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Jugendliche im nordirischen Londonderry werfen Benzinbomben auf einen Land Rover der Polizei, während republikanische Demonstranten, gegen das Karfreitagsabkommen von 1998, eine Parade abhalten.

© dpa/Liam Mcburney

Spieltheorie : Christopher Blattman untersucht die Entstehung von Kriegen

Der Politikwissenschaftler geht der Dynamik von Gewaltprozessen auf den Grund - und sucht nach Auswegen

Es liegt nicht eben nahe, ein Buch über Kriege mit einer hoffnungsvollen Botschaft zu beginnen. Der kanadisch-amerikanische Politikwissenschaftler Christopher Blattman tut es gleichwohl. Kriege sind ihm zufolge nicht die Regel, sie sind im Gegenteil die krasse Ausnahme. In den meisten Fällen einigen sich Feinde, ohne zu den Waffen zu greifen. Der Grund dafür liege schlicht darin, dass offen geführte Auseinandersetzungen fast immer zu riskant seien.

Blattman nähert sich seinem Gegenstand in „Warum wir Kriege führen“ mittels spieltheoretischer Analysen, wobei er nicht nur Konflikte zwischen Staaten oder sozialen Gruppen, sondern auch solche zwischen Hooligans oder Kriminellen einbezieht. So führt er aus, warum es für zwei Drogengangs naheliegender ist, ihre Streitigkeiten am Verhandlungstisch zu lösen, statt aufeinander loszugehen. Für den Aggressor bliebe selbst im Falle eines umfassenden Sieges wegen der zu erwartenden Schäden von der Beute zu wenig übrig, um die Kosten im eigenen Lager bedenkenlos in Kauf zu nehmen. Und die defensive Partei dürfte in der Regel zu Zugeständnissen bereit sein, bevor sie riskiert, alles zu verlieren. Diese Skepsis formt einen gemeinsamen Verhandlungsspielraum, der zumeist genutzt werde.

Gewisse Faktoren lassen diesen jedoch schrumpfen, wodurch sich die Wahrscheinlichkeit eines Kriegs erhöht. Einer davon ist eine durch autokratische Strukturen beförderte Kriegsneigung. Wenn Entscheidungsträger nicht kontrolliert werden, ignorieren sie einen Teil der Kosten ihrer Handlungen, weil dieser nur die Gesellschaft und nicht sie selbst betrifft. Religiöser Extremismus, Ideologien und Rachegelüste gehören außerdem zu den Kriegstreibern. Sie hindern Regierungen an einer sachlichen Kalkulation ihrer Lage.

Auch fehlende oder widersprüchliche Einschätzungen der eigenen oder fremden Stärke lösen Kriege aus. Doch selbst wenn der Wille zum Frieden vorhanden ist, bricht sich die Gewalt mitunter Bahn. So können zwei Konfliktparteien zwar an einer Stabilisierung ihrer Beziehungen interessiert sein, doch zugleich bezweifeln, dass die Gegenseite die getroffenen Vereinbarungen auch einhält. Derartige Szenarien entstehen vor allem, wenn es keine übergeordnete Instanz gibt, die zwischen den Kontrahenten vermittelt.

Blattman veranschaulicht Dynamiken wie diese mit Beispielen aus Krisenregionen wie Liberia oder Uganda, in denen er als Forscher und Entwicklungshelfer aktiv war. Die Ukraine spielt dagegen keine Rolle (die Abgabe des im letzten Jahr erschienen Original-Manuskripts erfolgte vor dem Einmarsch der russischen Armee). Das ist einerseits unbefriedigend, andererseits sollte man das Buch hinsichtlich seiner Aussagekraft über tatsächliche Kriege auch nicht zu hoch bewerten, ist es doch immer dann am schwächsten, wenn der Autor seine Forschungserkenntnisse aus Spieltheorie und Gewaltforschung als Erklärungsmuster für historische Ereignisse heranführt.

So erzählt Blattman auf einer einzigen Seite die Geschichte des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust „als Produkt einer klassischen Mischung aus Kriegsneigung und immateriellen autokratischen Motiven“. Im Stile eines Drehbuch-Exposés stellt er die Akteure des Dramas vor: „ein Tyrann, Adolf Hitler, und ein Regime, dem es um eine Expansion innerhalb Europas, Germanisierung und Arisierung ging“. Und die Deutschen? Das Volk?

Ruandas Tragödie

Das habe die Pläne der Nazis nur mäßig unterstützt, bis die Rundfunkpropaganda 1933 schließlich ihre Wirkung gezeigt habe. Nicht nur eine vergleichbare oder ähnliche, sondern, wie er schreibt, sogar „die gleiche tragische Geschichte“ habe sich 1994 in Ruanda abgespielt, als ein populärer Radiosender die Hutus aufhetzte. Blattman schließt: „Führer mit Kriegsneigung können unsere Ängste und unseren Zorn für ihre Ziele missbrauchen.“

Natürlich will er hier nicht den Völkermord an den Tutsi mit dem Holocaust gleichsetzen und er glaubt auch nicht ernsthaft, dass die Geschichte des Deutschen Reiches tatsächlich so simpel verlaufen wäre, sondern bezeichnet seine Version nur als eine Möglichkeit neben anderen diese zu erzählen. Doch dass er ausgerechnet die Persilschein-gebleichte Mär des großen Verführers Hitler und des willenlosen deutschen Volks bemüht, um eine seiner Thesen zu illustrieren, nährt den Verdacht, dass seine Erkenntnisse abseits spieltheoretischer Modelle nur geringen Erkenntniswert besitzen.

Blattman abstrahiert von der Wirklichkeit, um Gewaltverhältnisse kalkulieren zu können. Ohne eine beherzte Reduktion von Komplexität sind seine Schemata schlicht nicht funktionabel. Dadurch kürzt er auch weg, was Gewalt ausmacht: ihre erschreckende Realität.

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