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Archäologe des Wissens. Jan Assmann (7. Juli 1938 - 19. Februar 2024).

© dpa/Silas Stein

Kultur als Erinnerung: Zum Tod von Jan Assmann

Mit dem Kulturwissenschaftler und Ägyptologen ist eine Instanz der Gelehrtenrepublik im Alter von 85 Jahren gestorben.

Von Gregor Dotzauer

Er hatte den Begriff der Achsenzeit nicht geprägt, aber er verlieh ihm eine entscheidende Wendung. Was der Philosoph Karl Jaspers in seiner Theorie von einer Weltkulturblüte zwischen dem alten Israel, Griechenland, China und Indien im ersten Jahrtausend vor Christus historisch entfaltete, das charakterisierte Jan Assmann im besten Sinne als einen Mythos, der den Aufbruch in ein Zeitalter der Vernunft und der Wissenschaft, ja überhaupt den Eintritt in die Geschichte, erzählbar mache. Als Ägyptologe ergänzte er zudem das Konstrukt der Achsenzeit um den Blick auf das Land der Pharaonen und auf die assyrischen und babylonischen Könige in Mesopotamien.

Jan Assmann befreite nicht nur Jaspers von eurozentrischen Blindheiten. In seinem 2018 erschienenen Buch „Achsenzeit“ entwarf er eine „Archäologie der Moderne“, die sich mit Blick auf Zarathustra, Buddha, Laotse und Konfuzius die ganze Vielfalt religiös geprägter Vorstellungen zu vergegenwärtigen suchte.  „Die Menschheit“, mahnte er im selben Jahr in seiner Dankesrede zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, den er zusammen mit seiner Frau, der Literaturwissenschaftlerin und oftmaligen Koautorin Aleida Assmann, erhalten hatte, „gibt es im Singular, aber Kulturen, Sprachen, Religionen gibt es nur im Plural.“

Dieser Erfahrung ein Fundament zu geben, war für ihn ein Lebensthema. Im Vorwort zur „Achsenzeit“ erinnert er sich, wie er noch als Schüler nicht nur mit Jaspers‘ „Ursprung und Ziel der Geschichte“ in Berührung kam, sondern auch mit den Kulturtheorien von Jean Gebser und Oswald Spengler: „Was ich mir mit dem ganzen Hoch- und Übermut des Primaners zum Ziel setzte, war nichts Geringeres, als diese Spekulationen auf die Grundlage solider Kenntnisse der Sprachen und Kulturen der Alten Welt zu stellen, von denen Jaspers und die anderen Autoren – mit Ausnahme des Griechischen – kein genaueres Wissen zu haben schienen. Also mehr Archäologie und Philologie als Philosophie, das war die Devise, mit der ich mich nach dem Abitur auf das Studium der Hieroglyphen, der Keilschrift, der Gräzistik und Archäologie warf.“

Ein Begriff, den er für dieses gewaltige Unternehmen einsetzte und der sich tatsächlich untrennbar mit ihm verbindet, ist der des kulturellen Gedächtnisses. Mit dem Untertitel „Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen“ widmete er ihm 1992 ein kanonisches Werk. Assmann wandte sich damit gegen einen historischen Positivismus, der ausklammert, in welchem interpretatorischen Licht Funde erscheinen.

Erfahrener Archäologe

Als erfahrener Archäologe konnte er sich durchaus für materielle Ausgrabungen begeistern, vergaß darüber aber nicht eine Archäologie des Wissens, wie er sie in seinem Heidelberger Arbeitskreis „Archäologie der literarischen Kommunikation“ praktizierte. Das kulturelle Gedächtnis, insistierte er, sei „nicht gleichbedeutend mit Geschichte und Geschichtsbewusstsein, sondern eine eigenständige Form des Vergangenheitsbezugs. Es ist gekennzeichnet durch Horizont und Prägnanz. Nicht die irgend auffindbaren Quellen und Spuren, sondern die kulturellen Texte bestimmen die Reichweite seines Horizonts und geben ihm durch die weltmodellierende Funktion ihrer Semantik seine identitätsfundierende Prägnanz.“

Assmann entwickelte diese Vorstellung zu einer komplexen Theorie, die das „An-denken“, wie es in der Frankfurter Paulskirche seinerzeit der Laudator Hans Ulrich Gumbrecht formulierte, sowohl im Sinne kultureller Gedächtnisbildung wie im Widerstand gegen falsche Gewissheiten betreibt. Jedweder Essentialismus war ihm zuwider. „Der Mensch, der durch ein Zuviel an Wissen aus den Ordnungen der Natur herausgefallen ist“, glaubte er, „muss sich eine künstliche Welt erschaffen, in der er leben kann. Das ist die Kultur.“

1938 im niedersächsischen Langelsheim geboren und im kriegszertrümmerten Lübeck aufgewachsen, verfügte er über ein umfassendes und sehr konkretes Verständnis von Kultur, vor allem der Musik, die auch für Aleida Assmann und die gemeinsamen fünf Kinder eine wichtige Rolle spielte. Er schrieb auch ein Buch über Mozarts „Zauberflöte“, nicht ohne darin mit der Untersuchung ihrer freimaurerischen Elemente einen Bogen zu seinem eigentlichen Metier, der Ägyptologie, zu schlagen.

Über ein Vierteljahrhundert, von 1976 bis 2003, hatte er an der Heidelberger Universität den entsprechenden Lehrstuhl inne, bevor er als Honorarprofessor allgemeine Kulturwissenschaft in Konstanz lehrte. Gemessen an seinem überragenden intellektuellen Einfluss war er schon wegen seines sanften, leisen Wesens in der Gelehrtenrepublik eine ungewöhnliche Erscheinung.

Er wurde verehrt und nicht zuletzt für seine stilistische Gewandtheit bewundert, gelegentlich auch kritisiert, insbesondere für seine erst harschen, später abgemilderten Theorien zum Zusammenhang von Monotheismus und Gewalt. Nun ist Jan Assmann nach langer Krankheit im Alter von 85 Jahren in Konstanz gestorben.

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