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Der Tod steht ihnen gut. Lilith Stangenberg und Martin Wuttke besprechen die Liebe zum Abwesenden (2.v.l. und r.).

© Braun/drama-berlin.de

Saisonstart an der Volksbühne: Polleschs "Don Juan": Geil, Diskurs!

René Pollesch eröffnet die Volksbühnen-Saison mit einem verführerischen Martin Wuttke als „Don Juan“.

Was das Trendbewusstsein betrifft, hebelt Martin Wuttke als Don Juan sämtliche Vorgänger schon mal lässig aus. Das Verführungsgenie par excellence reüssiert an der Berliner Volksbühne in schwarzen Plateaustiefeletten, protziger Glitzerkette und grünem Press-Beinkleid zum exzeptionellen Pilzkopf-Toupet.

Kein Wunder, dass die nicht minder ansehnlichen Kolleginnen und Kollegen sofort über Wuttke herfallen, als er Bert Neumanns hölzerne Rohbaubühne betritt. Bei der Massenverknäulungschoreografie, die sich anschließend übers Szenario ergießt, wird es in den folgenden neunzig Minuten natürlich nicht bleiben. Schließlich ist es René Pollesch, der uns zum Saisonauftakt am Rosa-Luxemburg-Platz in Exkurse über Eros, Thanatos und korrespondierende Begehrensschemata verwickelt. Molières knapp 350 Jahre alte Komödie „Don Juan“, von der sich der Abend dabei abstößt, schimmert erwartungsgemäß nur noch diskret hindurch. Statt inhaltlicher Oberflächen importiert Pollesch aus der Vorlage die tiefenstrukturellen Motive.

So dauert es keine zehn Minuten, bis Lilith Stangenberg – mit Wuttke das Zentrum des Abends – die Molière’sche Verführungseinbahnstraße in seelenruhigem Therapeutinnenton blockiert. „Ich finde dich nicht attraktiv, Don Juan“, klärt sie ihren Kollegen geduldig auf. Der ist angemessen ratlos: „Ich sah früher in einem bestimmten Licht eigentlich ganz passabel aus, aber in letzter Zeit habe ich das Gefühl, die Beleuchtung hätte gewechselt.“

An lustigen und – um im Paradigma des Abends zu bleiben – erhellenden Pointen herrscht auch diesmal kein Mangel. Polleschs Diskursvariante des „Don Juan“ markiert den Schlusspunkt der volksbühneneigenen Molière-Trilogie mit Martin Wuttke in sämtlichen Titelrollen: Anfang Juni hatte der Ausnahmeschauspieler in eigener Regie als „Der eingebildete Kranke“ auf der Bühne gestanden.

Kurz darauf gab er, unter Frank Castorf, den „Geizigen“. Ein bekanntermaßen denkwürdiges Projekt, aus dessen Begleitumständen Polleschs Abend nun auch seine bemerkenswertesten Szenen schöpft. „Erinnere dich mal an den ,Geizigen‘, wo du gar nicht da warst“, beschwört Stangenberg Wuttke in einer schönen Hypnosenummer und animiert anschließend auch die restliche Bühnencrew zur Rekonstruktion eines Abends, der sozusagen nie stattgefunden hat: Wuttke musste die Premiere seinerzeit in letzter Minute krankheitsbedingt absagen; die Zuschauer saßen quasi schon im Parkett. „Die größte Wirkung hast du erzielt, als du nicht aufgetreten bist“, muss der Schauspieler sich nun von seinen Kollegen sagen lassen. Pollesch verdichtet hier die öffentliche Aufmerksamkeits- und Betroffenheitsschwemme (auch seitens der Feuilletons), die Wuttke nach der Premierenabsage ereilte, genüsslich zu einem unterhaltsamen Diskurs über die Dialektik von Empathie und Abwesenheit, der von einer trashigen Gerippe-Marionetten-Combo angemessen flankiert wird.

Auch wie der titelgebende Playboy einmal an der Hand einer gedanklich buchstäblich abhebenden Stangenberg immer mickriger in sich zusammenfällt, oder wie die Verführungsfigur in aller Lässigkeit mit dem Theaterdiskurs per se kurzgeschlossen wird, ist gewohnte Pollesch-Unterhaltung mit IQ-Zertifikat.

Trotzdem: Vieles wiederholt sich an diesem mit neunzig Minuten ironischerweise seit langem ausgedehntesten Berliner Pollesch-Abend. Verglichen mit dem grandiosen, zum Berliner Theatertreffen eingeladenen Vorgänger „Kill your Darlings“, der entspannt-scharfsichtig unser Originalitätsbegehren in sämtlichen Kunst- und Lebenslagen exekutierte, ist die Diskursbreite in Polleschs Auseinandersetzung mit Molière relativ schnell ausgeschöpft. Das betrifft nicht nur die inhaltliche, sondern auch die performative Seite des Abends. Während sich Fabian Hinrichs bei den „Darlings“ mit einem fulminanten Bewegungschor aus Berliner Turnerinnen und Turnern raumgreifend durch zahllose Genres und szenische Motive spielte, fällt Pollesch beim „Don Juan“ gern in ein eher statisches Diskurstheater zurück. Dass hervorragende Kolleginnen und Kollegen wie Brigitte Cuvelier, Jean Chaize oder Maximilian Brauer über weite Strecken bloße Sidekicks der alles überstrahlenden Verführerfigur bleiben, ist jedenfalls sicher nicht ausschließlich konzeptionell zu erklären.

Unterm Strich hat die Volksbühne, die aus der Kritikerumfrage des Fachblatts „Theater heute“ soeben – haarscharf hinter dem HAU – als zweitplatzierte Bühne des Jahres hervorging, ihre Saison erfolgreich eröffnet: Mit einem tollen Martin Wuttke in einem Pollesch, der zwar keine ganz neuen Paradigmen oder Gedankenwelten aufreißt, aber im Vergleich zu vielen anderen Theaterabenden landauf, landab immer noch im oberen Bereich der Originalitätsskala rangiert.

Wieder am 22.9. und 5.10., 19.30 Uhr

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