hier entstehen Reportagen aus der Sicht derjenigen, über deren Köpfe sonst hinweggeredet wird.

„Es geht um Migration, Identität und Kapitalismus. Es geht um das Mangelgefühl, das in den Menschen erzeugt wird und gegen das man anzukämpfen versucht.“ So eloquent fasst Gökhan Caliskan das Stück „Tod eines Superhelden“ zusammen, das gerade im Schauspielworkshop von Cem Sultan Ungan geprobt wird. Auch Ungan ist Autodidakt, er mag das Wort, weil darin Autonomie mitschwingt. Über Monate hinweg hatte sein Workshop eine hohe Fluktuation, am Ende blieben acht Ambitionierte übrig. Für sie entwickelten Marianna Salzmann und Deniz Utlu die Fabel einer Gruppe von Superhelden, die sich an einen profitgierigen Manager verkaufen. Einer wird darüber lebensmüde, aber umbringen kann er sich nicht, verfluchte Kräfte.

Ümit Eser spielt ihn, eigentlich wollte er gleich nach dem Abitur Schauspiel in Istanbul studieren, aber dann wurde er zum Zivildienst eingezogen. Es ist ein deutsch-türkisch-iranisch-tschetschenisches Ensemble. Eine Sima Jamshidi, die in Potsdam Wirtschaftsrecht und BWL mit Schwerpunkt auf Innovationsmanagement studiert, spielt neben Hasan Hüseyin, der sich „bei den Getto-Kids in Neukölln engagiert“, Musik macht, ein Projekt namens „Bier trifft Raki“ betreibt und einem Sätze hinstanzt wie „Ich bin mit Herz und Seele dabei, ich will das rocken“. Sie alle betonen, Herkunft hätte keine Rolle gespielt bei den Proben. Theater, glaubt Caliskan, mit 31 Jahren der Älteste der Gruppe, sei doch schon vom Ansatz her sehr international.

Der Regisseur Neco Çelik vermeidet den Namen Sarrazin, und die Debatten der zurückliegenden Monate nennt er nur „diese Soße, die uns zu den Ohren rausquillt.“ Er sagt, die Auseinandersetzung damit sei eine Qual, „weil wir uns permanent erklären müssen, und aus diesem Erklären haben wir auch noch eine Kunst gemacht.“ Von den jungen Menschen, mit denen er das Projekt „Fake Fiction Real“ anging, wollte er wissen, was sie darüber dachten – und stellte fest: nichts.

Kann nicht sein, sagte sich Çelik, wenigstens unbewusst muss etwas hängen geblieben sein. Also verfiel er auf die Idee, eine filmische Reise in tiefere Gefilde zu unternehmen, einem Drogentrip ähnlich. Ausgangspunkt der Geschichte: Seine sechs Schauspieler treffen sich zum Wasserpfeife-Rauchen, driften ab und lassen das Verschüttete die Oberhand gewinnen.

Ugur Polat, einer der Darsteller, gesellt sich zu dem Gespräch mit Çelik dazu. Polat saß schon als Journalist für die Zeitung „Hürriyet“ im Bundespressehaus, mittlerweile studiert er Politikwissenschaft auf Diplom am Otto-Suhr-Institut. Er ist Ersatzkreisdelegierter im Rathaus Kreuzberg, oft geht er vor Sitzungen putzen, in einer Kinderarztpraxis. Er hat einen deutschen Pass, ausschließlich, aber seit 20 Jahren kann kaum jemand hier seinen Namen richtig aussprechen.

„Tod eines Superhelden“ am heutigen Sonntag und am 14. 2. , 19 Uhr. Open House, Sonntag, , 14 Uhr. Kiez-Monatsschau: „Amaro Drom“ (Premiere) am 17. 2.

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