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Der Literaturkritiker Denis Scheck

© picture alliance / Rolf Vennenbe / Rolf Vennenbernd

Prinz Harrys schwäbischer Bestseller: Denis Scheck bespricht die Top Ten der Sachbuchcharts

Die Urteile des Literaturkritikers sind gefürchtet. Von scharfsinnig und lesenswert bis albern und geistlos – so bewertet er die aktuelle „Spiegel“-Bestsellerliste.

10.) Saverio Gaeta und Georg Gänswein: Nichts als die Wahrheit (Deutsch von Gabriela Stein, Stefanie Römer, Friederike Hausmann und Katja Ising, Herder Verlag, 320 S., 28 €.)

Kritik an Benedikt XVI.? Alles Polemik, sagt Georg Gänswein. Lassen Sie mich also ganz unpolemisch sagen: Dieses Buch erinnert mich sehr an die vor 21 Jahren unter demselben Titel „Nichts als die Wahrheit“ erschienene Autobiografie eines gewissen Dieter Bohlen. Erkenntniswert und Klatschfaktor beider Bücher sind in etwa derselbe, auch die Fähigkeit zur kritischen Selbstreflexion ist bei beiden Autoren ähnlich ausgeprägt. Daher muss natürlich auch die literaturkritische Bewertung ihrer Bücher ähnlich ausfallen. Wie sagte schon der aktuelle Papst zu Georg Gänswein: „Erniedrigung tut gut.“

9. Elke Heidenreich: Ihr glücklichen Augen (Hanser, 256 S., 26 €.)

Von der irrigen Annahme, dass Reisen bildet, vermag die Lektüre von Heidenreichs Reiseerzählungen gründlich zu kurieren.

8.) Kurt Krömer: Du darfst nicht alles glauben, was du denkst (Kiepenheuer & Witsch, 192 S., 20 €.)

Depression ist eine heimtückische Volkskrankheit, deren Gefahren bis heute unterschätzt werden. Insofern dieses Buch darauf aufmerksam macht, ist es zu loben. Weil Kurt Krömer für seinen Erfahrungsbericht aber eine für mich indiskutable populistische Anwanzsprache und -form wählt, legt sich dieses Buch selbst als Schatten auf meine Leserseele.

7.) Dorothee Röhrig: Du wirst noch an mich denken (dtv, 256 S., 24 €.)

Wie taktvoll und doch aufrichtig man die eigene Geschichte erzählen kann, beweist Dorothee Röhrig in dieser „Liebeserklärung an eine schwierige Mutter“, so der Untertitel: „Meine Mutter war die ältere Schwester von Klaus von Dohnányi und Christoph von Dohnányi. Sie starb vor fast sieben Jahren, kurz nach ihrem 90. Geburtstag. Ihre Eltern, Hans und Christine von Dohnányi, geb. Bonhoeffer, waren maßgeblich am Widerstand gegen Adolf Hitler beteiligt. (…) Er wurde am 9. April 1945 hingerichtet, wie auch sein Schwager Dietrich Bonhoeffer, ein Bruder meiner Großmutter.“ Dorothee Röhrig nimmt sich in ihrem Buch vor, die Rolle der Frauen in dieser Familiengeschichte auszuleuchten. Ihr gelingt ein gleichermaßen fesselndes wie psychologisch nuanciertes Familienporträt.

6.) Henry Duke of Sussex: Reserve (Deutsch von Stephan Kleiner, Katharina Martl, Johannes Sabinski, Anke Wagner-Wolff und Alexander Weber, Penguin, 512 S. 26 €.)

Ich dachte, über dieses nichtige Buch sei alles gesagt, bis mein Landsmann Harald Schmidt mich darauf aufmerksam machte, dass Prinz Harry ja einen schwäbischen Bestseller geschrieben hat – das Buch heiße schließlich im Original „Spare“. In jedem Fall sparen sollte man sich die 26 Euro für diese Eigenreklame.

5.) Yael Adler: Genial vital (Droemer, 399 S., 20 €.)

Ein lebendig, bisweilen allzu flapsig geschriebener, aber kompetenter medizinischer Ratgeber, der in leicht zugänglicher Sprache Tipps gibt, wie man durch Sport, vernünftige Ernährung und gesunden Menschenverstand ein langes Leben und ein gutes Altern genießen kann. Ich habe beim Lesen keinerlei Risiken oder Nebenwirkungen verspürt.

4.) Kerstin Scherer: Erwacht (Kamphausen Verlag, 251 S., 19.90 €.)

Eine so durchgeknallte Esoterik-Abzockerin wie Kerstin Scherer kannte ich vor Lektüre dieses Buchs in Deutschland nicht. Kerstin Scherer arbeitet mit den miesesten Mitteln der jahrtausendealten Manipulationstechniken von Kristallkugelseherinnen, Eingeweideschauern oder Kartenlesern. Es ist schlicht eine intellektuelle Schande für unser Land, dass sich so ein krudes Manipulationswerk einer ausgekochten Abzockerin im Jahr 2023 auf der deutschen Bestsellerliste findet. Sind wir wirklich so doof? Ein Graus!

3. Brianna Wiest: 101 Essays, die dein Leben verändern werden (Deutsch von Ursula Pesch und Anja Lerz, Piper, 432 S., 22 €.)

Dass guter Rat nicht unbedingt teuer sein muss, beweist dieser lesenswerte Psycho-Ratgeber. Manche Tipps erinnern zwar an Binsenweisheiten, aber darüber nachzudenken, wie wir uns just durch unser Denken immer wieder ein Bein stellen, schadet nicht.

2.)  Bas Kast: Kompass für die Seele (C. Bertelsmann, 256 S., 24 €.)

Wie schon in seinem „Ernährungskompass“ fasst Bas Kast in flotter Schreibe neueste wissenschaftliche Studien zusammen und ergänzt sie mit autobiografischen Anekdoten. Ergebnis: ein lesenswertes Buch, wonach Joggen, Saunagänge, Intervallfasten, Eisbaden, Meditation, Verzicht auf Alkohol, die Philosophie der Stoa und zwischendurch ein Ecstasy- oder LSD-Trip unter therapeutischer Anleitung und Aufsicht viel für Stärkung unserer psychischen Widerstandskräfte und die Aufhellung unseres Gemüts tun können.

1.)  Dirk Oschmann: Der Osten: eine westdeutsche Erfindung (Ullstein, 224 S., 19,99 €.)

Ein berechtigter Aufschrei auf diskursanalytischer Basis über die Erfindung eines Mangelwesens. Vielleicht sollten wir statt der albernen und vor allem unproduktiven Fixierung auf Deutschlands Osten und Westen tatsächlich öfter darüber nachdenken, was unter Anwendung von Fernand Braudels Katgeorie der „Longue durée“, also des Denkens in historischen Zeiträumen, Süden und Norden für unsere Nation bedeuten.

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