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Treffen sich ein Rabbi, ein Kardinal und ein Psychoanalytiker. In Hannes Steins Roman „Der Komet“ machen sie das jeden Dienstag im Wiener Café Central und sprechen auch über einen Patienten, der das 20. Jahrhundert träumt, wie es wirklich gewesen ist.

©  Archiv

Interview mit Hannes Stein: „Eine grundsätzliche schlampige Toleranz“

Hannes Stein über die Donaumonarchie als Vorbild, seine resolute Frau und Martha’s Vineyard – Am Mittwoch liest er in Potsdam

Herr Stein, sind Sie ein Nostalgiker?

Das kann ich gar nicht so genau beantworten.

Wer Ihren Roman „Der Komet“ liest, den Sie am Mittwoch in Potsdam vorstellen, könnte das aber vermuten. Denn darin ist im 21. Jahrhundert die Habsburger Monarchie das gesellschaftliche Maß aller Dinge und Wien der Nabel der Welt.

Es geht mir nicht darum, dass ich die Vergangenheit wiederbringen will. Aber die Donaumonarchie hat doch besser funktioniert als alles, was danach kam.

Hannes Stein

, geb. 1965 in München, wuchs in Salzburg auf und studierte Amerikanistik und Philosophie. 2007 wanderte er nach New York aus, wo er als Journalist und Autor lebt.

Warum hat sie besser funktioniert?

Weil sie diese grundsätzliche schlampige Toleranz hatte gegenüber den über 20 Völkern, die dazu gehörten. Hier hat das Zusammenleben, wenn auch oftmals mit großem Ächzen, funktioniert. Es gab nicht diesen mörderischen Nationalismus, der das 20. Jahrhundert vergiftet hat und auch kaum diese totalitären Strömungen bei den Linken.

Was soll das eigentlich sein, diese grundsätzliche schlampige Toleranz?

Historisch gesehen war die Donaumonarchie der letzte übrig gebliebene Teil des Heiligen Römischen Reiches. Und dieses Gebilde war auf eine charmante Weise zurückgeblieben, weil man nicht den Schritt hin zum modernen Nationalstaat gemacht hatte. Der Habsburger Katholizismus konnte sehr gut mit dem Islam leben. Hier wurde alles nicht so heiß gegessen. Alles war von einem entspannten Umgang geprägt. Denn das hatten sie hier verstanden:  Wenn man ein Vielvölkerreich regieren will, macht man das entweder wie Stalin mit Terror gegen das Volk und dieser Straflagerpolitik. Was letztendlich aber auch nicht auf Dauer funktioniert hat. Oder man leistet sich Toleranz und lässt das alles laufen, vermittelt und sorgt für Kompromisse, damit sich nicht alle die Köpfe einschlagen. Es war, wie man in Österreich sagt, schlampert. Aber auf eine sehr humane Art schlampert.

Dann hat dieses „schlampert“ ja im Grunde einen Vorbildcharakter.

Es wundert mich immer wieder, dass in den Debatten um die innere Verfasstheit der EU das Habsburger Reich eine so kleine Rolle spielt. Hier wird fast immer nur auf Amerika geschaut. Ich bin Amerikaner, ein sehr überzeugter Amerikaner. Aber die USA sind ein sehr spezielles Gebilde. Eine alte und stolze Republik, deren Verfassung sehr der der Schweiz ähnelt. Dort die Kantone, hier die Bundesstaaten, und über allem eine sehr schwache Zentralmacht. Ein Gebilde, für das es in Europa sehr wenige Vorbilder gibt. Das Habsburger Reich dagegen war eine Art Vor-EU, in der das Zusammenleben ganz gut funktioniert hat. Hier konnte man von Sarajevo über Triest bis Lemberg oder Salzburg oder Krakau fahren, ohne dass man seinen Pass hätte vorweisen müssen.

In „Der Komet“ ist die Donaumonarchie die bessere EU und Amerika nur ein Land voller Cowboys und Hinterwäldler. Der Erste Weltkrieg hat nicht stattgefunden und demzufolge auch nicht der Zweite Weltkrieg. Wie sind Sie auf die Idee für diesen Roman nach dem Was-wäre-wenn-Motto gekommen?

Das hat zwei Gründe. Vor Jahren war ich mal auf Martha’s Vineyard, dieser Boston vorgelagerten Insel, auf der die Obamas, Oprah Winfrey und auch die Clintons Urlaub machen. Es ist sehr schön dort und auch sehr idyllisch. Dort saß ich also, aß Fisch, trank einen Weißwein, schaute aufs Meer hinaus und dachte mir, hier könnte man sich vorstellen, der ganze Müll des 20. Jahrhunderts hätte gar nicht stattgefunden. Später bin ich dann mit Stephan Wackwitz, Schriftsteller und damals Chef des Goethe-Instituts, hier in New York die Lexington Avenue entlangspaziert und wir unterhielten uns über die Donaumonarchie und darüber, wie die Welt wohl aussehen würde ohne den Ersten Weltkrieg, in dem ja der Keim steckte für so vieles, was danach kam. Und ich sagte, wenn ich darüber einen Roman schreiben könnte, dann würde der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand im Juni 1914 gesund und munter aus Sarajevo heimkehren. Erst Monate später habe ich mich dann hingesetzt und angefangen zu schreiben, weil meine Frau mich förmlich gezwungen hat.

Ihre Frau?

Ja, denn sie ertrug es einfach nicht mehr, dass ich so sehr von diesem Thema besessen war.

Sie haben in Ihrem Roman radikal die Geschichte des 20. Jahrhunderts umgeschrieben, trotzdem finden wir hier zahllose Anspielungen auf Personen und Orte, die dieses Jahrhundert geprägt haben. Selbst der Holocaust kommt vor, aber nur in einem Traum. Beim Lesen wirkt das immer ganz selbstverständlich und nie unsensibel. Wie ist Ihnen diese Balance gelungen?

Ganz ehrlich, beim Schreiben ist das alles Beiwerk. Für mich muss von Anfang an feststehen, auf welche Pointe der Roman hinausläuft. Mir war also vom ersten Satz an klar, dass in „Der Komet“ am Ende das „Allahu Akbar“ kommt und dass ich diese Liebesgeschichte zwischen Barbara Gottlieb und meinem jungen Helden Alexej von Repin erzähle. Ich wusste ganz genau, dass Alexej, dieser russische Kunststudent, mit hängenden Schultern förmlich durch den Roman schlurft und dann doch die schöne Barbara Gottlieb bekommt, die leider verheiratet ist. Ich wusste, dass im Café Central sich der Oberrabbiner von Wien, der Kardinal und der wichtigste Psychoanalytiker jeden Dienstag treffen, um Tarock zu spielen. Gleichzeitig wusste ich auch, dass ich die reale Welt in meinem Roman vorkommen lassen muss.

Unter anderem durch den ominösen Patienten B., der dem Psychoanalytiker Anton Wohlleben von seinen ständigen Weltuntergangsträumen und einem Riesenprogrom in Europa erzählt.

Ja, und diese Idee hatte ich schon im Gespräch mit Stephan Wackwitz. Dass da einer das 20. Jahrhundert so träumt, wie es wirklich war und für verrückt gehalten wird, weil das so unvorstellbar schrecklich ist.

Und Anna Frank erhält in „Der Komet“ hochbetagt den Literaturnobelpreis.

Anfangs hatte ich große Skrupel, weil das ja eine Form von Leichenfledderei ist. Aber mir wurde dann bald klar, dass ich sie mit hineinnehmen muss. Sie war unglaublich begabt und wenn man ihr Tagebuch liest, weiß man, sie wäre Schriftstellerin oder Journalistin geworden. Und ich habe ihr bewusst im Jahr 1999 den Literaturpreis verliehen.

In dem Jahr hat Günter Grass diesen Preis bekommen.

Ja, eine bitterböse Pointe, die bisher kein Rezensent aufgespießt hat. Eine wirkliche Boshaftigkeit von mir, denn mit Günter Grass hatte 1999 ein Mitglied der Waffen-SS diese hohe Auszeichnung erhalten.

Das Gespräch führte Dirk Becker

Hannes Stein liest aus „Der Komet“ (Galiani Verlag Berlin, 18,99 Euro) am Mittwoch, dem 9. Oktober, um 20 Uhr in der Villa Quandt in der Großen Weinmeisterstraße 46/47. Der Eintritt kostet 7, ermäßigt 5 Euro

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